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Am Samstag beginnt die Ruhr-Triennale

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Was ist die Ruhr-Triennale? Ein fulminantes Bühnenfest, das Kunst in Industriedenkmälern zeigt. Lesen Sie außerdem ein Interview mit Gérhard Mortier

Was ist die Ruhr-Triennale?
Gelsenkirchen (ddp). Die Ruhr-Triennale ist als monumentales Bühnenfest im Ruhrgebiet geplant, das Touristen und Kulturfreunde aus aller Welt anlocken soll. Als Aufführungsorte will Nordrhein-Westfalens Kulturminister Michael Vesper (Grüne) vorwiegend Industriedenkmäler wie die Duisburger Kraftzentrale, den Oberhausener Gasometer oder die Bochumer Jahrhunderthalle nutzen.
Im Turnus von drei Jahren findet das Bühnenfest statt und wird jeweils von einem anderen Intendanten geleitet. Chef der ersten Triennale ist der ehemalige Intendant der Salzburger Festspiele, Gérard Mortier. Einen Vorgeschmack auf das «Hauptjahr» 2003 werden die Veranstalter vom 31. August bis 13. Oktober geben, wenn das Bühnenfest in die erste Runde geht. Die erste endet 2004.
Auf dem Programm steht eine Mischung aus Schauspiel, Oper, Musiktheater und Ausstellungen. Neben Projekten aus aller Welt sollen auch renommierte Produktionen des Ruhrgebiets zum Zuge kommen. Träger des Bühnenfestes ist die Kultur Ruhr GmbH. An der Einrichtung hält der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) 44 Prozent. Mit 51 Prozent hat die Landestochter Projekt Ruhr die Mehrheit. Weitere fünf Prozent hält der Verein «pro Ruhrgebiet».
In diesem Jahr stellt die Landesregierung knapp 8 Millionen Euro für die Ruhr-Triennale zur Verfügung. 2003 sollen es 21 Millionen Euro und 2004 insgesamt 11 Millionen Euro sein. Insgesamt sind für die erste Triennale 40 Millionen Euro eingeplant. Dabei wird dieser Etat nach Angaben Vespers neu geschaffen und stammt nicht aus bereits vorhandenen Kulturetats. Hinzu kommen Eintritts- und Sponsorengelder.

Ein fulminantes Bühnenfest - Ruhr-Triennale zeigt Kunst in Industriedenkmälern
Gelsenkirchen (ddp). Der Countdown für eine der umfangreichsten kulturpolitischen Initiativen in Deutschland läuft, und die Erwartungen sind groß: Am Samstag startet in Essen das monumentale Bühnenfest, dem die nordrhein-westfälische Landesregierung neben dem Namen «Ruhr-Triennale» auch noch 40 Millionen Euro gab. Alle Stücke reflektieren die deutsche Vergangenheit, betonte am Mittwoch der Leiter des Mammut-Festes, Gérard Mortier, in Essen. Anlass war ein Probenbesuch zu dem Eröffnungsstück der Triennale - «Deutschland, deine Lieder».
Regisseur Matthias Hartmann entwirft mit dem Autor Albert Ostermaier und dem deutsch-iranischen Komponisten Parviz Mir-Ali das szenische Kaleidoskop. Die Handlung: Ein Mann - Wolf - betritt die Wohnung seines soeben gestorbenen Vaters, und zwar irgendwo in Deutschland. Er ist nach Deutschland gereist, um sein Erbe anzutreten. Dem Vater ist Wolf nie begegnet. Daher sucht er in der Wohnung nach Spuren, um sich über seine Identität als Sohn und als Deutscher klar zu werden. Getragen wird das Stück von einem Schauspieler und einem elfköpfigen Chor.
Das musikalische Arrangement Mir-Alis besteht vor allem aus Eigenkompositionen. Aus dem Radio und dem Fernsehen ertönt deutsches Liedgut von Johann Sebastian Bach, Gustav Mahler, Franz Schubert, Carl Maria von Weber, Wolfgang Amadeus Mozart, Nena, Rio Reiser oder Drafi Deutscher.
In Industriedenkmäler wie der Essener Zeche Zollverein, der Halde Haniel in Bottrop oder Phönix West in Dortmund werden bis zum 13. Oktober ebenfalls internationale Spitzenkünstler wie der Regisseur Peter Sellars erwartet. Das amerikanische Allround-Talent widmet sich dem antiken Stoff «Die Kinder von Herakles». Euripides selten gespieltes Drama über die Odyssee einer Flüchtlingsgruppe setzt er in Beziehung zur aktuellen Exildiskussion in westlichen Ländern.
Für das Bühnenfest tanzt Ballett-Ikone Mikhail Baryshnikov bei der Uraufführung des «White Oak Dance Project» in der Choreographie von Richard Move. Die Musik schrieb die isländische Songwriterin Björk eigens für dieses Projekt. Im Smoke Ruhr, dem Jazz-Club der Triennale in der Gladbecker Maschinenhalle Zeche Zweckel, wollen sich Künstler und Ensembles wie die Bochumer Symphoniker Werken von George Gershwin widmen. Mit von der Partie ist auch der Gitarrist Bill Frisell. Auch Christoph Marthaler gibt sich mit Schuberts «Die Schöne Müllerin» die Ehre.
Zum ersten Mal in seiner Karriere wird Klaus Michael Grüber ein Werk von Mozart inszenieren. Zusammen mit dem Komponisten und Dirigenten Hans Zender und dem spanischen Maler Eduardo Arroyo nimmt er sich des «Don Giovanni» an. Der spanische Bildhauer Agustín Ibarrola präsentiert seine Installation «Totems». Sie besteht aus über 100 bearbeiteten Eisenbahnschwellen. Die Einzelarbeiten sollen die scheinbaren Gegensätze von Industrieraum und Natur« zusammenführen.
Der Hamburger Punkmusiker Schorsch Kamerun erarbeitete eine Neu-Inszenierung von Hanns Eislers »Hollywood Elegien". Das Werk aus der Zeit von Eislers Aufenthalt im amerikanischen Exil ab dem Jahr 1942 erzählt von den Grausamkeiten des Illusionsapparats Hollywood.
NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) ist sich sicher, dass der Künste-Zyklus die Region international zu neuen Ufern führen werde. Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) sucht mit dem Bühnenfest den Wettbewerb mit europäischen Metropolen. In seinen Augen ist der Belgier Mortier Kulturmanager und Visionär zugleich. Während Kulturschaffende oder Oppositionspolitiker harsche Kritik über den Triennale-Etat äußern, gibt sich der Cosmopolit, der unter anderem zehn Jahre die Salzburger Festspiele leitete und ab 2004 an die Pariser Oper geht, gelassen. Der Kartenverkauf laufe bestens, zahlreiche Vorstellungen seien bereits ausverkauft, verkündet Mortier stolz.
Brigitte Pavetic

«Man muss glühen, um Wärme zu vermitteln» - Gérard Mortier reizt die «emotionale Kraft» des Ruhrgebiets
Gelsenkirchen (ddp). Mit einem fulminanten Programm startet am Samstag die Ruhr-Triennale. Den Ukas, den in der Region vor Jahrzehnten gerne Kumpels ausgaben - nicht kleckern, sondern klotzen - hat sich offenbar auch Intendant und bekennender Revier-Fan Gérard Mortier zu eigen gemacht. Vielversprechende Theaterproduktionen und Meisterwerke der Musikgeschichte stehen im Mittelpunkt des ersten Spielplanes des Bühnenfestes. Mit dem ehemaligen Leiter der Salzburger Festspiele, der seine Lehrjahre in seiner Heimat Belgien hinter sich brachte, sprach ddp-Korrespondentin Brigitte Pavetic.

ddp: Was reizt Sie am Ruhrgebiet?

Mortier: Nach Salzburg war es für mich unglaublich wichtig, in einer Region zu arbeiten, wo es eine große emotionale Kraft gibt. Diese Kraft erklärt sich besonders aus den verschiedenen sozialen Schichten im Ruhrgebiet. Ich muss auch mehr über die Werke nachdenken, um bei den potenziellen Besuchern keine Schwellenangst zu erzeugen. Reizvoll war für mich zudem das Wissen darum, dass das Ruhrgebiet der Ausgangspunkt für das heutige Europa war.

ddp: Welche Träume mussten Sie als Triennale-Chef zuerst begraben?

Mortier: Eigentlich keine. Natürlich hat man immer mehr Projekte als man Geld hat. Doch ich konnte es mir leisten, viel zu träumen. Außerdem werden wir von der Politik im Lande vorbildlich unterstützt.

ddp: Gibt es einen roten Faden durch das Programm?

Mortier: Alle Stücke reflektieren die deutsche Vergangenheit. Die Produktionen suchen den Dialog zwischen den Kunstgenres. So wird etwa Konzertliteratur theatralisch umgesetzt. Im kommenden Jahr werden wir uns auf die französische Kultur konzentrieren.

ddp: In NRW formiert sich auch Widerstand gegen das ehrgeizige Projekt. Viele fordern, die Kultur in der Breite zu fördern anstatt so genannte Leuchtturmprojekte.

Mortier: Ich verstehe solche Bemerkungen. Doch das Geld, das wir erhalten, würde ohne uns gar nicht existieren, oder es würde verpuffen, wenn es auf verschiedene Einzelprojekte aufgeteilt werden würde. Ich schaffe mit diesem Geld eine Art von Interaktion: Ich stelle ein Band her zwischen internationalen Künstlern und Institutunionen vor Ort. Insofern ist das Geld sehr gut angelegt.

ddp: Welche Macht hat Kunst für Sie?

Mortier: Als ich jung war, dachte ich, dass Kunst die Welt verändern kann. Heute bin ich davon überzeugt, dass Kunst dafür Sorge tragen kann, dass viele destruktive Elemente in unserer Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit werden. Sie ist für mich ein Mittel, die Gesellschaft immer wieder zu befragen und Emotionen freizulegen. Wenn Kultur mehr erlebt würde von einem Großteil der Bevölkerung, hätten Psychiater weniger Arbeit - und Krankenhäuser vielleicht auch.

ddp: Befolgen Sie bei Ihrer Arbeit eine wichtige Regel?

Mortier: Man muss innerlich selbst glühen. Nur so kann man Wärme vermitteln. Das müssen auch andere spüren.

ddp: Wie geht es mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen weiter?

Mortier: Ab 2004 werde ich das Festival leiten. Ich werde in zwei Monaten einen von mir ausgesuchten künstlerischen Leiter bekannt geben. Die Festspiele werden sich künftig mehr auf Schauspiel konzentrieren.

ddp: Haben Sie geistige Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?

Mortier: Sehr geprägt haben mich der Dirigent Christoph von Dohnányi und der Komponist Rolf Liebermann. Die wichtigste Fähigkeit, die ein Kultur-Manager beherrschen muss, ist, Künstler aus verschiedenen Ecken zusammen zu bringen, also eine Art Katalysator zu sein. Man muss auch das, was man kreiert, vermitteln können. Ludwig II. von Bayern war sicher nicht verrückt, aber verrückt war, dass er alleine im Theater sitzen wollte. Meine Vorstellungen müssen ausverkauft sein, damit ichglücklich bin.

ddp: Sie haben bei den Jesuiten in Gent eine umfassende Bildung genossen. Was gaben Ihre Eltern Ihnen mit auf den Weg?

Mortier: Ich komme aus einer Bäckerfamilie, in der hart gearbeitet wurde. Dennoch herrschte bei uns eine große Offenheit für die Kunst. Ich konnte und sollte mich mit allen Dingen beschäftigen. Meine Eltern hatten natürlich feste Standpunkte, aber sie waren gegen jede Form von Ideologie.

ddp: Ab 2004 übernehmen Sie auch die Leitung der Pariser Oper. Was reizt Sie daran?

Mortier: Die Ruhr-Triennale begreife ich als großes Experiment, ob ich klassische Kunst einem modernen Publikum vermittelt werden kann. Mit dieser Erfahrung möchte ich nach Paris gehen und schauen, ob meine Kreativität dort fruchten kann. Ich bin mir aber jetzt schon sicher, dass meine glücklichste Zeit hier im Ruhrgebiet sein wird.

ddp: Welche Journalistenfrage nervt Sie zurzeit am meisten?

Mortier: Die Frage danach, ob ich bei der Ruhr-Triennale nicht einfach das weiterführe, was ich in Salzburg gemacht habe. Ich verwende natürlich den Reichtum an Erfahrungen für meine neue Aufgabe. Auch bringe ich einige Produktionen hierher. Doch die Triennale sehe ich als ein völlig neues Feld, auf dem ich mich beweisen will."

(Internet: www.ruhrtriennale.de)