Erst durch PC und Internet ist das Wort „Netzwerk“ so richtig populär geworden, dabei sind funktionierende Netzwerke in der Musikbranche seit jeher der bestimmende Faktor. Warum? Das Musikbusiness ist mindestens so stimmungsabhängig wie die Pferderennbahn und genauso unübersichtlich wie das Börsengeschehen. Niemand kann ganz allein verlässliche Annahmen über zukünftige Entwicklungen treffen. Trends entwickeln sich überall und nirgends und zur Unterscheidung zwischen richtungsweisenden oder irreführende Nachrichten muss man viele Fragen stellen. Aber wen fragt man und von wem erhält man die entscheidenden Hinweise? Ganz einfach: Stets hilft das Netzwerk, zusammengehalten von Bits und Bytes in Datenbanken, von Ledereinbänden in Adressbüchlein und von durchsichtigem PVC in Visitenkartenordnern und Ringbüchern. Ich will diese Behauptung anhand des Beispiels „Plattenvertrag“ belegen.
Immer noch glauben Musiker, dass sie einen Plattenvertrag durch das tonnenweise Verschicken von Demobändern erhalten. Wenn man jedoch bei den Empfängern der Demoflut nachhört, ergibt sich ein enttäuschendes Bild. Die Bänder werden demnach nur umgestapelt vom Schreibtisch des Musikers in die Kisten der Talentjäger, wo sie dann Staub ansetzen. Die sogenannten A&R, die in den Plattenfirmen für den Nachschub von Talenten beziehungsweise das Abwerben von Hitgaranten zuständig sind, nutzen ganz andere Quellen als die Post. Sie zappen sich durch die Medien, telefonieren, verschicken Mails und tauchen immer dort auf, wo sich die Szene trifft. Während die einen rocken und rollen, tragen sie in unzähligen kurzen oder langen, förmlichen oder ausgelassenen Gesprächen diejenigen Informationen zusammen, die sie am nächsten Tag in ihrem Büro erfolgreicher als die Konkurrenz agieren lassen.
Ein Musiker, der dieses Schema tabulos zur Kenntnis nimmt, kann daraus interessante Schlüsse ziehen. Um den A&R zu erreichen, muss er dessen Schema kopieren und schon ist ihm der Erfolg – Charisma und musikalische Qualität vorausgesetzt – fast sicher. Ist das wirklich so? Ja, es ist! Netzwerke leben von Berührung und irgendwo treffen sich immer die Ausläufer des Talentjägers mit denen des zukünftigen Stars. Der Ort der Begegnung ist ebenso wenig vorhersagbar wie der Zeitpunkt. Allerdings kann man die Dinge gerade als Musiker erheblich beschleunigen, wenn man das eigene Netzwerk mit System benutzt und im richtigen Rhythmus auf der Klaviatur der Beziehungen spielt.
Nehmen wir an, Sie sind überzeugt davon einen Hit geschrieben zu haben, der Ihrer Band oder Ihrem Ensemble zum Durchbruch verhilft. Der direkte Weg in die Verkaufscharts ist Ihnen bislang verbaut, weil kein Entscheider aus dem Musikbusiness jemals von Ihnen gehört hat. Wenn also die Abkürzung nicht funktioniert (nach dem Motto: „Gehen Sie nicht über Los. Ziehen Sie keine 4.000 Euro ein“), dann bringen Sie Ihr Netzwerk ins Spiel: Senden Sie mit aller Kraft Signale in Ihr persönliches Beziehungsgeflecht. Stellen Sie sich vor, dass Sie der Kopf eines Oktopus’ sind, der sich vor Begeisterung rot färbt. Langsam wandert die Farbe in Ihre Arme, die Ihren Bekanntenkreis (also Ihr Netzwerk) darstellen. Die Menschen, die Sie gut kennen, lassen sich von Ihrem Enthusiasmus und von der Musik anstecken. Ihr Netzwerk, also Ihre leuchtend roten langen Krakenarme, berührt nun mit seinen Saugnäpfen andere Kopffüßler, die andocken und die Farbe weitertragen, mit der Zeit sogar bis in ein anderes Zentrum: dem Büro des A&R Ihrer Lieblingsplattenfirma.
Die beiden renommierten Karrieretrainer Hesse/Schrader berichten von einer statistischen Erhebung, wonach jeder Mensch mindestens 200 andere Personen kennt. Verfolgen Sie diesen Gedanken einmal weiter: Jede dieser 200 Kontaktpersonen kennt wiederum 200 andere Menschen. Über den kleinen Umweg von einer Kontaktperson können Sie also bereits 200 x 200 = 40.000 Menschen erreichen. Das Bild von der Krake ergibt plötzlich einen Sinn, weil Sie Ihre Signale tatsächlich viel weiter senden können, als sie bisher vermuteten.
Übung Nr. 1 – Netzwerk aufzeichnen
Wer sind Ihre 200 Bekannten? Nehmen Sie sich einen sehr großen Bogen Papier und schreiben Sie in die Mitte Ihren eigenen Namen. Ziehen Sie einen Kreis um Ihren Namen und beginnen Sie von dem Kreis aus Arme zu zeichnen, auf die Sie die Namen sämtlicher Personen auftragen, die Sie kennen. Wenn Ihnen Themen einfallen wie „Schule“ oder „Proberaum“ können Sie diese Schlagwörter wie bei einem Stammbaum oder einer Mind Map als Hauptarme auftragen und davon ausgehend Nebenarme mit Namen oder Namensstämmen (Familienzweige, Abteilungen, Ensembles und so weiter) verzweigen. Bewerten Sie Ihre Einfälle nicht nach Qualitätsmaßstäben. Hören Sie erst auf, wenn mindestens 200 Namen auf Ihrem Papier stehen.
In meinen Seminaren führt diese Übung regelmäßig zu fundamentalen Aha-Erlebnissen. Wir sind erstaunt, wenn wir uns die Potentiale unseres Bekanntenkreises in vollem Umfang vergegenwärtigen. Doch wie können wir diese Macht in uns überhaupt vergessen? Networking hat ähnlich wie im vorhergehenden Serienteil das Verhandeln viel mit der Wahrung der gemeinsamen Interessen zu tun. Dieses Thema wird verdrängt in einer Gesellschaft, in der sich die Gewinner von den Verlierern abheben, um mit Selbstachtung zu leben. Überwinden Sie Ihre Ängste, indem Sie genau wie die Verhandlungskünstler und Netzwerkprofis den Geist des Geben und Nehmens verinnerlichen und strikt danach handeln.
Übung Nr. 2 – Netzwerk systematisieren
Übertragen Sie Ihr sternförmig aufgeschriebenes Netzwerk aus Übung Nr. 1 in ein System von Karteikarten oder in eine Computerdatei. Unterschiedliche Bezugsgruppen erfordern unterschiedliche Tabellengestaltungen. Wichtige Eigenschaften sind beispielsweise Namen, Titel, Geburtsdatum, Internetadresse, Privatnummer, Dienstanschluss et cetera. Notieren Sie zu jeder Person auch deren Interessen und andere wissenswerte Hintergrundinformationen. Bei Computerdateien sind Vorüberlegungen zur späteren Anwendung (zum Beispiel personalisierte Serienbriefe) notwendig.
Die Übungen Nr. 1 und Nr. 2 zeigen neben den Potentialen auch unerbittlich präzise an, wo es uns an Kontakten mangelt. Möglicherweise kennen wir Musiker, aber keinen A&R, wir kennen Techniker, aber wenige Konzertagenten, wir kennen Grafiker, aber kaum Presswerke, wir brauchen Sponsoren, kennen aber nicht mal einen Promoter, wir sprachen mit einem Rechtsanwalt über Verwertungsfragen ohne je einen Verlagsleiter getroffen zu haben. Fangen wir also damit an Farbe durch unsere Arme zu jagen. Wir kennen zwar keinen A&R, aber Musiker, die einen A&R kennen. Wir sind noch nie einem Konzertagenten begegnet, aber unser Lieblingstechniker arbeitet mit vielen Hand in Hand. Wir sprechen mit jedem Menschen den wir kennen über mögliche Promoter, um über diese Berufsgruppe später mögliche Sponsoren zu bekommen. Wir befragen uns bekannte Rechtsanwälte über fähige Verlage.
Zurück zu Ihrem Hit. Um das Netzwerk zum Glühen zu bringen, müssen Sie unbedingt jede Chance für eine überzeugende Performance nutzen. Welche Botschaft wollen Sie ins Netzwerk aussenden? Professionelles Networking ist hochgradig davon abhängig wie genau Sie Ihre Ziele vorab formulieren können. Networking endet in Aktionismus und Beliebigkeit, wenn die Ziele schwanken und vielfältig sind.
Übung Nr. 3 – Networking-Ziele klären
Welche Ziele möchten Sie mit Networking erreichen? Sammeln Sie so viele Ziele wie Ihnen innerhalb von zehn Minuten unabgelenkten und entspannten Überlegens einfallen. Nach dem Ablauf von zehn Minuten wählen Sie ein Ziel aus, das sich zeitlich festlegen und inhaltlich bewältigen lässt.
Jedes Gespräch auf dem Weg zu Ihrem gewünschten Adressaten (im Beispiel: der A&R) ist für Ihren Erfolg entscheidend. Bereiten Sie sich auf diese Gespräche gut vor, indem Sie Ihr Ziel in eine konkrete Botschaft umformulieren. Diesen Text müssen Sie verinnerlichen und auch noch nachts um fünf, wenn Sie aus dem Tiefschlaf erwachen, souverän und unverkrampft vortragen können. Ihre Botschaft enthält folgende Aspekte:
- Ankündigung Ihrer Selbstpräsentation und Spezialthematik
- Ihren Geburtsort und Ihre Ausbildung
- Ihre besonderen Fähigkeiten und Ihre wichtigsten Erfolge
- den Grund Ihrer Kontaktaufnahme
Dieses Grundschema der Selbstpräsentation funktioniert gleichermaßen erfolgreich auf Partys wie bei Vorstellungsgesprächen. Sie können sich vollständig darauf verlassen und genau auf die Reaktionen Ihres Gegenübers achten. Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus und verlangen Sie nicht von Fremden Leistungen, die einen Vertrauensvorschuss voraussetzen. Networking ist die ultimative Power im Musikbusiness, es erfordert jedoch Zeit und bedingt, dass Sie von Herzen Ihre Möglichkeiten nutzen, um in anderer Form Gegenleistungen zu bringen.