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Bei der Auftaktveranstaltung für den so genannten "Zweiten Korb" des neuen Urheberrechts versprach Bundesjustizministerin Brigitte Zypries eine "kooperative Gesetzgebung". Im Münchner Literaturhaus rief sie alle involvierten Kreise dazu auf, sich an dem Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Die Zypries-Rede:
Das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft: Bestandsaufnahme und Überlegungen zum weiteren RegelungsbedarfRede der Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries beim Symposium in München am 16. September 2003
Es gilt das gesprochene Wort!
Meine Damen und Herren,
1. Karl Valentin hat einmal gesagt: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit". Und genau dasselbe kann ich für das Urheberrecht sagen: Urheberrecht ist schön, macht aber viel Arbeit. Jedenfalls uns im Bundesministerium der Justiz. Kaum haben wir die eine Novelle ins Gesetzblatt gebracht - schon wartet die nächste, der so genannte Zweite Korb.
2. Die heutige Auftaktveranstaltung zum Zweiten Korb soll diese viele Arbeit auf mehrere Schultern verteilen. Im Urheberrecht hat es wie in anderen Bereichen des Wirtschaftsrechts keinen Sinn, wenn wir uns in Berlin vor ein leeres Blatt Papier setzen und Regelungen aufschreiben. Weil die Materie so kompliziert ist und so vielfältige Kenntnisse erfordert, wollen wir möglichst viel Sachverstand zusammenführen. Nur so können wir zu richtigen und möglichst breit akzeptierten Lösungen kommen. Wenn alle, die hier versammelt sind, mitwirken, bin ich zuversichtlich, dass sich der Zweite Korb ebenso wird sehen lassen können, wie der Erste.
3. Ich bin Ihnen, lieber Herr Professor Becker, und Herrn Professor Rehbinder sehr dankbar, dass das Institut für Urheber- und Medienrecht dieses Symposium organisiert hat. Nicht nur, dass sie uns so ein Stück Arbeit abgenommen haben; es dokumentiert auch unseren Willen, die interessierten Kreise in die Neugestaltung mit einzubinden.
4. Gestatten Sie mir zunächst einen Blick zurück in den Ersten Korb. Wir haben das Recht des Urhebers jetzt auch auf die Verwertung im Internet ausgedehnt. Diese Klarstellung war vor allem deshalb wichtig, weil von diesem neuen Medium Gefahren für das geistige Eigentum drohen, die es zu regeln gilt. Sie als Angehörige der Urheberrechtsfamilie wissen, wie relativ jung das geistige Eigentumsrecht ist - im Vergleich mit dem Eigentum an körperlichen Gegenständen. Noch zu Goethes Zeiten gab es in Deutschland keinen Schutz vor dem willkürlichen Nachdruck literarischer Werke. Es war ein langer, beschwerlicher Weg zur gesetzlichen Verfestigung des Urheberrechts. Wir müssen auf der Hut sein, dass dieses Recht der Kreativen mit den Möglichkeiten moderner Informationstechnik nicht wieder zerrinnt.
5. Deshalb war es wichtig, Urheber, die ihr Eigentum durch Kopiersperren schützen, vor der Umgehung dieser Sperren zu bewahren, soweit dies gesetzlich möglich ist. Notwendig war zudem die Klarstellung, dass die Privatkopie auch digital zulässig ist. Daraus folgt aber, dass für diese digitale Kopie - in Gestalt der Abgabe auf Kopiergeräte - bezahlt werden muss, was bisher zum Teil bestritten wurde. Für die analoge Privatkopie galt die Maxime:
- Was wir schützen können, schützen wir.
- Wo wir nicht schützen können, kassieren wir.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, das für die digitale Kopie anders zu sehen. Sie wissen: Der Vermittlungsausschuss hat die Zulässigkeit der Privatkopie verboten, wenn die Vorlage offensichtlich rechtswidrig hergestellt wurde. Ich glaube, damit wird die Praxis zurecht kommen.
Für die Wissenschaft ist das schon schwieriger. Sie wird darüber viel nachdenken und schreiben können. Vielleicht wird dann klar, was der Gesetzgeber sich dabei gedacht hat ? oder sich dabei hätte denken müssen.
6. Meine Damen und Herren, beim Blick nach vorn - in den Zweiten Korb - sehen wir eine große Zahl von Fragen, die auf Antwort warten. In der Einladung zum heutigen Symposium klingen sie schon an. Unser Fragebogen hat sie noch näher aufgelistet. Der - für sehr viele - wichtigste Punkt ist dabei die Vergütung. Am weitesten geht die Frage, ob das im Jahre 1965 gefundene Konzept der Legalisierung der Privatkopie um den Preis der Geräteabgabe und die 1985 eingeführte Leerkassettenabgabe auch heute noch beibehalten werden sollen. Diese Lösungen waren 1965 und 1985 wirklich genial, aber heute werden sie - wie vieles Überkommene - infrage gestellt. Die Gerätehersteller weisen nämlich darauf hin, dass es inzwischen technische Möglichkeiten gibt, Inhalte zu schützen und kontrolliert abrufen zu lassen. Deshalb müsse man von der kollektiven Wahrnehmung der Rechte zur individuellen Verwertung übergehen. Das Stichwort ist Digital Rights Management.
Es ist wirklich zu bedauern, dass die EU bislang angesichts der unterschiedlichen Vergütungssysteme vor der Aufgabe kapituliert hat, hier für eine Harmonisierung zu sorgen. Daraus entsteht für unser nationales Urheberrecht ein schwieriger Zielkonflikt:
- Wir wollen dem Urheber eine möglichst angemessene Vergütung sichern.
- Wir wollen aber nicht, dass durch Sonderwege der deutsche Markt für die betroffenen Geräte und Leerträgermedien unzumutbar belastet wird.
Wo z.B. ein Drucker nur noch 50 Euro und weniger kostet, kann man ihn vernünftigerweise nicht mit 5 Euro für die Urheber belasten. Denn sonst bestellen die Verbraucher ihn demnächst in Ländern, wo es diese Abgabe nicht gibt - diese Verbraucherflexibilität ist auch eine Folge der neuen Technik. Die Verwertungsgesellschaften sollten sich recht bald auf solche ökonomischen Grundtatsachen einstellen.
Auf der anderen Seite wird die Forderung nach einem sofortigen Ausstieg aus der Geräteabgabe im Zweiten Korb noch nicht erfüllbar sein. Ein solcher Systemwechsel braucht Zeit und einen längeren Vorlauf. Und einen Rest an Gerätevergütungen wird es auch dann noch geben müssen, wenn die DRM-Systeme flächendeckend arbeiten. Denn nicht alles wird sich schützen lassen, z.B. das, was ungeschützt bereits auf dem Markt ist. Und man wird wohl auch nicht jedermann zwingen können, entweder seine Inhalte zu verschlüsseln oder auf sein Eigentum zu verzichten. Schwierige Fragen. Und das waren nur Ausschnitte aus der Vergütungsproblematik. Die Diskussionen werden deshalb nicht einfach sein. Aber wir müssen zu angemessenen Lösungen kommen. Dabei wird der Gesetzgeber künftig in einigen Bereichen nur die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen bestimmen können. Angesichts der sich weiterhin rasant entwickelnden Technik werden Details von den Betroffenen und ihren Verbänden in Vereinbarungen geregelt werden müssen. Unter Umständen würde auch dabei eine Fortsetzung der Mediation helfen, die das Bundesministerium der Justiz im vorigen Jahr versucht hat. Hätten die Beteiligten damals alle zugestimmt, wären wir schon heute ein Stück weiter.
7. Eine weitere strittig gebliebene Frage: Soll die Privatkopie auch bei Kopiersperren durchsetzbar gemacht werden. Hier gerät das geistige Eigentum in Konflikt mit Interessen der Verbraucherschützer und der Informationsfreiheit. Aber auch die Frage der Sozialpflichtigkeit des Eigentums stellt sich, nimmt man z.B. Gruppen von Behinderten in den Blick. Ich kann darauf heute noch keine Antwort geben. Ihr guter Rat wird mir deshalb sehr hilfreich sein.
8. Neben diesen schwierigsten Fragen gibt es eine Reihe anderer, die sich wohl leichter lösen lassen:
- Die Archivproblematik
In den Archiven - insbesondere der Rundfunkanstalten - lagern alte Schätze, die für die digitale Verwendung praktisch nicht nutzbar sind. Dank der Vorarbeiten der Arbeitsgruppe im Erich-Pommer-Institut sind hier schon Lösungen in Sicht.
- Auch das Problem des elektronischen Pressespiegels scheint sich durch die einschlägige Entscheidung des BGH und durch die Verhandlungen der VG-Wort mit den Zeitungsverlegern lösen zu lassen.
9. Ich will es bei dieser unvollständigen Vorschau belassen. Wichtig ist mir aber noch ein Hinweis darauf, wie wir die Arbeit am Zweiten Korb organisieren wollen: Wie schon gesagt: Kein leeres Blatt Papier, sondern kooperative Gesetzgebung, wie ich es einmal nennen möchte. Die Kooperation mit den beteiligten Kreisen soll sich nicht auf den heutigen Tag beschränken. Sie soll unmittelbar nach diesem Symposium in einer "Arbeitsgruppe Zweiter Korb" organisiert werden, die von Herrn Dr. Hucko geleitet wird. In diese Arbeitsgruppe werde ich Repräsentanten der beteiligten Verbände, einige Wissenschaftler und Praktiker berufen. Ich bitte schon jetzt um Verständnis dafür, dass die Größe der Arbeitsgruppe nicht über 20 Mitglieder hinaus gehen soll, damit sie arbeitsfähig bleibt.
Die Arbeitsgruppe Zweiter Korb soll
- Sachkunde bündeln, kulturelle, ökonomische und technische Sachverhalte klären und aufbereiten,
- Vorschläge und Forderungen von Interessenverbänden sammeln, diskutieren und abwägen,
- um eine Annäherung der kontroversen Standpunkte ringen und Kompromisse suchen,
- und Transparenz und eine fortwährende Anhörung der beteiligten Kreise gewährleisten.
Die Arbeitsgruppe soll in etwa monatlichen Sitzungen relativ schnell zu Ergebnissen kommen. Zu Spezialthemen wird es Unterarbeitsgruppen geben, die der Hauptarbeitsgruppe zuarbeiten. Die Mitarbeit in den Unterarbeitsgruppen setzt nicht die Mitgliedschaft in der Hauptarbeitsgruppe voraus. Auf diese Weise kann weiterer Sachverstand zu ganz speziellen Themen nutzbar gemacht werden. Die konstituierende Sitzung der Arbeitsgruppe Zweiter Korb ist für Mitte Oktober vorgesehen. Die Beratungen in der Arbeitsgruppe sollten bis Ostern 2004 vorläufig abgeschlossen sein. Auf der Grundlage der Ergebnisse wird das Bundesministerium der Justiz den Referentenentwurf für den Zweiten Korb noch vor der Sommerpause 2004 vorlegen.
Das ist ein ehrgeiziger Zeitplan. Aber ohne Ehrgeiz erreicht man nichts. Und nebenbei bemerkt: Das Konzept des Zweiten Korbs hat die Arbeit am Ersten Korb wesentlich beschleunigt. Zur Not müssen wir noch einen Dritten Korb flechten, um den Zweiten Korb schneller ans Ziel zu bringen.
10. Ihnen allen nochmals vielen Dank für Ihr Kommen und für Ihre Mitwirkung an dem Auftakt zum Zweiten Korb. Es gibt viel zu tun. Also packen wir\'s an!