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Kultur-Stiftung der Deutschen Bank fördert Musiktage bis einschl. 2003 / Ab sofort 50.000 Euro jährlich aus SWR2 Mitteln für Sonderprojekte / Christina Weiss bekennt sich ausdrücklich zu Musiktagen / Stadt Donaueschingen plant neue Konzerthalle
Abschlussmeldung Donaueschinger Musiktage 2002Donaueschingen/Baden-Baden. "Auch nach dem Auslaufen der Förderung der Donaueschinger Musiktage durch die Kultur-Stiftung der Deutschen Bank im Jahr 2004 wird das älteste Festival für Neue Musik als jährliche Veranstaltung finanzierbar sein." Das bestätigte Dr. Hildegard Bußmann, Programmchefin von SWR2, in Vertretung des SWR-Hörfunkdirektors am Sonntagnachmittag (20.10.) bei der Abschlusspressekonferenz der Donaueschinger Musiktage 2002. Der Rückzug der Kultur-Stiftung nach sieben Jahren intensiver Förderung komme nicht unerwartet, sondern sei schon vor Jahren auf diesen Termin festgelegt worden. Deshalb führe der SWR schon seit geraumer Zeit Gespräche mit potenziellen neuen Partnern, die auch schon weit fortgeschritten seien - allerdings könne man Ergebnisse dieser Gespräche noch nicht an die Öffentlichkeit geben, um die Verhandlungen nicht zu gefährden. Wichtig sei es vor allen Dingen Partner zu finden, die sich auf längere Zeiträume festlegen, um "nicht alle paar Jahre wieder auf die Suche gehen zu müssen". Bußmann dankte ausdrücklich dem Land Baden-Württemberg sowie der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank, die über ihr alljährliches finanzielles Engagement hinaus durch eine zusätzliche Förderung in diesem Jahr das Konzert der Neuen Vocalsolisten Stuttgart mit der Strobelstiftung des SWR ermöglicht haben. "Programmatische Vielfalt und Qualität der Donaueschinger Musiktage werden durch Förderungen dieser Art gestützt und letztlich gewährleistet", erklärte Bußmann. Sie bestätigte außerdem, dass durch Umschichtungen im Etat von SWR2 ab sofort 50.000 - jährlich für Sonderprojekte der Musiktage zur Verfügung gestellt werden.
Bereits am Samstag bei der Verleihung des Karl-Sczuka-Preises hatte die designierte Kulturstaatsministerin Christina Weiss noch einmal ein deutliches Bekenntnis zu den Musiktagen formuliert, die sie als "eines der wichtigsten und anregendsten Ereignisse im jährlichen Festivalkalender" bezeichnete. Weiss: "Zum gleichen Termin vor die Wahl gestellt zwischen Bayreuth und Donaueschingen würde ich mich immer für die Musiktage entscheiden, weil hier alljährlich unerhörtes zu Gehör gebracht wird und künstlerische Grenzerfahrungen möglich sind."
An diese Aussage anknüpfend, wies Festivalleiter Armin Köhler in der Pressekonferenz am Sonntag darauf hin, dass die Musiktage "hinsichtlich ihrer Funktion, ästhetischen Ausrichtung und Präsentation eine singuläre Erscheinung" im internationalen Festivalgeschehen seien. In einer Standortbestimmung bezeichnete Köhler die Musiktage als "eine Art Branchentreff, bei dem die Musik zu sich selbst kommen kann." Dabei gehe es jedoch nicht um einen elitären hermetischen Kunstbegriff, sondern darum, "Voraussetzungen zu schaffen, die außerhalb merkantiler Rahmenbedingungen und Kriterien liegen." Köhler betonte: "Gerade weil die Musiktage ein reines Uraufführungsfestival sind, schlagen sich hier die gesellschaftlich und kulturell relevanten Paradigmenwechsel unmittelbar nieder - und das ist zurzeit vor allem eine Abwendung vom Geniekult, die in allen Künsten zu verzeichnen ist." Daraus stelle sich allerdings die Frage, was diese Entwicklung für eine Festivalkultur bedeute, die bisher auf ebendiesen Geniekult gesetzt habe. Eine mögliche Antwort, so Köhler, liege in der Verlagerung "weg vom Werkbegriff, hin zu einer Wirkungsästhetik, die dem Zuhörer größere Kompetenzen zuweist". Künstlerisch äußere sich dieser Prozess u.a. darin dass die Künstler Formen entwickeln, die sich zwischen Konzert, Performance und Installation bewegen: "Diesen Formen werden wir uns auch in Zukunft verstärkt zuwenden." Aufgabe der Musiktage, so Köhler weiter, sei es "eine gespannte Erwartungslosigkeit des Publikums zu fördern, die nicht länger immer nur auf vermeintliche Meisterwerke zielt". Deshalb werde man auch in Zukunft "unbedingt an der Konzeption eines reinen Uraufführungsfestivals festhalten". Köhler: "Wir verstehen uns explizit als Arbeitsfestival, als "Baustelle Musik", denn bei allen Risiken "birgt nur die Uraufführung das Potenzial wirklich Neues zu schaffen." Dem Anspruch eines Arbeitsfestivals entsprechend, sei in diesem Jahr mit dem "Roundtable" nach dem Eröffnungskonzert erstmals ein Forum geschaffen worden, um öffentlich über die Entwicklungen der Neuen Musik und der internationalen Festivallandschaft zu debattieren.
Nach einem Dank an den Südwestrundfunk, den er als "wie immer hoch professionellen Veranstalter" bezeichnete "der auch in künstlerischer Hinsicht ganz hervorragende Arbeit geleistet hat", stellte Dr. Bernhard Everke, Oberbürgermeister der Stadt Donaueschingen, die Pläne für den Bau eines neuen Konzertsaales in Donaueschingen vor, "der auch als Werkstatt nutzbar sein wird, und damit allen modernen Anforderungen gerecht wird". Nach einer offiziellen Ausschreibung sei aus 36 Bewerbern der Entwurf der Architekten-Arbeitsgemeinschaft Schaub aus Konstanz und Ludzuweit aus Donaueschingen als Sieger hervorgegangen. Ihr Plan, eine Halle für maximal 500 Besucher als Aufbau über dem Foyer zwischen Donauhalle A und B zu platzieren, sei "klar, einfach und überzeugend". Allerdings wies Everke darauf, dass "die Verwirklichung des Baus noch nicht absehbar" sei, da die Kosten von voraussichtlich 10 Millionen Euro noch nicht gedeckt seien: "Wir haben jetzt einen hervorragenden Plan, der hohe Priorität vor vielen anderen Vorhaben hat. Mit vereinten Kräften streben wir an, den Neubau mittelfristig zu verwirklichen."
Dorothea Enderle, Leiterin der SWR2 Musikredaktion, hob hervor, dass Neue Musik auch über die Aufführungen der Donaueschinger Musiktage und den damit verbundenen Sendungen hinaus eine wichtige Rolle im Programm von SWR2 spiele: "Mit einem regelmäßigen und attraktiven Programmplatz am Dienstagabend um 19.00 Uhr, der Hörgeschichte der Musik des 20. Jahrhunderts, die regelmäßig am Montagabend zu hören ist und deren Internetauftritt ungewöhnlich hohe Zugriffszahlen verzeichnet, und mit neuen Sendeplätzen für experimentellen Jazz drängen wir Neues und Experimentelles nicht wie viele andere Sender an den Rand, sondern geben neuen musikalischen Entwicklungen Raum. Dabei verstehen wir uns ausdrücklich als Einschaltradio." Zusätzlich zu diesem programmlichen Engagement verwies Enderle auf die Veranstaltungsreihe "Jetzt Musik" , die seit drei Jahren erfolgreich Aufführungen Neuer Musik präsentiere.
Für die neuen Entwicklungen in der SWR-Jazzredaktion zeichnet seit 1. Juli 2002 Dr. Reinhard Kager verantwortlich, der die Nachfolge des bisherigen SWR-Jazzredakteurs Achim Hebgen angetreten hat. Mit der Einladung von Wolfgang Mitterer, der bereits im vergangenen Jahr mit einem Klavierkonzert im Festival als Komponist präsent war, und dem Duo Ikue Mori/Marina Rosenfeld setzte Kager deutliche Zeichen für die neue Akzentuierung des Jazzbeitrages der Musiktage im Zwischenbereich von improvisierter und komponierter Musik, von experimenteller elektronischer und akustischer Improvisation. Erweitert wurde die Jazz-Session erstmals durch eine nächtliche House- und Video-Performance mit dem Heidelberger DJ move_d und dem VJ-Projekt genericPreset. Aufgrund langjähriger Erfahrungen mit neuer Musik vertritt Kager einen offenen Jazzbegriff, der auch abseits des Mainstreams liegenden Strömungen große Beachtung schenkt. Deshalb, so Kager, würden künftig verstärkt experimentelle Strömungen aus Grenzbereichen in die Programme der SWR2-Jazzredaktion integriert: "Gerade weil die Polarisierung im heutigen Jazz so groß ist, wie wohl noch nie zuvor in seiner Geschichte, und innovationsfreudige Improvisatoren durch die Dominanz des Mainstream immer mehr an der Rand gedrängt werden, gilt es in verstärktem Maße, diese kreative Improvisationsmusik zu fördern und den Zuhörern zu vermitteln, dafür haben wir u.a. im Oktober die neue Programmschiene "NOWJazz" in SWR2 gestartet."
Gut 10.000 Konzertbesucher bei Donaueschinger Musiktagen 2002
Fachpublikum aus dem In- und Ausland sah 20 Uraufführungen von Künstlern aus 15 Nationen
Donaueschingen/Baden-Baden. Auch in diesem Jahr zogen die Donaueschinger Musiktage wieder zahlreiche Künstler und Fachpublikum aus dem In- und Ausland an: Alle Veranstaltungen waren ausverkauft. Insgesamt erlebten gut 10.000 Zuschauer 20 Uraufführungen und eine Deutsche Erstaufführung von Künstlern aus 15 Nationen. Wie immer bei den Musiktagen waren alle Kompositionen Auftragswerke des Südwestrundfunks.
Schwerpunkt der diesjährigen Musiktage war das vielfältige Beziehungsgefüge zwischen Klang und Stimme. Dabei bewegten sich die Werke der beteiligten Künstlerinnen und Künstler in den Grenzgebieten zwischen orchestralem bzw. elektroakustischem Klang, Soloinstrument, Chor, Solostimme, Musiksprechen, Lautpoesie, Sprachmaschinentheater und Gebärdensprache. Im Zentrum des internationalen Interesses standen das Eröffnungskonzert mit dem SWR-Vokalensemble Stuttgart und dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von Peter Rundel und Daniel Reuss, in dem Werke von George Lopez, Karin Rehnqvist und Franck Christoph Yeznikian uraufgeführt wurden, sowie das Abschlusskonzert am Sonntag mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von Sylvain Cambreling mit Werken von Bernhard Lang, Klaus Huber und der israelischen Komponistin Chaya Czernowin.
Ein weiterer Höhepunkt war die Uraufführung von Julio Estradas "Murmullos" mit den Stuttgarter Vocalsolisten und dem Freiburger Experimentalstudio der Heinrich Strobel-Stiftung am Samstagmorgen. Im gleichen Konzert standen auch Werke von Gerard Pape aus Kanada, Alan Hilario von den Philipinen und von Misato Mochizuki aus Japan auf dem Programm, die alle mit unterschiedlichen Formen der elektro-akustischen Transformation des stimmlichen Materials und dessen räumlicher Konfiguration arbeiteten. Aufsehen erregte auch Helmut Oehrings Komposition "Er. Eine She" mit drei gehörlosen Gebärdensolisten. Philippe Broutin aus Frankreich, Amanda Stewart aus Australien und Jaap Blonk aus Holland bewegten sich dagegen eher an der Nahtstelle zwischen Musik und lautpoetischer Struktur. Daran knüpfte auch Josef Anton Riedl im Konzert am Sonntagmorgen an, indem er mit Elementen des Musiksprechens, der Elektronik, des percussiven Instrumentalklangs operierte, wobei die Akteure über eine Videoinstallation in einen Dialog mit sich selbst traten. Ergänzt wurde dieses Konzert durch Beiträge der jüngsten Autoren des Festivals: Jennifer Walshe aus Irland und Michal Nejtek aus Tschechien.
Die nächsten Donaueschinger Musiktage finden von 17. bis 19. Oktober 2003 statt. Geplant sind u.a. Uraufführungen von Peter Ablinger, Antoine Beuger, Dror Feiler, Reinhard Fuchs, Georg Friedrich Haas, Arnulf Hermann, Klaus K. Hübler, Pierre Jodlowsky, Rolf Julius, Vadim Karassikov, Hanspeter Kyburz, Isabel Mundry, Immanuel Nunes, Georg Nussbaumer, Enno Poppe, Philipp Schoeller und Walter Zimmermann.
Informationen zu allen Komponisten und Werken der diesjährigen Musiktage finden Sie im Internet unter www.swr.de/donaueschingen
Dort werden jeweils zu den Sendeterminen im SWR2 Abendkonzert (18.10. bis 5.10., jew. 21.00 Uhr) Online-Dokumentationen der Uraufführungen eingestellt.
Bei Rückfragen und für Bildanfragen zu den Donaueschinger Musiktagen 2002 wenden Sie sich bitte an die SWR2 Programmpresse, Georg Brandl, Tel. 07221/929 3854,
E-Mail: georg.brandl [at] swr.de (georg[dot]brandl[at]swr[dot]de)