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Kulturpolitik einer Großen Koalition: Schritte zur Neuen Staatskultur?!

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Nach der Bundestagswahl am 19. September wird immer wahrscheinlicher, dass eine Große Koalition von SPD/CDU/CSU die nächste Bundesregierung stellt. Es geht um eine stabile Regierung, es geht auch um die Reform und Gesundung Deutschlands. Den Bürger erwartet eine „Schnittmengen“-Politik: Die Gemeinsamkeiten aus den Regierungsparteien in Steuer- und Wirtschaftspolitik, in Außenpolitik und Sozialpolitik – doch von Kulturpolitik ist bis jetzt nichts zu hören. Kann denn Kulturpolitik keinen Beitrag zur Reform Deutschlands leisten? Gehört Kulturpolitik nicht auf die Agenda der TOP-Themen? Und was wäre denn eine Kultur-Schnittmengen-Politik, die zur Wiederbelebung Deutschlands beiträgt?

Die Antwort liegt unerkannt in den vielen Zeilen der Wahlprogramme und der Wahlprüfsteine des Deutschen Kulturrates: Eine Reform für mehr bürgerschaftliches Engagement, für Ehrenamt- und Freiwilligen-Dienste könnte der Kern einer Kulturpolitik der Großen Koalition sein. Es wäre nicht nur eine Schnittmenge einer Großen Koalition, doch auch eine bedeutende Staatsreform: Reformen für eine aktive Bürgergesellschaft würde einen Richtungswechsel einläuten, der möglicherweise radikaler wäre als jeder „Kirchhoff“.


Reform für das Ehrenamt: Eine Jahrhundert-Reform?

Ehrenamt und Freiwilligentätigkeit – das klingt alltäglich. Das klingt nicht nach Jahrhundert-Reform! Und doch ist es dies: Wenn ein Staat finanziell so verschuldet und ausgeblutet ist wie Deutschland, gewinnt die Frage, wie seine Bürger sich vermehrt für das öffentliche Wohl, für öffentliche Aufgaben engagieren können, an Schärfe – insbesondere wenn diese Bürger dies freiwillig und kostenlos tun wollen. Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), gegründet 2002 nach der Empfehlung einer Enquete im Deutschen Bundestag, bringt es auf den (auch materiellen) Punkt : „Die Bürgergesellschaft erbringt eigenständige Beiträge zur Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme, die weder Markt noch Staat allein leisten können.“


Eine Reform ohne Belastung des Staatshaushaltes ist möglich!

Trotzdem ist seit Jahren die Aufgabe, wie dieses „bürgerschaftliche Engagement“ gestärkt werden kann, weitgehend ungelöst: Wie kann der deutsche Staat sich so verhalten, dass seine Bürger vermehrt ehrenamtlich tätig sind? Und wie kann dies funktionieren, wenn die öffentlichen Budgets nicht erhöht werden? Wie kann aus dem Weniger ein Mehr werden? Die Enquete-Kommission, das Maecentas-Institut, der Deutsche Kulturrat mit seinen 200 Kulturverbänden, das BBE und viele andere Institute haben Vorschläge gemacht: Eine Projektgruppe des BBE formuliert: „Rechtliche, organisatorische und finanzielle Bedingungen haben entscheidenden Einfluss darauf, ob und inwiefern Engagement möglich ist, es gewollt, unterstützt und gefördert oder blockiert, eingeengt und verhindert wird. Anzustrebende Veränderungen zielen darauf ab, dass sich Familie, Erwerbsleben und bürgerschaftliches Engagement besser miteinander vereinbaren lassen und für den einzelnen finanziell leistbar ist..“ Präzise (Gesetzes-)Vorschläge liegen also auf dem Tisch. Hier sind zwei Kernpunkte herausgegriffen.


1. Wie wird aus dem Weniger mehr? Zur Ineffizienz der Fehlbedarsfinanzierung

Die SPD hat in ihrer Antwort auf die Wahlprüfsteine des Deutschen Kulturrates des Rätsels Lösung – wie wird aus dem Weniger mehr? – indirekt formuliert. Die jetzige Methode der Mittelvergabe, die Fehlbedarfsfinanzierung, ist nicht „eine Optimierung der Resultate, für die wir Finanzmittel einsetzen.“ Fehlbedarfsfinanzierung bedeutet, dass der Staat das Projekt bezuschusst, indem die finanzielle Unterdeckung eines Projektes zum Teil oder ganz bezahlt wird. Ein Beispiel in Zahlen: Bei 100.000 € Projektkosten verbleibt nach Abzug von Projekteinnahmen in Höhe von 80.000 € (z.B. aus Eintrittskarten und Sponsorengeldern) ein Defizit, der sog. Fehlbedarf, in Höhe von 20.000€. Der Staat kommt dann für dieses Projektdefizit auf. Und warum ist dies nicht effizient?
Erstens bedeutet dies: Je defizitärer ein Projekt ist, je mehr staatlicher Zuschuss ist möglich. Für den Projektträger ist es individuell völlig rational, das Projektdefizit zu steigern – anstatt zu mindern, wie es für die Gemeinschaft sinnvoll wäre. Zweitens gibt es keinen Anreiz für den Projektträger, Spenden oder Sponsoringgelder einzuwerben, denn: Diese Drittmittel müssen zuerst in voller Höhe an die staatliche Förderstelle geleitet werden, um den staatlichen Zuschuss zu senken. Das vom Projektträger eingeworbene Geld wird nicht, auch nicht zum Teil für das Projekt eingesetzt, sondern für den Staatshaushalt, und genau dies stoppt jede Motivation des Projektträgers zur Akquise von Drittmitteln. Der Staat verhindert so selbst, dass seine Investitionen positive Mitwirkung anderer, sprich Zusatzinvestitionen, zur Folge hat. Auch die CDU/CSU spricht davon, künftig eine „unbürokratisch gestaltete“ Vergabe öffentlicher Mittel zu praktizieren und hat höchstwahrscheinlich auch die Abschaffung dieser Fehlbedarfsfinanzierung gemeint. Der BBE hält der Politik vor, dass das „bestehende Zuwendungsrecht- und Gemeinnützigkeitsrecht dringend zu modernisieren ist.“ In der Tat ist die Fehlbedarfsfinanzierung nichts anderes als eine öffentliche sanktionierte Schuldenmaschine und ein staatlicher motivierter Drittmittelstop.


2. Leben nach dem Haushaltsrecht? Oder Verwaltung an der Lebenswirklichkeit ausrichten?

Doch eine Abschaffung der Fehlbedarffinanzierung allein würde nicht genügen – wie es CDU/CSU in ihrer Antwort richtig benennt: Die Träger brauchen zusätzlich „langfristig verlässliche Zusagen.“ Hinter dieser kurzen Aussage verbirgt sich eine jahrelange Debatte: Zur Zeit verwaltet der deutsche Staat Steuergelder nach dem Jährlichkeitsprinzip, und dies bedeutet: Jedes Projekt muss innerhalb eines Jahres finanziell beendet sein. Mehrjährige Projekte können nur finanziert werden, in dem man jedes Jahr neue Anträge stellt. Doch ehrenamtliche Projekte an Schulen beispielsweise zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie eine mehrjährige Vorbereitungs- oder Laufzeit haben. Ehrenamts-Rhythmus und Haushalts-Rhythmus schlagen nicht synchron. Daher können viele Kulturinitiativen bei noch so großem Interesse keine staatlichen Gelder beantragen –sie sind schlicht nicht einjährig. Der Staat hat ein Haushaltsrecht geschaffen, dass nicht zur Lebenswelt der Empfänger passt. So ist es in der Tat kein Wunder, dass bürgerschaftliches Engagement noch nicht ausgeschöpft ist. Tritt der Staat hier zu Recht als Verhinderer auf? Muss er das Jährlichkeitsprinzip anwenden, weil anders die Mittelverwendung nicht kontrollierbar ist? Oder: Müssen Ehrenamtliche und Freiwillge endlich lernen, einjährig zu arbeiten?

Aus Sicht des Bundesfinanzministeriums ist nur durch dieses Prinzip der Jährlichkeit eine „nachvollziehbare und sparsame Verwendung von Steuergeldern gewährleistet.“ Doch ganz kann dies nicht stimmen, denn jeder weiß: Das Jährlichkeitsprinzip veranlasst so gut wie jede Dienststelle ihre Budgets zum Jahresende zwangsweise auszugeben: Das sog. „Dezemberfieber“. Viele Firmen sind darauf spezialisiert, in den letzten Wochen des Jahres staatliche Gelder abzurufen – und dann in nur 10 Tagen im November das Projekt abzuschließen, beim Ministerium abzuliefern und sich das Geld auszahlen zu lassen. Das ist Akkord-Arbeit und schnell verdientes Geld, doch ist es effizient? Hier sollte das Finanzministerium auch allein schon aus Effizienzgründen handeln

Doch der Staat könnte auch Vorreiter sein – so schlägt der BBE vor, dass der Bund als Arbeitgeber „durch Freistellungsangebote das bürgerschaftliche Engagement seiner Beschäftigten anerkennen und fördern“ könnte.


Ziel der Politik: Verwaltungswelt oder Lebenswelt?

Aus Sicht der bürgerschaftlich Engagierten ist die Frage jedoch eine andere: Wie kann es sein, dass wir uns für gemeinnützige Zwecke engagieren – und der Staat ist nicht in der Lage in seiner Verwaltung, die Lebensrealität abzubilden? Dies ist nicht nur ineffizient, sondern demotivierend. Das Wort vom „Zuwendungsrecht“, so heißt dieses Verwaltungsrecht, muss jedem Betroffenen zynisch erscheinen: Nicht der Staat wendet sich dem Bürger zu, sondern der Staat erwartet, dass der Bürger seine Planungen nach den staatlichen Verwaltungen ausrichtet. Doch wer mehr bürgerschaftliches Engagement will, muss den Staat als Dienstleister für ehrenamtliche Engagierte verstehen. Die staatliche Verwaltung müsste die Verwendung staatlicher Mittel nicht nachträglich kontrollieren – dann ist der Schaden ja auch schon passiert, sondern die Verwaltung müsste während des Projektes die richtige Mittelverwendung beraten und sicherstellen. Die staatliche Verwaltung wäre eine Serviceagentur zur effizienten Mittelausgabe (- im übrigen oft genug an die Leute, die es dem Staat zuerst gegeben haben). Diese Verwaltungsreform käme einer Staatsreform gleich – sie würde das heutige Grundverständnis vom Staat auf den Kopf stellen. Die Abschaffung des Jährlichkeitsprinzip wäre so ein Schritt zu einer neuen Staatskultur, zu einem demütigen Staat, der sich die Ehre gibt, die Lebenswelt seiner Bürger wahrzunehmen und sich darauf einzustellen. Die Abschaffung des Jährlichkeitsprinzips wäre ein Mini-Test, ob Politik umdenken kann – von einer staatsorientierten Politik zu einer lebensweltorientierten Politik.


Kulturpolitik für eine Neue Staatskultur

Alle Parteien sind sich einig, auch eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag hat es gegeben: Man will mehr Bürger zum Ehrenamt bewegen. Selbst Finanzpolitikern dürfte dies einleuchten: Eine Ehrenamts-Politik muss nicht haushaltsbelastend wirken. Angesichts der absehbaren Sparmaßnahmen in Höhe von mehreren 10 Mrd. € pro Jahr, die eine Große Koalition wohl auch beschließen müsste (siehe sog. Eichel Giftliste), würde eine Ehrenamts-Politik zumindest also nicht auf eine Ablehnung in den Groß-Koalitionsparteien stoßen. Angesichts der Sparzwänge verbleiben der Kulturpolitik vielleicht ohnehin nur noch Politikansätze, die keine Mehrausgaben erfordern. (P.S. für diejenigen Politiker, die immer nur die alte Wahlkampfsprache verstehen: Der aktuelle Freiwilligensurvey belegt, dass ein Drittel aller Bundesbürger (36%) über 14 Jahre bürgerschaftlich aktiv sind: Wäre das nicht eine Zielgruppe für die nächsten Wahlen?)

Diese Kulturpolitik für Ehrenamtliche käme einer Staatsreform gleich, die auch ein Schritt zu einer neuen Staatskultur wäre. Kulturpolitik als Testfall für eine neue Staatskultur – oder eine doch nur lächerliche Verwaltungsherausforderung gemessen an den großen Staatsaufgaben? Kulturpolitik ist mehr als nur ein Sturm im Wasserglas, wenn es gelingt, mit noch so lächerlichen neuen Verwaltungsvorschriften eine Reform des Vertrauens zwischen Bürgern und Staat einzuleiten: Um nichts weniger geht es nach dieser Wahl!

Bernd Fesel
Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft
September 2005
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