Kulturpolitik und Informationsgesellschaft scheinen zunächst zwei Bereiche zu sein, die weit auseinander liegen. Unter Kulturpolitik wird zumeist die Förderung von Kultureinrichtungen oder kulturellen Projekten, also Förderpolitik, verstanden. Die Entwicklung der Informationsgesellschaft wird als politische Aufgabe in erster Linie von der Wirtschafts- und Technologiepolitik aufgegriffen. Kulturpolitik erscheint in diesem Zusammenhang häufig als Randthema.
Diese Betrachtungsweise hängt u.a. auch damit zusammen, dass gerade in den letzten beiden Jahren die Kulturpolitik stark auf die bereits angeführte Förderpolitik fokussiert wurde. Im Mittelpunkt der Debatte stand und steht immer noch die Aktivierung privater Mittel für Kultureinrichtungen, kulturelle Projekte sowie für Künstlerinnen und Künstler. Die Debatte um die Reform des Stiftungssteuer- und des Stiftungszivilrechts ist zu erheblichen Teilen eine Diskussion um künftige Wege der Kulturfinanzierung.
Die Dominanz der staatlichen Förderpolitik in der kulturpolitischen Debatte hat zur Folge, dass die Kulturwirtschaft wie z.B. Galerien, Tonträgerhersteller, Verlage aus dem Blick geraten und damit ebenso die Künstlerinnen und Künstler.
Die Entwicklung der Informationsgesellschaft ist eine Herausforderung für alle Politikfelder, so selbstverständlich auch für die Kulturpolitik. Wie kaum eine andere technische Neuerung in der Vergangenheit verändert die Entwicklung der Informationsgesellschaft alle Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens innerhalb kürzester Zeit. Dauerte die Industrialisierung noch mehrere Jahrzehnte, bis sie im Wirtschaftsleben Platz griff, verändern die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien innerhalb weniger Jahre Produktion und Handel. Auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen und Zeitschriften ist von den Chancen und Risiken der new economy die Rede und fast könnte man meinen, die herkömmliche Ökonomie sei von gestern.
Überholt uns also die Realität der Informationsgesellschaft und wird damit jedes Nachdenken über eine zukunftsfähige Kulturpolitik in der Informationsgesellschaft zu einem „Nach“-denken im Sinne es „Hinterher“-denkens? Ich meine entschieden, dass dies nicht der Fall sein darf. Meines Erachtens ist es vielmehr die vornehmste Aufgabe der Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker, Ideen, Visionen für eine zukunftsfähige Kulturpolitik zu entwickeln und hierfür zu streiten. Die Informationsgesellschaft ist dabei der Hintergrund auf dem die neuen Ideen entwickelt werden müssen.
Entwicklung der Informationsgesellschaft heißt zunächst einmal, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien in breitem Umfang in der Produktion, im Dienstleistungssektor und in den privaten Haushalten genutzt werden. Die Nutzung dieser neuen Technologien hat zu beträchtlichen Produktivitätszuwächsen und einer erheblichen Beschleunigung geführt. Ebenfalls können Arbeitsprozesse räumlich getrennt voneinander stattfinden.
Die Informations- und Kommunikationstechnologien verändern auch die Produktion und Distribution in der Kultur- und Medienwirtschaft erheblich. Beispiele hierfür sind in allen Kulturwirtschaftsbranchen zu finden.
Book On Demand, d.h. der Druck von Büchern auf Bestellung ist eine tief greifende Veränderung der gesamten Verlagsbranche. Bücher, die nur auf einen kleinen Kreis an Interessenten treffen, können mit Hilfe der neuen Technologie auf Bestellung in der gewünschten Stückzahl gedruckt werden. Investitionskosten in die Produktion können so gesenkt werden. Ebenso entfallen die Lagerhaltungskosten. Für kleinere Verlage kann die Nutzung dieser Technologie eine Überlebenschance bedeuten, da Kosten gesenkt werden können. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass schon heute der Zwischenbuchhandel, der bislang nicht verlegerisch tätig war, Angebote für books on demand unterbreitet. D.h. der Zwischenbuchhandel erobert für sich ein neues Geschäftsfeld. Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die gesamte Verlagsbranche haben wird, kann heute noch nicht abgeschätzt werden. Es ist aber anzunehmen, dass sich die Situation der mittleren Verlage, die zu klein für internationale Kooperationen und zu groß für das Agieren eines Kleinverlags sind, dramatisch verschärfen wird.
Doch nicht nur der Verlagsbereich verändert sich durch die neuen Produktionsmöglichkeiten. Aufgrund des Internetbuchhandels unterliegt auch der Buchhandel einem Wandlungsprozess. Obwohl die Internetbuchhandlungen wie bol, amazon usw. bislang noch nicht gewinnbringend wirtschaften, werden sie auf Dauer gesehen, am klassischen Buchhandel nicht spurlos vorbeigehen. Daher bleibt auch der Buchhandel von Konzentrationsprozessen nicht verschont. Bereits seit langem gibt es die überregional tätigen Buchhandlungen, die sich mit gemeinsamen Marktingmaßnahmen eine entsprechende Marktposition erobern konnten. Demgegenüber haben sich die Spezialbuchhandlungen etabliert, die mit einem auf ihr Publikum zugeschnittenen Sortiment ihre Marktstellung halten wollen. Auch hier werden die mittleren Buchhandlungen ebenso wie die Verlage Strategien zum wirtschaftlichen Überleben entwickeln müssen.
In Hinblick auf die Tonträgerindustrie zeigt sich, dass die Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien beim Endverbraucher Auswirkungen auf die Marktposition der Kulturwirtschaftsunternehmen hat. Mit MP3 gibt es einen Standard, der es erlaubt, in akzeptabler Geschwindigkeit und Qualität Musik direkt aus dem Internet zu laden. Der Tonträgerindustrie entsteht dadurch ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust, der letztlich zu Lasten des Aufbaus junger noch nicht bekannter Künstlerinnen und Künstler geht.
Die Filmbranche erlebt durch das neue Komprimierungsverfahren derzeit mit ein wenig Verspätung den MP3-Schock der Tonträgerindustrie.
Aber auch die Bildenden Künstlerinnen und Künstler sowie die Galerien stehen vor einer grundsätzlich veränderten Marktsituation.
Was die Künstlerinnen und Künstler betrifft, so kann festgehalten werden, dass in kaum einer anderen künstlerischen Sparte eine so intensive Auseinandersetzung mit den künstlerischen Möglichkeiten, die die neuen Technologien bieten, wie in der Bildenden Kunst stattfindet. Die neuen Technologien setzen auf das Auge. Es sind visuelle Medien. Bildende Künstlerinnen und Künstler arbeiten damit, erforschen sie und es entstehen ganz neuartige spannende Werke. Der Stand der Kunsthochschule für Medien in Köln bei der Art Cologne vermittelt jeweils einen Eindruck von den Arbeiten dieser Künstlergeneration. Die Arbeiten dieser Bildenden Künstler sind aber im herkömmlichen Galeriebetrieb kaum verkäuflich. Welcher Sammler kauft Medienkunst? Wie sollten Gemeinschaftswerke, die im Internet entstehen, verkauft werden können?
Die übliche Aufstiegspyramide für Bildende Künstlerinnen und Künstler greift daher bei Künstlern, die mit neuen Medien arbeiten nicht. Ihre Arbeiten sind auf Museen ausgerichtet, sofern überhaupt ein materielles Produkt entsteht. Wer die Ankaufetats der Museen kennt und weiß, wie schwer es ist, junge Kunst dort zu verkaufen, vermag einzuschätzen, wie schwer es für diese Künstler wird, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aus dem Verkauf ihrer Kunst wird es kaum gelingen.
Doch auch Galerien stehen vor der Frage, wie sie mit einer neuen fast unverkäuflichen Kunstrichtung umgehen. Wird sie ausgeblendet, weil sie nicht verkäuflich ist? Wird sich der Beruf des Galeristen, der Medienkünstler vertritt, verändern? Werden Galerien neue Aufgaben übernehmen müssen?
Über diese Entwicklung hinausgehend wird der Kunsthandel immer internationaler. Die Galerien müssen mit anderen zumindest auf dem europäischen, wenn nicht weltweiten Markt konkurrieren. Das Internet beschleunigt diese Entwicklung noch. Wenn auch Präsentationen im Internet bislang nicht vergleichbaren sinnlichen Eindrücke wie Ausstellungen vermitteln können, ermöglicht das Internet Galerien ihr Angebot weltweit darzustellen. Das Internet kann also als Werbestrategie genutzt werden.
Eine zukünftige und zukunftsfähige Kulturpolitik muss meines Erachtens von der Vorstellung, Kulturpolitik ist allein die Förderung von Kultureinrichtungen, Abstand nehmen. Zwar wird Kulturpolitik immer auch Förderungspolitik bleiben müssen. Dank der staatlichen Kulturförderung verfügt Deutschland über eine einmalige Infrastruktur an Kultureinrichtungen. Es steht meines Erachtens außer Frage, dass der Staat als Kulturstaat auch in der Zukunft die Verpflichtung hat, Einrichtungen wie Museen, Theater oder Bibliotheken zu finanzieren.
Es muss aber ebenso radikal auf den Prüfstand gestellt werden, ob die vorhandenen Formen der Kulturfinanzierung tauglich sind oder ob andere Instrumentarien entwickelt werden müssen, die betriebswirtschaftliches Handeln und die Einwerbung von privaten Mitteln möglich machen.
Kulturpolitik muss aber zugleich wesentlich stärker als bisher darauf achten, dass die Rahmenbedingungen im Arbeits- und Sozialrecht, im Urheberrecht, im Steuerrecht und im Wettbewerbsrecht stimmen.
Der Kulturwirtschaft muss ein erheblich größerer Stellenwert eingeräumt werden. Kulturpolitik der Zukunft muss die Märkte stärker in den Blick nehmen. Und sie muss für einen vernünftigen Ausgleich der Rahmenbedingungen für die Künstler und die Verwerter Sorge tragen. Beide, Künstler und Verwerter, sind existenziell aufeinander angewiesen und beide brauchen vernünftige Rahmenbedingungen, um auf dem Markt Chancen zu haben.
Zukunftsfähige Kulturpolitik muss zugleich dafür Sorge tragen, dass die Unternehmen den europäischen und internationalen Wettbewerb standhalten können. Der Kulturwirtschaftsmarkt Deutschland ist keine Insel. Die Rahmenbedingungen müssen daher so sein, dass die kultur- und medienwirtschaftlichen Unternehmen international konkurrenzfähig sind.
Kulturpolitik muss die Entwicklung der Informationsgesellschaft aufnehmen und Anforderungen für gesetzliche Rahmenbedingungen formulieren.
Olaf Zimmermann
Nov. 2000