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Im ehemaligen Familiendomizil der Klavierbauer-Dynastie Thürmer wird das Pianoforte-Museum in der Meißener Altstadt wiedereröffnet. Wertvolle Exponate aus 170 Jahren Firmengeschichte werden dann wieder zugänglich.
Meißen (ddp-lsc). Noch haben die Handwerker im ersten Stock des Hauses Martinstraße 12 in der historischen Meißner Altstadt das Sagen. Doch die künftigen Museumsräume erstrahlen bereits in neuem Glanz. Bis spätestens Ende Juni 2006 will der Bochumer Klavierbaufabrikant Jan Thürmer im alten Familiendomizil das 1999 eröffnete Pianoforte-Museum wieder für Besucher zugänglich machen. Derzeit stehen die wertvollen Exponate aus 170 Jahren Firmengeschichte noch in Bochum.
Das Museum wurde bei der Hochwasserkatastrophe im August 2002 stark in Mitleidenschaft gezogen. «Über 1,80 Meter standen die Fluten der Triebisch in der ehemaligen Fertigungshalle», erinnert sich der Inhaber des 1834 gegründeten Familienunternehmens. Zum Glück konnten die neun Klaviere und Flügel rechtzeitig in höhere Stockwerke transportiert werden, bevor sie ins «Bochumer Exil» geschafft wurden.
Vier frühere Kontorräume stehen künftig für die einmalige Sammlung zur Verfügung. Neben einem Foyer und zwei Ausstellungsräumen entsteht ein Musikzimmer für Kulturveranstaltungen. Die Thürmers sind Mitveranstalter des jährlichen Pianoforte-Fests in Meißen mit rund 30 Veranstaltungen und Auftritten prominenter Pianisten. Neben den historischen Instrumenten wird an Hand von Texten, Fotos und Modellen an die Geschichte des Unternehmens erinnert, das bis 1946 untrennbar mit Meißen verbunden war.
Thürmer stellt Klaviere und Flügel in der Tradition Gottfried Silbermanns (1683-1753) her. Der geniale sächsische Orgelbauer war auch als Klavierbauer sehr erfolgreich tätig und verbesserte das damals übliche Hammerklavier maßgeblich. Am 1. April 1834 machte sich der Zittauer Ernst Ferdinand Wilhelm Thürmer (1804-1862) in Meißen selbstständig und eröffnete wenige Monate später unter dem Namen «Ferdinand Thürmer» eine eigene Werkstatt. Er hatte in den Klavierfabriken A. Bretschneider in Leipzig und L. Rosenkranz in Dresden gelernt und war auf seiner Wanderschaft bis nach Süddeutschland und in die Schweiz gelangt. In Meißen stellte er «Fortepiano\'s in Flügel- und Tafelform» her.
Die Firma wechselte mehrfach das Domizil. 1862 übernahm Sohn Ferdinand (II.) das Unternehmen. Dieser hatte bei Blüthner in Leipzig gelernt. 1873 wurde der Neubau in der Martinstraße eröffnet. 1884 entstand ein Erweiterungsbau am neuen Firmensitz. Auf der Londoner Weltausstellung 1884 erhielten Thürmer-Klaviere mehrere Auszeichnungen. Das Meißner Unternehmen exportierte Instrumente bis nach Australien.
1897 übernahm der älteste Sohn Ferdinand (III.) das Familienunternehmen und eröffnete zwei Zweigfabriken. 1908 wurden beide zugunsten eines Neubaus aufgegeben, in dem Halbfabrikate gefertigt wurden. Das Unternehmen wuchs stetig weiter, 1920 wurde bereits die Baunummer 60 000 erreicht.
1946 wurden die Thürmers durch die sowjetische Besatzungsmacht enteignet. Nach dem Tod Walther Thürmers 1947 zog die Familie nach Westdeutschland um. 1971 setzte Jan Thürmer die Familientradition in Herne fort, bevor er 1988 in Bochum ein neues Fabrikgebäude errichtete. Neben Werkstatt, Lager und Ausstellungsräumen entstand auch ein Kammermusiksaal für 450 Besucher. Hier finden jährlich rund 100 Konzerte statt.
Heute werden in Bochum von 15 Mitarbeitern rund 100 Klaviere im Jahr gefertigt, darunter 15 bis 20 Flügel. «Die große Zeit des Klavierbaus ist vorbei», räumt Thürmer ein. Bis 1945 gehörten Klaviere zum festen Bestandteil eines gutbürgerlichen Haushalts. Vor allem Mädchen mussten sich ungeachtet von Neigung und Talent an dem Tasteninstrument beweisen. Heute ist die Tradition der Hausmusik fast ganz verschwunden.
Ernst W. Raymund
http://www.ferdthuermer.de