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Wozu Kulturpolitik?

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von Prof. Dr. Max Fuchs

Abstract:
Die soziale Funktion des Subsystems „Kultur“ in der Gesellschaft wird in der Wahrnehmung spezifischer Kulturfunktionen gesehen (Selbstbeschreibung, Integration, Legitimation, Angebot für Lebensführungen etc.). Dies gilt – bei aller Notwendigkeit ihrer Autonomie – insbesondere für die Künste, woraus sie ihre kulturelle Relevanz in der Gesellschaft beziehen. Diese wiederum ist die Grundlage einer gesellschaftlichen Verantwortlichkeit für ihre Existenz und Weiterentwicklung und somit für ihre Förderung. Kulturpolitik hat daher – über die Sicherung der Rahmenbedingungen der Künstler/innen und Kultureinrichtungen hinaus – die Aufgabe, das diskursive Potential der Künste für die Gesellschaft fruchtbar zu machen, indem sie gezielt das Subsystem Kultur und den Rest der Gesellschaft miteinander vermittelt. Aus dieser Grundidee ergeben sich einige Bestimmungen von Kulturpolitik, u. a. der Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik, als Politik der Anerkennung, als Gestaltung des Kulturellen, als aktivierende Diskurspolitik.



1. Anliegen und Übersicht
Kulturpolitik scheint im Moment wieder im Aufwind zu sein: Ein Kulturstaatsminister im Bundeskanzleramt, eine kulturpolitische Debatte im Deutschen Bundestag[1], die Wiedereinrichtung eines Kulturausschusses, Erfolge bei der Künstlersozialkasse (KSK). Gerade bei Fragen der Verbesserung der Infrastruktur im Kulturbereich, also bei einer „kulturellen Ordnungspolitik“ (KSK, Urheberrecht, steuerrechtliche Verbesserungen etc.) sind die Kulturverbände - und ist insbesondere der Deutsche Kulturrat (DKR) - markante Ansprechpartner von Politik und Verwaltung[2]. Die Personalisierung der Kultur-Zuständigkeiten des Bundes in einem Staatsminister[3] hat auch in den Medien Resonanz gezeigt[4]. Wichtige Themen – neben den genannten Infrastrukturverbesserungen – waren etwa die Frage des Holocaust-Denkmals, immerhin ein kulturpolitisches und kulturelles Thema erster Ordnung, da sich hierbei die gesellschaftlich hochbedeutsame Kulturfunktion des „kulturellen Gedächtnisses“ als eine Quelle kultureller Identität an einem hochbrisanten Thema der deutschen Geschichte und ihrer Bewältigung zeigt[5].

Vor diesem Hintergrund scheint es angemessen, die Frage nach der konzeptionellen Grundlage von Kulturpolitik, vielleicht sogar nach der Möglichkeit einer theoretischen Fundierung dieses politischen Handlungsfeldes neu zu stellen[6]. Allzu lange war ein solcher theoretischer Diskurs in der Kulturpolitik wenig lebendig und wurde ersetzt durch offenbar marktgängigere Themen und Slogans, wie „Kultur als Wirtschafts- und Standortfaktor“. Diese Sichtweise, die letztlich eine enge Funktionalisierung von Kultur und Kulturpolitik bedeutet, ist natürlich nach wie vor verbreitet. Sie dehnt sich sogar noch dort aus, wo gezielt in der Kulturpolitik des Bundes, der Länder oder der Gemeinden eine Politik der „Leuchttürme“ praktiziert wird, bei denen Kultur-Events bloß aus Gründen der Profilierung der betreffenden Kommune oder des Bundeslandes gefördert werden und die Frage einer notwendigen kulturellen Infrastruktur in den Hintergrund treten lassen[7].

Immerhin hat der neuberufene Kulturstaatsminister ein – auch theoretisch – anspruchsvolles Credo formuliert [8], das seine politische Tätigkeit in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode orientieren soll: Auf der Basis der These von der „kulturellen Verfaßtheit des Menschen und der Gesellschaft“ hat er folgende Gesichtspunkte bzw. Leitlinien genannt:

· die Erinnerung an den „erweiterten Kulturbegriff“ als inzwischen akzeptierter Grundlage (zumindest seiner bisherigen kommunalen kulturpolitischen Praxis),

· die Notwendigkeit einer Partizipation von vielen/allen Menschen am kulturellen Leben,

· die Notwendigkeit einer kulturellen Integration angesichts der Pluralität ethnischer Gruppen[9].



Desweiteren führt er an:

· die Sicherung bzw. Herstellung einer Balance zwischen Repertoire und Innovation,

· die Sicherung und Verbesserung der Existenzbedingungen der Künstler/innen,

· die Entwicklung der Zivilgesellschaft.



Damit ist aus der Sicht der Bundesregierung ein anspruchsvolles Konzept skizziert, das auch die Mit-Akteure in der Kulturpolitik – man spricht von einem „Kooperativen Kulturföderalismus“ – einlädt und herausfordert, sich ihrerseits mit einer erneuten konzeptionellen und theoretischen Anstrengung an der Diskussion der Frage zu beteiligen, welche Aufgabe die Kulturpolitik gegenüber den Künsten, der Gesellschaft, den anderen Politikfeldern etc. übernehmen kann.

Im folgenden will ich einige Überlegungen skizzieren – die z. T an anderer Stelle ausführlich dargestellt sind[10] –, wie sich aus meiner Sicht das Politikfeld „Kulturpolitik“ inhaltlich und vor allem konzeptionell konstituiert.

Ich will dies in mehreren Schritten tun:

Das Verständnis der Rolle von „Kultur“ in der Gesellschaft bringe ich – auf der Basis einer anthropologischen Grundlegung – mit der Formulierung spezifischer Kulturfunktionen zum Ausdruck, die in jeder Gesellschaft erfüllt sein müssen. Daraus ergibt sich für die Kulturpolitik als Politik des Kulturellen die Bestimmung, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für eine Sicherstellung dieser Kulturfunktionen zu sorgen. Das zentrale „Mittel“, über das Kulturpolitik (in Grenzen) steuernd in das gesellschaftliche Geschehen eingreifen kann, sind die Künste. Kulturpolitik ist in diesem Verständnis eine spezifische Form von Gesellschaftspolitik. Welche gesellschaftspolitischen Probleme – und in welcher Form – in der Kulturpolitik bearbeitet werden können, werde ich im Anschluß an diese kultur- und gesellschaftstheoretische Reflexion entwickeln. Es wird sich zeigen, daß es nicht die besonderen Probleme sind, die Kulturpolitik von anderen Politikfeldern unterscheidet – es sind vielmehr über weite Strecken genau dieselben Probleme –, sondern die spezifische Art der Behandlung, mit der die Kulturpolitik dies leistet. Man kann diese Probleme und Aufgaben in wenigen Themenkomplexen bündeln:

a) Die anthropologische These von der „kulturellen Verfaßtheit des Menschen“ stellt die Frage nach angemessenen Formen des Menschseins und seiner Realisierung in der heutigen Gesellschaft, was zwangsläufig zu dem Problem des Umgangs der Menschen mit sich selber führt, also konkret etwa zur Frage des Klonens, aber auch zur Frage der produktiven Gestaltung seines Lebens, also zur Frage seiner Bildung[11].

b) Die „kulturelle Verfaßtheit der Gesellschaft“ stellt die Frage nach Rahmenbedingungen, in denen sich alle Menschen wunschgemäß entwickeln können. Damit ist sowohl die Frage der Menschenrechte und ihrer Realisierung, aber auch die kulturelle Bewertung der zur Zeit einflußreichen Mächte, die die Gesellschaft gestalten (Globalisierung, Informationstechnologie, Migration) gemeint[12]. Insbesondere gilt die Maxime, daß man auf die Probleme der Ausgrenzung und Marginalisierung eingehen muß, so wie es etwa der Europa-Rat (1997) in seiner wichtigen kulturpolitischen Programmschrift „In from the Margins“ getan hat. Mir scheint, daß hier eine Auseinandersetzung mit vormodernen Strategien der Problembewältigung (über Begriffe wie „Leitkultur“ oder „Stolz“) auch aus kulturpolitischer Sicht erfolgen muß.

Aus diesen Überlegungen ergeben sich weitere Bestimmungen einer zeitgemäßen Kulturpolitik (neben der explizit genannten Bestimmung von Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik), nämlich

· Kulturpolitik als Mentalitätenpolitik und

· Kulturpolitik als Politik der Anerkennung.



Natürlich sind die genannten Themenkomplexe gerade kein Spezifikum für die Kulturpolitik, sondern haben eine ebenso große Relevanz für alle anderen Politikfelder, die sogar z. T. erheblich größere Mittel für eine materielle Gestaltung haben. Die „Macht“ (und die Spezifik) der Kulturpolitik besteht in ihren ureigensten Mitteln: nämlich all diese Diskurse m. H. der künstlerischen Ausdrucksformen gestalten und füllen zu können. „Steuerung“ in der Kulturpolitik heißt daher auch weniger unmittelbare Einflußnahme über politische Macht oder Geldströme – obwohl dies in erheblichem Umfang auch geschieht –, sondern vielmehr die Nutzung der Macht von Symbolen:

· Kulturpolitik ist daher auch Politik mittels Symbolen, ist Symbol-Politik[13]




2. Was ist „Kultur“?
Die inzwischen weitgehend akzeptierte und gut begründete These[14] von der „kulturellen Verfaßtheit des Menschen“ bedeutet, daß der Mensch sich als Gattungswesen in einem Prozeß der Selbstschöpfung von den Naturgesetzen der Evolution befreit hat: Der Mensch gestaltet seine natürlichen (und sozialen) Existenzbedingungen und schafft sich dadurch zugleich selber. Er vergegenständlicht seine je aktuellen Wesenskräfte, schafft so die Möglichkeit eines objektiv vorkommenden kulturellen Gedächtnisses, an dem nachfolgende Generationen in der Alltäglichkeit ihrer Praxis sich diesen Grad an Selbst- und Weltbeherrschung aneignen können. Diese grobe Skizze der Menschwerdung ist inzwischen hinreichend wissenschaftlich und philosophisch abgesichert – mit weitreichenden Folgen: So ist mitdem Freiheitsgewinn gegenüber bloßer Naturgesetzlichkeit die Notwendigkeit verbunden, in aller Verantwortlichkeit sein Leben selber führen zu müssen[15]. Möglich wird dies durch seine spezifische Seinsweise in der Welt, die Helmut Plessner „exzentrische Positionalität“ genannt hat: Der Mensch tritt aus seiner Mitte heraus und kann sich und seine Lebensbedingungen zum Gegenstand der Reflexion und Gestaltung machen. Die Medien, die er hierfür braucht, nennt Ernst Cassirer „symbolische Formen“. Es sind Sprache, Religion und Mythos, Kunst und Wissenschaft, Staat, Technik und Wirtschaft. Diese Zugangsweisen zu sich und zur Welt machen in ihrer Gesamtheit „Kultur“ (i. S. von Cassirer) aus. Kulturpolitik muß zwar diese Totalität der Weltzugangsweisen im Blick haben, kann jedoch nur begrenzt auf die Ausgestaltung der verschiedenen symbolischen Formen Einfluß nehmen. Diese Widersprüchlichkeit zwischen der Totalität des Kulturbegriffs[16] und der Begrenztheit der „Zuständigkeit“ bringt die kulturpolitische Diskussion immer wieder in das eigentümliche Schwanken zwischen Allmachts- und Ohnmachtsphantasien, so daß es notwendig ist, im Sinne der Erhaltung einer realistischen Handlungsfähigkeit eine präzisere Bestimmung des kulturpolitischen Handlungsfeldes vorzunehmen.

„Kultur“ erfaßt vor diesem anthropologischen Hintergrund immer beides zugleich:

· die Tatsache des Gemacht-Seins

· und die (parallel zum „Machen“) verlaufende Reflexion und Bewertung.



Der „Mensch“ in dieser anthropologischen Sichtweise ist das Gattungswesen Mensch, also ein Abstraktum. Trotzdem bleiben die philosophischen Erkenntnisse über den Menschen schlechthin auch dann gültig – zumindest als regulative Prinzipien –, wenn man sich in die „Niederungen“ der realen individuellen und sozialen Praxis begibt. Denn es lassen sich auf der anthropologischen Ebene Qualitätsmerkmale dafür entwickeln, was „menschgemäßes Leben“ bedeutet. Solche Reflexionen über Menschenbilder sind keineswegs nutzlose Spekulationen, sondern werden etwa dort praktisch wirksam, wo Qualitäten des Menschseins rechtlich kodifiziert werden: Ich erinnere an die großen universellen Regelwerke[17] der Allgemeinen Menschenrechte, der EU-Charta der Menschenrechte, des Grundgesetzes, der UNO-Kinderrechtskonvention. Es ist also kein Zufall, wenn es eine qualifizierte Diskussion über anthropologische Fragen gerade momentan gibt, die auf den ersten Blick als pragmatische Politik erscheint. So hat eine Arbeitsgruppe um Armatya Sen und Martha Nussbaum[18] sich ausführlich mit der Frage einer Bestimmung des Menschgemäßen im Kontext der UN-Entwicklungshilfeprogramme befaßt, da man Fragen der Lebensqualität (als Basis für die Verteilung von Hilfsprogrammen) nicht ohne eine solche theoretische Fundierung verantwortungsvoll beantworten kann.

Eine zweite entscheidende Erkenntnis kann man aus dieser anthropologischen Argumentation ziehen: Die Tatsache, daß “Kultur“ wesentlich das Gemachtsein menschlicher Existenz reflektiert, führt dazu, Kontingenz als wichtige Bestimmung des Kulturbegriffs zu erkennen. Kontingenz meint, daß alles, was ist, auch anders sein könnte, bringt also – als Gegenbegriff zur „Notwendigkeit“ – die Unsicherheit des jeweiligen Ergebnisses auf den Begriff[19]. Dies wird in der entwickelten modernen Gesellschaft um so deutlicher, als die großen gesellschaftlichen Instanzen (wie Kirche, Parteien etc.) mit ihren Deutungsangeboten immer weniger akzeptiert werden. Die Herausforderung, sich selber Sinn zu verschaffen, mit der Unsicherheit von Entscheidungen und Setzungen zu leben, mit Offenheit und Pluralität umzugehen, ist daher erheblich größer geworden. „Kultur“, so kann man diese Überlegungen zusammenfassen, ist ein Pluralitätsbegriff, weil Sinndeutungen sehr verschieden ausfallen können und müssen. Eine kulturelle Kompetenz des Einzelnen besteht daher genau darin, diese Pluralität für sich lebbar zu machen. Voraussetzung dafür ist, sich selber zum Gegenstand von Beobachtungen machen zu können, ist also Reflexivität. Reflexivität ist ein Grundmerkmal menschlicher Existenz. Wichtig ist die Erinnerung daran, daß mit „Reflexion“ nicht bloß eine diskursive und begriffliche Auseinandersetzung, sondern jede Form von Selbstbezüglichkeit gemeint ist[20]. So nimmt man etwa beim sinnlichen Prozeß des Sehens zwar den Gegenstand wahr, zugleich nimmt man sich selber – automatisch und unbewußt – als Sehenden wahr. Reflexivität ist also ein Grundmodus menschlichen Lebens. Mit symbolischen Mitteln macht sich der Mensch diese Reflexivität gezielt zunutze, indem er ständig Bilder von sich in seiner Umgebung produziert – und dies offenbar aus Gründen der Selbstvergewisserung auch braucht. Das gilt für den Einzelnen wie für Gemeinschaften und Gesellschaften. „Kultur“ meint hier den komplexen und mit den unterschiedlichsten Medien realisierten Prozeß einer solchen Selbstvergewisserung.

Man kann diese Bedeutung von „Kultur“ anhand unterschiedlicher Kulturfunktionen konkretisieren, bei denen es sich zeigen läßt, daß der Einzelmensch und die Gruppe sie benötigen. Ich liste einige dieser Kulturfunktionen auf[21]:

· Selbstbeschreibung von Einzelnen, Gruppen, Gesellschaften, Zeitabschnitten, Selbstbeobachtung,

· Angstbewältigung angesichts gesellschaftlicher oder individueller Risiken,

· Integration,

· Entwicklung von Zeitbewußtsein im Hinblick auf Vergangenheit und Zukunft,

· Entwicklung von Raumbewußtsein,

· Identitätsbildung von Personen und Gruppen,

· Herstellung und Aushalten von Pluralität,

· Angebot von Deutungen und Deutungsmustern, Weltbildern,

· Symbolisierung von Gemeinschaftserfahrungen,

· Angebote für Lebensführungen und Lebensbeschreibungen (Biographie),

· Angebot von Lebensstilen (i.S. der aktuellen Lebensstilsoziologie und im weiten Sinne von Rothacker),

· De-Legitimation von Prozessen in den gesellschaftlichen Bereichen der Politik, des Marktes, der Gemeinschaft, des Rechts etc.,

· Reflexivität je aktueller Formen von Sittlichkeit und Moral.



Solche Kulturfunktionen lassen sich (z. T.) innerhalb der Anthropologie begründen, doch wird man auch in Soziologischen Theorien fündig. Ohne mich in den soziologischen Meinungsstreit begeben zu wollen, scheint mir eine systemtheoretische Sichtweise auf die Gesellschaft an dieser Stelle ergiebig zu sein. So unterscheidet man – inzwischen längst auch im Alltagsgespräch – die Subsysteme Wirtschaft, Politik, Soziales und Kultur. Hierbei wird unter „Kultur“ nicht mehr die anthropologische Totalität menschlicher Existenz erfaßt, sondern es werden abgrenzbarere gesellschaftliche Teilbereiche (z. B. Kunstbetrieb, Religion, Wissenschaft, Bildung) gesehen. Bei dieser Sichtweise, wie sie etwa R. Münch[22] in der Weiterentwicklung der Theorien von T. Parsons umfassend aufgearbeitet hat, wird die spezifische gesellschaftliche Aufgabe des Kultur-Systems deutlich: Es sind Prozesse der Deligitimation und Legitimation dessen, was in den anderen Subsystemen passiert; es ist quasi die Institutionalisierung des Sinn-Diskurses in Wissenschaft, Religion und Kunst gegenüber der „Welt“ (Wirtschaft, Politik und Soziales). Realitätsnähe gewinnen diese Systemtheorien auch dadurch, daß die Einflüsse etwa der Politik und der Wirtschaft auf das Kultursystem – also die Rolle von Geld und Macht – über den Mechanismus der „Interpenetration“ einbezogen werden. Daraus kann man folgern:

· Kulturpolitik ist die spezifische Gestaltung dieses Kulturellen, also die Ermöglichung des Kulturdiskurses im oben skizzierten Sinne.

· Kulturpolitik hat daher die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die „Kulturmächte“ – also die Künste, aber auch Wissenschaft, Religion und Bildungswesen – ihren Sinndiskurs über alle Fragen des sozialen und individuellen Lebens führen – mit ihren je spezifischen Mitteln. Dies betrifft die „ordnungspolitische“ Seite, also die finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen von Kulturarbeit; es betrifft aber auch die Anregungsfunktion in den Kulturbereich selbst hinein, daß nämlich die Kultureinrichtungen diese Diskurse auch annehmen und führen: Kulturpolitik ist aktivierende Diskurspolitik.

· Kulturpolitik als Diskurspolitik hat als zentralen Fokus das (soziale und individuelle) „Projekt des Guten Lebens“, hat also insbesondere die Aufgabe, „ihre“ Institutionen zu einem Austausch oder auch Streit über grundlegende normative Fragen anzuregen, ganz im Sinne von Brecht der sagte: “Als Kulturarbeit akzeptieren wir nur eine Arbeit, die uns diese Regeln (des jeweils „richtigen“ Verhaltens; M.F.) vorführt und uns anschließend die Entscheidung überläßt, ob wir uns an sie halten wollen.“[23]





3. Die Künste als Medien des symbolischen Diskurses?
Gerade in deutscher Tradition ist es umstritten, von Funktionen oder Wirkungen der Künste zu sprechen. Sofort sieht man die „Autonomie“ der Künste gefährdet und diese für politische, soziale, ökonomische etc. Zwecke in den Dienst genommen. Es wird hierbei oft vergessen, daß der Topos der „Kunstautonomie“ keine „ontologische“ – und damit zeitlose – Bestimmung des Wesens der Künste ist, sondern ein historisches Konstrukt, dessen Herkunft sehr klar angegeben und dessen soziale Wirksamkeit im historischen Prozeß sehr genau beschrieben werden kann[24]. Nur grob sei daran erinnert, daß der wichtigste Theoretiker der Kunstautonomie, I. Kant, die „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ im Rahmen seiner philosophischen Systematik (in seiner „Kritik der Urteilskraft“ aus dem Jahre 1790) benötigt hat. Bei seinem Schüler Schiller bekam die Autonomie der Kunst – im Rahmen eines angestrebten „Reichs der Freiheit“ – sofort eine politische (emanzipatorische) Bedeutung: Nur dann, wenn nämlich die Menschen außerhalb der strengen Funktionalität ihres (repressiven) Alltags Freiheit spüren können – und das können sie in einer ästhetischen Praxis –, dann wollen sie diese auch bei der politischen Gestaltung ihres Gemeinwesens umsetzen. Ästhetische Bildung ist hier politische Bildung! Im 19. Jahrhundert geschah dann das einigermaßen Paradoxe, daß das aufstrebende (Bildungs-)Bürgertum in den zu dieser Zeit geschaffenen Einrichtungen der (autonomen) Kunst, vor allem im Theater, einen Ort und das zugehörige Medium zur Konstituierung einer eigenen Identität finden konnte und hierin eine Möglichkeit sah, zumindest im kulturellen Bereich eine Hegemonie in der Gesellschaft zu entwickeln. Dieser Prozeß ging in Deutschland einher mit dem spezifisch deutschen („Sonder“-)Weg einer kulturellen Begründung einer „Nation“. Dieser „Kulturelle Nationalismus“[25] nimmt an, daß Kultur national sei und die Nation durch die Gemeinsamkeit ihrer Kultur – in erster Linie ihrer Sprache – definiert wird[26]. Dieser Weg unterscheidet sich deutlich von dem „politischen Nationalismus“ der Franzosen, die „Nation“ auf Staatsbürgerschaft und Volkssouveränität gründen, oder den angelsächsischen Weg, der die Nation auf das Menschen- und Bürgerrecht individueller Selbstbestimmung stützt[27]. Man sieht, die These von der „Autonomie der Kunst“ ist – entgegen ihrem vordergründigen a-politischem Inhalt – eine höchst wirksame politische Kategorie in der Geschichte. Dies negiert nicht die These, daß künstlerische Praxis sich nicht unmittelbar als Ausführungsorgan außerkünstlerischer Zwecke verstehen darf, stellt diese jedoch in den notwendig zu berücksichtigenden sozialen, kulturellen und politischen Kontext.

Künste sind – ebenfalls anthropologisch begründbar – Kulturmächte, was heißt, daß sie einen großen Anteil an der Menschwerdung der Menschen haben[28]. Damit läßt sich auch sinnvoll danach fragen, inwieweit die Künste die oben aufgelisteten Kulturfunktionen erfüllen, die Künste also eine „kulturelle Relevanz“ haben[29].

In der Tat läßt sich die Geschichte der Künste sinnvoll entlang der Leitlinie schreiben[30], welche der Kulturfunktionen für welche Kunstform und in welcher historischen Situation wirksam oder sogar leitend geworden ist. Das Spannende an der Untersuchung der Entwicklung der Künste ist m. E. genau dies: die Dialektik aufzuzeigen zwischen immanenten Entwicklungsimpulsen – denn jeder Künstler arbeitet immer auch im Bewußtsein der immanenten Entwicklungslogik seiner Sparte – und äußeren Einflüssen. Daß man beide Einflußformen nicht voneinander trennen, also insbesondere das Ästhetische nicht gegen das Soziale ausspielen kann, wurde mittlerweile häufiger an konkreten Beispielen gezeigt. Zwei solcher Studien will ich hier benennen, um die Grundidee zu illustrieren: Am Beispiel von Stephan George und seiner elitär-aristokratischen Dichtkunst kann gezeigt werden[31], daß genau diese spezifische elaborierte ästhetische Praxis sehr bewußt genutzt wurde, um einen sozialen Kontext, also einen Kreis von Anhängern und Schülern zu schaffen, die geschickt im System der Wissenschaft und Politik platziert werden. Bourdieu[32] hat einen vergleichbaren Vorgang am Beispiel von Flaubert gezeigt, wie es nämlich – z. T. ohne bewußtes Wissen von Flaubert – diesem gelungen ist, ein literarisches Feld mit Hilfe seiner spezifischen Ästhetik zu konstruieren. Am Beispiel von Richard Wagner läßt sich dieser Mechanismus – aktuell bis zur heutigen Diskussion über die Nachfolge in Bayreuth – aufzeigen.

Damit ist ein aus meiner Sicht hoch relevantes Konzept eingeführt, das ästhetische, politische und soziale Dimensionen im Diskurs über Kunst und mit Hilfe von Kunst zu erfassen gestattet: Das Konzept des Feldes von Bourdieu. Dieses erfaßt die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Akteuren, die in einem spezifischen Bereich Relevanz haben und um Hegemonie kämpfen, also etwa die Schriftsteller/Künstler, die Kunstbetriebe, die Vermittlungseinrichtungen, die Kritik, die Nutzer, die Politik, die Kulturwirtschaft, die Verbände etc. In einem solchen Feld kämpft man mit durchaus verschiedenen Medien: mit politischer Macht, mit Geld, aber auch mit der symbolischen Macht ästhetischer Produkte und Prozesse.

Dieses Konzept ist deshalb so relevant für die Kulturpolitik und ihre Akteure, weil es das Spannungsgefüge (die „Interpenetrationen“ i. S. von Münch und Luhmann) in diesem Politikfeld zu beschreiben und zu verstehen gestattet.

Bourdieu ist natürlich auch deshalb ein hochrelevanter Bezugspartner für jede Kultur- und Kunstpolitik, weil sein Nachweis der Distinktionswirkungen des ästhetischen Konsenses eine Herausforderung für jede emanzipatorische Kulturpolitik (und Pädagogik) sein muß[33].

Der Nachweis einer sozialen Wirksamkeit[34], die Frage danach, ob und wie je vorfindliche Kunstformen die Kulturfunktionen – und welche – erfüllen, ist also in meinem Verständnis keine Instrumentalisierung der Künste, sondern eine legitime Erkundung ihrer Spezifik. Auch in der Ästhetik wird die Fragestellung nach der sozialen (und individuellen) Wirkung der Künste nicht nur nicht als unanständig abgewiesen, sondern geradezu als entscheidend für den Nachweis ihrer Legitimität gesehen. Ich gebe ein längeres Zitat der Ästhetikerin Annemarie Gethmann-Siefert wieder, die diese Legitimationsfrage der Künste sehr schön in den anthropologischen Begründungsrahmen stellt, so wie ich ihn ähnlich oben skizziert habe:

„Diese These von der kulturellen Relevanz der Kunst ist die gemeinsame Basis jeglichen Umgangs mit der Kunst. Der Ästhetik fällt die Aufgabe zu, diese gemeinsame Basis als generelle Voraussetzung zu eruieren und (möglichst genau) zu bestimmen. Sie erfüllt ihre spezifische Aufgabe durch die Bestimmung der Bedeutung der Kunst in der Lebenswelt, d.i. in der menschlichen Kultur. Die kulturelle Aufgabe der Kunst liegt im Bereich der Humanisierung der Natur, und zwar dient die Kunst dabei nicht allein der Bearbeitung der Natur zu Lebenszwecken, sondern der Gestaltung der Natur zum Zweck der Einrichtung des Menschen in einer menschlichen, ihm gemäßen Welt. Grundvoraussetzung dieser Bestimmung der geschichtlich-gesellschaftlichen Funktion der Kunst ist die Annahme, daß der Mensch, der sich durch Arbeit in der Natur gegen die Natur durchsetzt, nicht nur die Überlebenschancen des Individuums und der Gattung sichert. Durch seine Fähigkeit zu freier Gestaltung und in der Ausbildung einer Tradition der Weltdeutung, in der die Kunst eine konstitutive Rolle (die Ausbildung einer Welt-Anschauung) übernimmt, wird menschliches Überleben gesichert. Mit dem terminus technicus: Die anthropozentrische Weltsicht ist Grundlage der Ästhetik wie des praktischen Selbstverständnisses der Künste und der wissenschaftlichen Deutung ihrer geschichtlichen Entwicklung. Bei aller Kritik zeigt sich darum am ehesten im handlungstheoretischen Ansatz der Ästhetik die Chance, eine Bestimmung der Geschichte der Künste zugleich mit der philosophischen Bestimmung der Geschichtlichkeit der Kunst zu entwickeln und auf der Basis der Frage nach der Relevanz der Kunst für den Menschen zumindest einige triftige Überlegungen zur Charakteristik einzelnen Künste zu finden.“[35]

Diese angesprochene kulturelle Relevanz der Künste gibt es für beides: für soziale Gruppen und Gesellschaften, aber auch für jedes einzelne Individuum: Die Kulturfunktionen, die die Künste für die Gesellschaft erfüllen (sollen), sind auf der Ebene des Einzelnen Bildungsfunktionen. Denn jeder Einzelne partizipiert nur insoweit an der Aneignung und Gestaltung der gesellschaftlich vorhandenen Möglichkeiten, insofern er sich über die individuelle Aneignung der Kulturfunktionen dafür stark macht.


4. Der kooperative Kulturföderalismus und die Frage der Steuerbarkeit in und mit der Kulturpolitik

Der Begriff des kooperativen Kulturföderalismus beschreibt gut die Realität der Kulturpolitik und ihrer Akteure in Deutschland:

· Föderalismus ist nicht bloß das Organisationsprinzip des Staates, sondern es sind auch viele Verbände analog zum Staatsaufbau organisiert, haben also einen pyramidenförmigen Aufbau von den Kommunen und örtlichen Einrichtungen über Landesorganisationen bis zu ihren bundesweiten Spitzenorganisationen.

· Das Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist zwar nicht konfliktfrei (z. B. aufgrund der Unterschiedlichkeit der finanziellen Belastungen und der fast gegenteiligen Möglichkeit der gesetzlichen Gestaltung), aber eingespielt.

· Zudem gibt es ein Zusammenspiel von öffentlichen und freien Trägern („Partnerschaft“), wobei in dieses Netzwerk von Exekutive und Legislative auf der öffentlichen Seite, den Kultureinrichtungen in öffentlicher und freier Trägerschaft, den Fach- und Berufsorganisationen der Künstler/innen auch die Kulturwirtschaft und die Medien eingebungen sind.

Eine Herausforderung für diese eingespielten Netzwerke ergab sich nach der deutschen Einigung, als etwa der Kommunen ihren im westlichen Teil Deutschlands üblichen Part aus Gründen der Finanzknappheit noch nicht spielen konnten und es daher zu einer erheblichen Ausdehnung der Bundesförderung gekommen ist – von ca. 5% auf mehr als 10% an den öffentlichen Gesamtausgaben im Kulturbereich). Eine weitere aktuelle Herausforderung ist die Regulationskompetenz der EU, wobei es fast eher Zuständigkeiten im Wettbewerbsrecht und in der Wirtschaftspolitik sind, die ein Problem für die deutsche Kulturpolitik werden, als die Aktivitäten von derjenigen Kommission, die für Kultur zuständig ist (Buchpreisbindung, Schutz des Marktes der Kulturgüter, Wettbewerbsrecht, öffentliche europaweite Ausschreibung von Projektgeldern etc.). Ein weiteres Spezifikum des Kulturbereichs besteht darin, daß der Anteil öffentlicher Mittel – die Vergabe von Zuwendungen sind immer noch ein effektives Mittel der politischen Steuerung – am Gesamtumsatz im Kulturbereich eine Größenordnung von etwa nur 10% haben[36]. Der Rest ist der Anteil der Kulturwirtschaft (Verlage, private Medien, Konzertbetriebe, Kunsthandel etc.). In bezug auf die systemtheoretische Sichtweise gehört dieses Feld aufgrund der zentralen Handlungslogik, die sich am relevanten Steuermedium „Geld“ orientiert, zu dem Bereich der Wirtschaft, obwohl viele kulturwirtschaftliche Betriebe durchaus ein kulturpolitisches und/oder kulturelles Anliegen haben.

Vernachlässigbar klein – obwohl durchaus ein Wachsen erwünscht ist –, ist der Anteil der Wirtschaft an der Kulturförderung (ca. 5% der Summe der öffentlichen Kulturförderung). Wünschenswert wäre zudem eine Forcierung des erst in Ansätzen entwickelten Feldes von Stiftungen in Deutschland. Diese Skizze des kulturpolitischen Feldes mag genügen, denn sie zeigt

· die Vielfalt von Akteuren und Beziehungen,

· das Nebeneinander von unterschiedlichen Steuermedien (Geld, Recht, Macht, Sinn) mit jeweils unterschiedlichen Handlungslogiken,

· das Nebeneinander unterschiedlicher Begründungsstrategien und Funktionszuweisungen des Kulturellen (Standortverbesserung, moralischer Diskurs, Sinn, Erwerb und Gewinn, Reputation, Macht, Identitätsverbesserung, Distinktionsgewinn etc.),

· das Vorhandensein klarer Interessensgegensätze (etwa im Urheberrecht, bei dem ein Zugewinn der Produzenten sofort zulasten der „Verwerter“ ausschlägt – und umgekehrt).



Die Kulturpolitik ist daher geradezu ein Paradebeispiel für komplexe Theorien der Steuerung in der Politik. Denn neben die klassischen Formen der Steuerung durch unmittelbare Machtmittel (z. B. der Geldvorgabe) treten über weite Strecken sanftere Formen mittelbarer Einflußnahme[37].

Im Staat der Zweiten (oder wie manche meinen: der Post-)Moderne hat sich die Steuerungsproblematik insgesamt verkompliziert.

Es steht heute auf der Tagesordnung, die Spielregeln der Steuerung erneut auszuhandeln:

· Der Staat tritt in der politikwissenschaftlichen Diskussion in seiner Bedeutung zurück und ordnet sich ein in die Phalanx anderer Akteure. Man spricht eher defensiv vom „aktivierenden Staat“, vom „Staat als Moderator“ und/oder sucht sein Heil in der Übertragung betriebswirtschaftlicher Denkweisen[38].

· Parallel dazu gibt es jedoch ein neues und starkes Selbstbewußtsein des Staates im Hinblick auf Gestaltungswünsche. Hier greift der Staat in seiner eigenen Förderpolitik heute sehr viel direkter in Projektabläufe ein als in früheren Zeiten.

· Damit steht ein Modell eines gemäßigten Korporativismus, eines Aushandlungssystems zwischen Akteuren zur Disposition, das bislang den Staat dazu verpflichtet hat, auch seine z. T. kritischen Mitakteure wie etwa Verbände finanziell zu unterstützen oder sogar vollständig zu erhalten.



In der Steuerungstheorie (in Politik und bei Betrieben, also in Politikwissenschaft und Managementlehre) diskutiert man neben den klassischen Steuerungsmedien Macht und Geld inzwischen – als der Informationsgesellschaft entsprechendes Medium – Wissen als zunehmend relevantes Steuerungsmittel. Auch gesamtgesellschaftlich wird die neue Verbreitung von Zugangsmöglichkeiten zum Wissen (Internet) als Chance gesehen, die etwas darniederliegende Bereitschaft zur politisch Partizipation aufzumöbeln. Man wird sehen.

Mir scheint, daß im Hinblick auf das Steuerungsproblem die Systemtheorie wichtige Anregungen geben kann. So unterscheidet R. Eichmann[39] in dem der Kulturpolitik nahestehenden Bereich der Bildungspolitik drei Formen, in denen sich zwei (autonome) Subsysteme der Gesellschaft (hier sind es das Bildungs- und das Beschäftigungssystem) gegenseitig beeinflussen können, ohne daß eine (in der Praxis unrealistische) lineare „Weisungsbefugnis“ des einen gegenüber dem anderen System angenommen wird:

· Reflexion,

· kontextuelle Intervention,

· konsensentlastete Diskurse.



Der Grundgedanke besteht darin, daß die zunehmend selbstreferentiellen Systeme (die sich also zunehmend nur noch mit sich selbst beschäftigen) nur dann etwas zur Kenntnis nehmen, wenn sie es selber produziert haben, es also in ihrer eigenen „Sprache“ formuliert ist. „Steuerung“ eines solchen Systems von außen ist daher nur dann möglich, wenn es gelingt, daß dieses System das äußere Problem zu einem inneren macht, daß also ein systemimmanenter Reflexionsprozeß ausgelöst werden kann. „Diskurs“ ist der Schlüsselbegriff, und „Diskurs“ wurde oben als Interventionsmöglichkeit des Kulturellen vorgestellt.



Steuerung im Kontext der Kulturpolitik hat daher mehrere Dimensionen:

· Eine inhaltliche kulturpolitische Steuerung des Kunstbetriebs erfolgt insofern diskursiv (d. h. auf spezifisch kulturelle Weise), wenn es gelingt, aktuelle und für die Kulturpolitik relevante Probleme als Probleme der Kunsteinrichtungen, des Kunstbetriebes und des künstlerischen Handelns zu kommunizieren.

· Eine Steuerung der Kulturpolitik als spezifischem politischen Feld erfolgt von außen, wenn es gelingt, ein gesellschaftliches Problem als kulturell oder kulturpolitisch relevant darzustellen.

· Eine Steuerung (oder besser: Beeinflussung) von Politik, Wirtschaft oder Sozialem durch das Subsystem Kultur geschieht durch die spezifische Beobachtungs- und Bewertungsleistung dieses Subsystems und deren Einbringen in die Diskurse der Politik, der Wirtschaft und des Sozialen



Kulturpolitik kann hierbei den möglicherweise nicht im Selbstlauf stattfindenden Austausch zwischen (z. B.) Wirtschaft und Kultur forcieren und vermitteln, indem sie Modelle schafft, in denen ein Zusammentreffen von Kunst und Wirtschaft funktioniert (z. B. Modelle wie „artists in residence“, Unternehmenstheater etc.). Eine aktive oder aktivierende Kulturpolitik muß Interesse daran haben, eine Vielzahl derartiger Begegnungsmodelle zu entwickeln. Denn die Legitimität des Kulturbereichs hängt auch davon ab, wie es gelingt, die spezifische Realisierung der Kulturfunktionen, so wie sie die Künste anbieten, in den anderen Gesellschaftsfeldern einzubringen und dort akzeptabel zu machen[40]. (Daß hierfür ein großes Stück immanenter, im Kunstsystem verbleibender Praxis notwendig ist, Kunst also ihre „Autonomie“ entfalten können muß, wird vorausgesetzt).



5. Aktuelle Probleme in der Kulturpolitik
Im Eingangsabschnitt habe ich einige Arbeitsschwerpunkte und Themen angesprochen, die eine zeitgemäße Kulturpolitik bearbeiten sollte.

Natürlich bleibt die Verbesserung der Arbeits- und Existenzbedingungen der Künstler/innen und Kultureinrichtungen eine zentrale Aufgabe der kulturellen Ordnungspolitik und des operativen Geschäftes. Nur brauchten die kulturpolitischen Akteure, insbesondere die Kultur- und Künstlerorganisationen auf Dauer eine Legitimation ihrer inhaltlich Tätigkeit, damit sie in Strukturfragen erfolgreich bleiben können. Ich gehe daher im folgenden auf einige inhaltliche Problembereiche ein und versuche sie auf die bislang vorgestellten theoretischen Grundlagen der Kulturpolitik zu beziehen.

1. Die immanente Entwicklung der Künste
Ebenso wie Nida-Rümelin sehe ich als zentrales Problem innerhalb aller Kunstsparten das Problem von Tradition und Innovation, von Wahrung des Kulturerbes und neuen Entwicklungen. Dies wird auch innerhalb der einzelnen Kunstsparten selbst als Problem gesehen. So hat der Musikwissenschaftler und Komponist Claus-Steffen Mahnkopf[41] (Mitherausgeber der Zeitschrift „Musik und Ästhetik“, die als Forum für diese vorgetragene Position fungiert) unter dem programmatischen Titel „Neues nur erhält der Tradition die Treue“ in der FAZ vom 07.04.2001 dieses Problem als Generationsproblem der Neuen Musik dargestellt: Die ursprünglich der Avantgarde gewidmeten Orte der Neuen Musik (Donaueschingen, Darmstadt) zeigen seiner Meinung nach zu wenig Bereitschaft, jungen Komponisten aus der heutigen Avantgarde ein Forum zu bieten. Vielmehr hätten sich diese Orte in dem Maße der Pflege des jüngeren Kulturerbes verschrieben, wie die damaligen Exponenten der Avantgarde ihre gesellschaftliche Anerkennung erhielten und daher zu diesem Kulturerbe gehören. Bei der notwendigen Aktualisierung, so Mahnkopf, ist zudem zu berücksichtigen, daß die „kompositorische Qualität längst eine internationale Angelegenheit geworden ist.“ (ebd.) Die Aufgabenzuschreibung der neuen Neuen Musik, die Mahnkopf vornimmt, klingt vertraut im Kontext meiner Argumentation: die aktuellen Kompositionen als „kritischere und reflektiertere einer demokratischen Kultur“ anzubieten. Dabei ist die Situationsbeschreibung der gesellschaftlichen Realität und die Rezeption von philosophisch-soziologischen Theorieangeboten nicht nur auf dem aktuellen Stand, sondern es wird selbstverständlich davon ausgegangen, daß sich die aktuellen Kompositionen mit den aktuellen Problemen der Zeit (Komplexität und Dekonstruktion als kompositorische Aufgaben) auseinandersetzen. Für mich ist der Beitrag von Mahnkopf daher eine gute Illustration der vorgestellten kulturpolitischen Konzeption, hier insbesondere die Reflexion der Dialektik von immanenten und äußeren Entwicklungsimpulsen in den Künsten.
Ähnliche Entwicklungen wie in der Neuen Musik finden sich in der Bildenden Kunst rund um die Galerien und Kunstmessen, oder im Bereich des Theaters dort, wo – ebenfalls aus Protest gegenüber der Vernachlässigung jüngerer Regisseure – ein Gegenfestival zu dem Berliner Festival eingerichtet wird.
Dies ist also eine kulturpolitische Aufgabe im innersten der jeweiligen Kunstentwicklung. Diese Aufgabe deckt sich mit dem Verständnis des weiten Kulturbegriffs, in Deutschland also vor allem mit der Entwicklung der Soziokultur[42], da gerade in soziokulturellen Einrichtungen junge Künstlerinnen und Künstler und künstlerische Aktivitäten jenseits des Mainstreams ihren Platz finden[43].

2. „Der Mensch im Mittelpunkt!“ Dies ist in den letzten Jahren verstärkt der Slogan der UNESCO/UNO, gerade auch in der kulturpolitischen Konzeptdiskussion. Die oben vorgestellten anthropologischen Initiativen von Nussbaum/Sen weisen ebenfalls in diese Richtung. Die Besinnung auf die Lebensbedürfnisse des einzelnen Menschen, auf sein Glück und seine Lebenskunst[44] hat natürlich damit zu tun, daß es im Zuge der Globalisierung erneut schwieriger zu werden scheint, bei den immer größer und komplexer werdenden Voraussetzungen und Strukturen noch das Einzelschicksal im Blick zu behalten. Dabei wirken sich alle Entscheidungen und Entwicklungen, die abstrakt diskutiert werden, sehr konkret am Leiden und Glücksempfinden des Einzelnen aus. Die Subjektivität der Künste, die Thematisierung des Schicksals am einzelnen Menschen ist hier ein wichtiges Gegengewicht gegen die Abstraktheit und Anonymität von globalen Herrschaftsstrukturen. Gerade die Kulturpolitik kann sich daher zur Sachwalterin des Subjekts und seiner individuellen Lebensqualität – natürlich im sozialen Kontext – machen. Sie kann dies etwa durch eine deutliche Thematisierung der Befähigung des Menschen zu einer befriedigenden Lebensgestaltung („Bildung“)[45]. Aktuell muß sie es dort tun, wo der Mensch selber zur Disposition steht und unter das Verdikt einer totalen (biotechnischen) Machbarkeit gerät. Zur Zeit ist – auch in Teilen der rot-grünen Koalition – ein „unverkrampftes Verhältnis“ zur Biotechnologie ein Modernitätsnachweis. Sachwalter des Menschseins in Kultur, Theologie oder Moralphilosophie gelten leicht in diesem Kontext als Fortschrittsbremsen. Wenn jedoch die anthropologische Grundlegung der Kulturpolitik eine Relevanz hat, dann kann es der Kulturpolitik und den Künsten nicht gleichgültig sein, was der Mensch mit dem Menschen macht[46]. Es gibt vielmehr eine Fülle künstlerischer Bearbeitungsprozesse gerade zu dieser Thematik und dieser Facette des Menschen: Als homo faber alles machen zu wollen, was technisch möglich ist. Ernst Cassirer beschreibt in seinem letzten Buch den Faschismus[47] als unheilige Allianz entwickeltster Technik und vormoderner Mythen. Die „erfinderischen Zwerge“ (Brecht), die Verantwortung der Atomtechniker (Peter Weiß, Dürrenmatt), der Homunculus, den Faust schafft: es ist geradezu genuines Kunstthema, sich mit dem ungesteuerten Machbarkeitswahn des Menschen zu befassen. Die Künste können daher zeigen, daß die Frage der Gentechnologie uns alle angeht, also nicht „Experten“ überlassen bleiben darf, und das Thema zu komplex ist als daß es als bloßer „Modernitätsnachweis“ bewertet werden darf.

3. Im sozialen und politischen Diskurs ist m. E. die Bewältigung der Moderne und ihrer unangenehmen Folgeerscheinungen ein zentrales kulturpolitisches Thema. Probleme sind etwa:

· Wie ist eine notwendige gesellschaftliche Kohärenz herzustellen?

· Wie ist dem Legitimationsverlust von Staat und Politik zu begegnen?

· Wie ist die Pluralität der Kulturen in der Gesellschaft zu bewältigen?

· Wie ist die Kontingenz des modernen gesellschaftlichen Lebens zu bewältigen?

· Wie ist die Segmentierung, das Wachsen der Kluft zwischen arm und reich aufzuhalten?

Das Problem sind hierbei zum einen die Entwicklungen selbst, zum anderen sind es jedoch die Lösungsvorschläge. Komplexität und Pluralität reduzieren zu wollen mit Vorstellungen einer „Leitkultur“, mit einem Verweis auf einen „Stolz“, den man zu empfinden habe – also mit eindeutig vormodernen Ideenangeboten –, geht nicht nur an der realen Problemlage vorbei, sondern schafft neue Ausgrenzungen, will offenbar „Integration“ in einer Weise, wie es eine moderne demokratische Gesellschaft nicht zulassen kann.
Kultur und Kulturpolitik können gerade bei diesen Problemen der Bewältigung der Moderne Angebote machen. Ich will das am Beispiel der (kulturellen) „Integration“ zeigen. Man kann in der Gesellschaft unterschiedliche Formen von Integration mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen an Gleichheit unterscheiden:

· In rechtlicher Hinsicht ist Grundlage der Demokratie die unbedingte Gleichheit vor dem Gesetz; dies gilt im Grundsatz auch für die politische Partizipation der Mitglieder der Gesellschaft: Jede Wählerstimme ist gleich wertvoll.

· In ökonomischer Hinsicht gibt es bestenfalls Chancengleichheit; eine ökonomische Gleichheit im Sinne einer Gleichverteilung der Ressourcen ist nicht vorgesehen. Selbst die Frage, welches Maß an sozialer Abfederung bei Notlagen die Gesellschaft ermöglicht, steht zur Zeit zur Disposition.

· In der ästhetischen Artikulation, in der Auswahl von Lebensvorstellungen ist jedoch eine Integration möglich, die eine weitgehende Pluralität beibehält („celebrate the diversity“ heißt ein entsprechender UNO-Slogan). Kulturelle Integration könnte also geradezu ein Paradebeispiel für die Bewältigung der modernen Komplexität werden. Kulturpolitik mit dem Ziel kultureller Integration ist dann gerade keine Politik einer monolithisch verstandenen Leitkultur, sondern eine Politik der Anerkennung von Differenz. Das „Prinzip Soziokultur“, nämlich die bewußte Herstellung einer Einheit, die Vielfalt ermöglicht, wird daher zum Prinzip jeglicher Kulturpolitik. Dies ist die zuletzt (1998) bei der Stockholmer Weltkonferenz zur Kulturpolitik bekräftigte weite Fassung des Kulturbegriffs[48], der nicht bloß für das Segment Soziokultur, sondern für den gesamten Kulturbereich Gültigkeit haben sollte.

In diesem Sinne ist Soziokulturpolitik das zeitgemäße und zukunftsfähige kulturpolitische Paradigma schlechthin.



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Der Autor:

Max Fuchs, Prof. Dr., Erziehungs- und Kulturwissenschaftler, Direktor der Akademie Remscheid, Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung und des Deutschen Kulturrates, lehrt Kulturarbeit an der Universität Essen.


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[1] Neben sozialpolitischen und steuerrechtlichen Fragen (Künstlersozialkasse, Ausländersteuer) gibt es auch genuin inhaltliche kulturpolitische Debatten im Bundestag: Über das Holocaust-Denkmal und zuletzt die Debatte über die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Soziokultur (Drucksache 14/1575, 14/4020) am 18.01.2001.

[2] Dies hat auch mit einer Veränderung im Selbstverständnis des DKR zu tun, der sich von der anfänglichen Idee eines (bloß) diskursiven „Runden Tisches“ für kulturelle Fragen in den letzten Jahren – zumindest seit seiner formellen Gründung als eingetragener Verein im Jahre 1996 – auch satzungsgemäß zu seiner Lobby-Aufgabe bekennt.

[3] „Staatsminister“ heißen die Staatssekretäre im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt. Anders als ursprünglich vorgesehen wurden nicht alle Kulturzuständigkeiten gebündelt; es blieben vielmehr viele kulturrelevante Zuständigkeiten in anderen Fachministerien (Auswärtige Kulturpolitik, Bildungsministerium, Jugendministerium etc.). Die oben angesprochenen Strukturfragen betreffen ohnehin die jeweiligen Fachministerien Justiz bzw. Soziales.

[4] Natürlich hängt dies auch damit zusammen, daß (G. Schulz 1992) mit seiner These von der „Erlebnisgesellschaft“ tatsächlich relevante Züge unserer Gesellschaft erfaßt hat: Auch Politik muß mediengerecht inszeniert werden, braucht medientaugliche „Stars“ – mit dem Nachteil (u. a.), daß die Personen und ihre privaten Kontexte gelegentlich interessanter sind als ihre fachlichen Beiträge. Immerhin: Medien gehören zum Kernbereich der Kulturpolitik, so daß man sich – anders als in anderen Politikfeldern – bereits innerhalb desselben Subsystems befindet, es sich auch bei der Medienwirksamkeit der Kulturpolitik ihre Akteure – mit Luhmann gesprochen – bereits um Akte der Selbstreferentialität des Kultursystems – hier: Selbstbeobachtung desselben Subsystems - handelt. Vgl. Luhmann 1997.

[5] Assmann 1992 sowie Assmann/Friese 1998.

[6] Fuchs 1998

[7] Aktuell wird diese Debatte in NRW geführt, wo die Landesregierung ein neues Festival mit weltweiter Ausstrahlung (unter der Leitung von G. Mortier) installieren will, die Kulturdezernenten insbesondere der Rhein-Ruhr-Metropolen jedoch an die schon vorhandene kulturelle Infrastruktur und die Probleme ihrer Erhaltung erinnern.

[8] Inzwischen ist das mehrfach geschehen. Ich beziehe mich hier auf die Ausführungen in der Bundestagsdebatte zur Soziokultur (Anm. 1; Plenarprotokoll 14/143).

[9] Es schmälert nicht die Bedeutung, sondern unterstützt eher noch die Dringlichkeit dieser Ziele – auch im internationalen Kontext –, wenn ich darauf hinweise, daß diese Leitlinien der kulturpolitischen Beschlußlage internationaler Organisationen, insbesondere der UNO/UNESCO entsprechen, vgl. Europa-Rat 1997, Deutsche Unesco-Kommission 1999, Our Creative Diversity 1995. Der „Erweiterte Kulturbegriff“, der dieser Position zugrunde liegt, wurde bereits 1982 bei der (zweiten) Weltkonferenz zur Kulturpolitik offiziell zur gemeinschaftlichen Grundlage der Kulturpolitik gemacht (Deutsche Unesco-Kommission 1983), hat aber immer noch Probleme bei der Durchsetzung in der Praxis.

[10] Im wesentlichen handelt es sich um Fuchs 1998 und 1999. Der wissenschaftliche Diskurs über Kulturpolitik ist nicht sonderlich weit entwickelt: In der Politikwissenschaft findet er fast gar nicht statt. Erst neuerdings hat K. von Beyme (1998) ein kleines Segment: nämlich die Beziehung von Bild/Architektur/Stadtgestaltung und Politik, in einer neuen Disziplin „Kunstpolitologie“ zu systematisieren versucht. Kulturpolitik findet sich am ehesten in den vergleichsweise jungen Instituten und Studiengängen, die seit 1990 zur Qualifizierung in Kulturmanagement/Kulturverwaltung eingerichtet worden sind (u. a. Hamburg, Ludwigsburg, Hagen, Berlin, z. T. auch in Hildesheim). Außerhalb der Hochschulen sind vor allem das Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, diese Gesellschaft selbst sowie das difu in Berlin zu nennen, in der mit theoretischem Anspruch über Kulturpolitik verhandelt wird. Der überwiegende Teil der Konzept- und Theoriearbeit wurde in der Nachkriegszeit von Kulturdezernenten (Glaser, Hoffmann) bzw. im Kontext des Deutschen Städtetages geleistet. Kulturpolitisch relevantes Wissen wird natürlich in der Kultursoziologie, in der Geschichtswissenschaft und z. T. im Kontext der verschiedenen künstlerischen Gebiete produziert.

[11] Zur Anthropologie bzw. Bildung siehe Fuchs 1999 bzw. 2000.

[12] Damit wird entschieden das Gebiet der Praktischen Philosophie (Ethik und Moralphilosophie, Rechts-, Sozial- und politische Philosophie) berührt. Insbesondere muß man hier die Schriften von Jürgen Habermas (v.a. Habermas 1996, 1998) nennen. Siehe auch Nida-Rümelin 1996 und Nida-Rümelin/Vossenkuhl 1998.

[13] Dies ist das Konzept von Kulturpolitik, das ich in Fuchs 1998, Kap. 10 vorgeschlagen habe.

[14] Ein Überblick über anthropologische Ansätze und ihre aktuelle (kulturpolitische) Bedeutung findet sich in Fuchs 1999. Siehe auch Harris 1989.

[15] Ich stütze mich hier wesentlich auf die Schriften von Helmut Plessner (1983) und Ernst Cassirer (1990).

[16] Bereits in den 50er Jahren haben Kroeber/Kluckhohn (1952) einige hundert Kulturbegriffe gesammelt. In der kulturpolitischen Diskussion schwankt man – meist ohne daß es Probleme gibt – zwischen dem anthropologischen Kulturbegriff, einer ethnologischen und soziologischen Verständnisweise (s. u.) und einer Auffassung, die von „Kultur“ spricht, aber „Kunst“ meint.

[17] Wobei es ein niemals ausgestandenes Problem ist, inwieweit die Universalität allgemeiner Regelungen mit der Individualität des Menschen oder zumindest der lokalen (kulturellen!) Begrenztheit seiner Lebenswelt kollidiert. Diese Frage steht im Mittelpunkt des Streites zwischen Kommunitarismus und philosophischem Liberalismus (vgl. Reese-Schäfer 1997); sie ist auch ein roter Faden in den Schriften von Habermas – und natürlich ein zentrales Problem der Kulturpolitik.

[18] Nussbaum 1999.

[19] Dies ist zwar ein verbreiteter Gedanke der Philosophie der Moderne, wird aber insbesondere in der Systemtheorie der Gesellschaft (vgl. etwa Luhmann 1995 und speziell für den Kulturdiskurs Baecker 2000) verwendet.

[20] Auch dies wurde ausführlich von Helmut Plessner ausgearbeitet.

[21] Vgl. Fuchs 1998 (Macht)

[22] Münch 1991, 1995. Auf die Unterschiede zwischen verschiedenen Systemtheorien der Gesellschaft – insbesondere auf Differenzen zwischen Luhmann und Münch – gehe ich nicht ein.

[23] Zitat nach Baecker 2000, S. 60. Damit ist zugleich die Frage nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik gestellt; vgl. Wulf u.a. 1994. Insbesondere geht es um die – in der Kunsttheorie umstrittene – Frage, ob Kunstwerke und –prozesse als Medien normativer Diskurse funktionieren.

[24] Bollenbeck 1994

[25] Nipperdey 1991, S. 132 ff., siehe auch die Gesamtdarstellung Nipperdey 1983/1990.

[26] Hierzu aktuell Habermas 1998, v. a. S. 13ff.

[27] Ebd.

[28] Fuchs 1999.

[29] Gethmann-Siefert 1995, S. 258ff.

[30] Was in einer Sozial-, Kultur- und Zivilisationsgeschichte des Theaters, der Bildenden Kunst etc. auch geschieht. Für das Theater siehe etwa die Schriften von Erika Fischer-Lichte, für die Musik die Texte von Christian Kaden, für den Tanz die Arbeiten von Gabriele Klein, für die Bildende Kunst etwa das „Funkkolleg Kunst“, hg. von Werner Busch. Insgesamt siehe Wulf 1997.

[31] Groppe 1997

[32] Bourdieu 1999, 1998.

[33] Bourdieu 1997.

[34] Fuchs/Liebald 1995.

[35] Gethmann-Siefert 1995, S. 268.

[36] Allerdings verschwimmen auch hier die Grenzen; vgl. Wiesand u. a. 2001 sowie den Wettbewerb „Kultur plus“ der Akademie Remscheid und der Gothaer Versicherungen.

[37] Zur Steuerung in der Politik siehe Bußhoff 1992 sowie Willke 1995.

[38] Bandemer/Blanke/Nullmeier/Wewer 1998

[39] Eichmann 1989.

[40] Ich verweise hier auf zwei Forschungsprojekte des Remscheider Instituts für Bildung und Kultur (IBK; www.Kulturinstitut.de): „Neue Dienstleistungen und Kultur“ sowie – in Kooperation mit der Kulturpolitischen Gesellschaft – das Projekt „Arbeit und Kultur“.

[41] Mahnkopf 2001.

[42] Sievers 1988, Themenheft B11/2001 der Beilage „Aus Politik und Gesellschaft“ der Wochenzeitung Das Parlament.

[43] So der Tenor der Beiträge aus allen Parteien bei der Bundestagsdebatte am 18.1.01.

[44] BKJ 2001.

[45] Vgl. das Positionspapier „Kulturelle Bildung im digitalen Zeitalter“ des Deutschen Kulturrates (www.kulturrat.de).

[46] Auch hierzu Habermas 1998, Teil IV sowie die entsprechenden Abschnitte in Nida-Rümelin 1996.

[47] Cassirer 1949.

[48] Deutsche Unesco-Kommission 1998/1983.Die in diesem Forum vorgestellen Diskussionbeiträge geben die Meinung der Autorin, des Autors wieder. Sie sind keine offizielle Stellungnahme des Deutschen Kulturrates e.V.. Sie sind herzlich zur Diskussion eingeladen.