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Zwischenbilanz des neuen Urhebervertragsrechts:
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rainer Funke, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Drucksache 15/2883)
In der 14. Wahlperiode ist durch das "Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern" vom 22. März 2002 (BGBl. I S. 1155) das Urhebervertragsrecht umfassend novelliert worden. Ziel des neuen Urhebervertragsrechts war es, die vertragliche Stellung der freiberuflich tätigen Urheber und ausübenden Künstler zu stärken. Ob und inwieweit es sachgerecht wäre, die urheberrechtliche Vertragsfreiheit zu diesem Zwecke durch zwingende Schutzbestimmungen zugunsten der Kreativen einzuschränken, war umstritten. Nach äußerst kontroversen Debatten außerhalb und innerhalb des Parlamentes und erheblichen Änderungen der ursprünglichen Gesetzentwürfe fand die Reform des Urhebervertragsrechts jedoch schließlich die Zustimmung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Kernelement des neuen Urhebervertragsrechts ist ein ausdrücklicher Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung (§ 32 UrhG [n. F.]), der durch einen Anspruch der Kreativen auf einen "Fairnessausgleich" für den Fall unerwartet hoher Einnahmen aus der Werkverwertung ergänzt wird (§ 32a UrhG [n. F.]).
Diese Bestimmungen werden flankiert durch die neuartige Möglichkeit zum Abschluss so genannter gemeinsamer Vergütungsregeln (§ 36 UrhG [n. F.]), mit deren Hilfe Vereinigungen von Urhebern und Vereinigungen von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern eine Übereinkunft zur Bestimmung der Angemessenheit von Vergütungen nach § 32 UrhG (n. F.) treffen können. Die gemeinsamen Vergütungsregeln sollen die Angemessenheit inhaltlich ausfüllen und die jeweilige Branchenpraxis prägen (Begründung des Regierungsentwurfs, Bundestagsdrucksache 14/6433, S. 12).
Der Gesetzgeber hat ausdrücklich festgestellt, dass er mit den neuen urhebervertragsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere mit dem Konzept der gemeinsamen Vergütungsregeln, "juristisches Neuland" betritt (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, Bundestagsdrucksache 14/6433, S. 12). Angesichts der stetig wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung des Urheberrechts ist es zwei Jahre nach der Novelle deshalb sachgerecht, eine Zwischenbilanz über die ersten praktischen Erfahrungen mit dem neuen Urhebervertragsrecht zu ziehen.
Vorbemerkung der Bundesregierung
Das Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern ist seit dem 1. Juli 2002 in Kraft. Seine Grundaussage ist einfach: Urheber und ausübende Künstler haben Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Was jeweils angemessen ist, sollen die Verbände der Verwerter und der Urheber miteinander vereinbaren. Angesichts der anfangs sehr kontroversen Debatte um das Urhebervertragsrecht und, weil mit ihm Neuland betreten wird, war absehbar, dass sich die tatsächliche Bestimmung der angemessenen Vergütung durch Urheber und Verwerter mindestens ebenso schwierig gestalten würde wie das Gesetzgebungsverfahren selbst. Es kann angesichts dessen nicht verwundern, dass sich die Beteiligten nicht einmal zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht auf gemeinsame Vergütungsregeln einigen konnten. Deshalb ist es auch für eine Zwischenbilanz noch zu früh. Entscheidend ist, dass Urheber und Verwerter die gesetzliche Vorgabe befolgen und ernsthaft miteinander verhandeln. Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen der Bundesregierung wurden nur die von den Übersetzern mit den Verlegern geführten Verhandlungen für gescheitert erklärt. Hier vermittelt derzeit das Bundesministerium der Justiz auf Bitten beider Seiten. Ferner ist ein Verfahren zur Besetzung der Schlichtungsstelle nach § 36a UrhG eingeleitet worden. Im Übrigen versteht es die Bundesregierung weiter als ihre Aufgabe, die wirtschaftliche und soziale Lage im Kulturbereich zu beobachten, eine positive Entwicklung zu unterstützen und generell Rahmenbedingungen zu erhalten und zu schaffen, die es den Kulturschaffenden, den Künstlerinnen und Künstlern, ermöglichen, frei und kreativ zu wirken. Außerdem wird daran erinnert, dass die Bundesregierung mit Interesse die Erkenntnisse und Anregungen der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" erwartet, die sich auch mit urheberrechtlichen Fragen befassen wird. Der Arbeit der Enquete-Kommission, die auf einem von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages gebilligten Einsetzungsbeschluss beruht, sollte nicht vorgegriffen werden.
Vor diesem Hintergrund sind die Fragen wie folgt zu beantworten:
1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, inwieweit die neuen Vergütungsansprüche bereits Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen waren bzw. wie die Rechtsprechung mit den neuen Vorschriften - insbesondere mit dem Vertragsergänzungsanspruch aus § 32 Abs. 1 Satz 3 UrhG (n. F.) - umgeht?
Der Bundesregierung sind bisher keine Entscheidungen bekannt geworden, die bereits auf Grundlage des neuen Rechts ergangen wären. Die von den Neuregelungen ausgehende Signalwirkung schlägt sich aber schon jetzt in obergerichtlichen Entscheidungen - etwa des OLG München (in Zeitschrift für Urheber und Medienrecht/ZUM 2003, S. 684 bis 688 und S. 970 bis 974) zur früheren Regelung des Bestseller-Paragraphen (§ 36 UrhG a. F.) - nieder, in denen die entsprechende gesetzgeberische Intention in der Entscheidungsbegründung ausdrücklich gewürdigt wird.
2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Entwicklung der ökonomischen Situation der Urheber und ausübenden Künstler seit dem Inkrafttreten des neuen Urhebervertragsrechts in den Branchen, die in der Debatte um das neue Urhebervertragsrecht eine besondere Rolle gespielt haben, also insbesondere in der Film- und Fernsehproduktion, bei den Übersetzern sowie bei den freiberuflich tätigen Journalisten?
Die Bundesregierung hat am 19. Dezember 2003 ? also vor drei Monaten - im Rahmen der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der künstlerischen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutschland (Bundestagsdrucksache 15/1402) die fast gleichlautende Frage 19 beantwortet (Bundestagsdrucksache 15/2275 (neu)). An diesem Erkenntnisstand hat sich nichts geändert. Auf die seinerzeitige Antwort wird daher verwiesen.
3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Auswirkungen des neuen Urhebervertragsrechts auf die Praxis der urheberrechtlichen Vertragsgestaltung?
Keine.
4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob und in welcher Weise die neuen urhebervertragsrechtlichen Bestimmungen sich auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere auf die Kosten bei der Herstellung und der Verwertung urheberrechtlich bzw. leistungsschutzrechtlich geschützter Werke und Darbietungen auswirken?
Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Kosten für die Herstellung und Verwertung geschützter Werke und Darbietungen aufgrund des Urhebervertragsrechts verändert haben.
5. Hat sich die - insbesondere von Film- und Fernsehproduzenten geäußerte - Befürchtung als berechtigt erwiesen, dass die in § 32a Abs. 2 UrhG (n. F.) vorgesehene Durchgriffshaftung infolge von Freistellungsklauseln zu einer "Sandwichsituation" der Produzenten führt, mit der Folge, dass die Produzenten sämtliche Ansprüche des Urhebers tragen müssen, obwohl sie nicht im eigentlichen Sinne Verwerter des Werkes sind?
Nach den Erkenntnissen der Bundesregierung wurden bislang keine Ansprüche aus § 32a UrhG geltend gemacht.
6. In welchen Branchen und Verwertungsbereichen haben sich die Beteiligten seit dem Inkrafttreten des neuen Urhebervertragsrechts bereits auf gemeinsame Vergütungsregeln einigen können?
Bisher ist in keiner Branche eine Einigung gelungen. Die Verhandlungen gestalten sich - wie erwartet - schwierig und zäh, so dass es bis zu Abschlüssen noch etwas dauern wird.
7. Sofern bislang keine oder nur vereinzelt gemeinsame Vergütungsregeln zustande gekommen sind, hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Gründe dafür?
Die Gründe sind vielfältig. Ein Grund liegt sicherlich in den entgegengesetzten Ausgangspositionen: Die Urheber wollen zum Teil eine Erhöhung ihrer Vergütungssätze, die Verwerter wollen möglichst wenig zahlen. Die allgemein nicht gute finanzielle Lage vieler Verwerter macht es ihnen nicht leicht, höhere Kosten zu akzeptieren. Außerdem mussten teilweise - wie zum Beispiel auf Seiten der Verlage - zunächst Vereinigungen gegründet werden, die befugt sind, Verhandlungen über gemeinsame Vergütungsregelungen zu führen. Hinzu kommen formale Schwierigkeiten wie etwa Feststellung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 UrhG, die von den Parteien geklärt werden müssen. Nicht vergessen werden darf, dass die Bemessung der Vergütung in den verschiedenen Branchen von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, so dass die Aufstellung der fraglichen Regelwerke naturgemäß sehr komplex sein wird.
8. Beurteilt die Bundesregierung die ersten praktischen Auswirkungen des neuen Urhebervertragsrechts insgesamt als eher positiv oder eher negativ?
Die neue Rechtslage wird sich erst langsam in der Praxis auswirken. Daher ist es für eine Bewertung noch zu früh.
9. Sieht die Bundesregierung Korrektur- bzw. Änderungsbedarf bei den neuen urhebervertragsrechtlichen Bestimmungen, und wenn ja, in welcher Hinsicht und mit welcher Begründung?
Die Bundesregierung sieht zum jetzigen Zeitpunkt keinen Anlass für Korrekturen oder Änderungen.
10. Beabsichtigt die Bundesregierung, weitere Änderungen des Urhebervertragsrechts zum Gegenstand des "Zweiten Korbes" zu machen, und wenn ja, welche Änderungen und mit welcher Begründung?
Siehe Antwort auf Frage 9.
Deutscher Bundestag
Drucksache 15/2937
15. Wahlperiode; 21. 04. 2004