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12.10.: literatur aktuell +++ literatur

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Kertész spendet für Wissenschaftskolleg Berlin +++ Grass will nicht auf Reich-Ranicki-Brief reagieren +++ Walser nimmt Kritikerpreis an, rechnet mit Kritik ab

Kertész spendet für Wissenschaftskolleg Berlin
Berlin (ddp-bln). Der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész will einen Großteil seines Preisgeldes dem Wissenschaftskolleg in Berlin spenden. Er werde das Geld «hier ausgeben», sagte Kertész am Freitag in der Hauptstadt. Zugleich betonte er, dass sich seine Pläne für die kommenden Monate nach der Preisverleihung nicht ändern werden. «Ich möchte gerne mein Stipendium am Wissenschaftskolleg bis Ende Juli kommenden Jahres ausfüllen», sagte Kertész.
Das Hauptwerk des neuen Literatur-Nobelpreisträgers Imre Kertész, der "Roman eines Schicksallosen", soll verfilmt werden. Wie der Cheflektor des Suhrkamp Verlags, Rainer Weiss, am Freitag in Berlin mitteilte, soll das von dem Autor selbst verfasste Drehbuch so schnell wie möglich, wahrscheinlich in den nächsten zwei bis drei Wochen, erscheinen.
Derzeit liefen Verhandlungen über den Verkauf der Filmrechte, hieß es. Das 1975 erschienene Hauptwerk von Kertész erzählt aus der Perspektive eines Kindes vom Überleben des Holocaust. Das Drehbuch von Kertész sei kein gewöhnliches, sondern repräsentiere eine eigenwillige eigene Textsorte, sagte Weiss.
Der Schriftsteller will nach eigenen Angaben seinen neuen Roman mit dem Arbeitstitel "Liquidation" in Berlin zu Ende schreiben. In dem Buch, das er bis zum Frühsommer abzuschließen hofft, werde er erneut einen Blick auf den Holocaust werfen. Das Buch beschäftige sich nicht mehr mit den Überlebenden, sondern mit der zweiten Generation, die ratlos mit dem schweren Erbe ringe, sagte Kertész. Der Holocaust sei sein Grundthema, sein Trauma. "Ich gehe von Auschwitz aus, und immer wenn ich an einen neuen Roman denke, denke ich an Auschwitz", so der Autor.

Grass will nicht auf Reich-Ranicki-Brief reagieren
Frankfurt/Main (ddp). Autor Günter Grass will nicht auf den Offenen Brief des Kritikers Marcel Reich-Ranicki reagieren. «Dieser Herr kommt in unserem Buch nicht vor», antwortete Grass am Freitag bei der Vorstellung der Anthologie «In einem reichen Land» auf der Frankfurter Buchmesse auf eine entsprechende Frage.
Der Literaturnobelpreisträger hatte das sozialkritische Buch initiiert, das 40 Beiträge von Autoren aus Ost und West versammelt. Das Buch versammelt über 40 Sozialreportagen, Essays sowie fünf Fotoserien, die sich mit dem Thema Armut in Deutschland auseinandersetzen. Herausgeber der Anthologie sind die ostdeutsche Schriftstellerin Daniela Dahn und der Präsident des Deutschen PEN-Zentrums, Johano Strasser. Die Autoren, unter ihnen neben Grass, Dahn und Strasser auch Roger Willemsen, Landolf Scherzer und Gert Heidenreich, haben zwei Jahre lang quer durch Deutschland Gespräche geführt. Zu Wort kommen Straßenkinder und Aussiedler, Gerichtsvollzieher und rechte Hooligans, Mitarbeiter von sozialen und kirchlichen Einrichtungen.
Reich-Ranicki war in seinem Brief auf das Versöhnungsangebot von Nobelpreisträger Günter Grass eingegangen. In der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Freitagausgabe) kündigte der Literaturkritiker an, seine im «Spiegel» veröffentlichte Kritik nicht zurücknehmen zu wollen. Eine «Kränkung» der Person Grass\' bedauere er jedoch. Mit Blick auf den Verriss seines 1995 erschienenen Romans «Ein weites Feld» hatte der Autor in einem Gespräch mit dem ARD-Vorsitzenden Fritz Pleitgen eine Entschuldigung gefordert. «Das muss er zurücknehmen, darauf bestehe ich», hatte Grass gesagt.
Reich-Ranicki wies auch Grass\' Vorwurf zurück, er habe den Roman «Die Rättin» getötet. Damit überschätze der Schriftsteller ihn und seinen Einfluss als Kritiker «wieder einmal». Reich-Ranicki fragte: «Halten Sie es denn für ganz ausgeschlossen, dass der Misserfolg Ihrer \'Rättin\' einen anderen Grund hatte?» Zum Schluss schreibt der Kritiker: «Wie auch immer: Eine Aussöhnung zwischen uns beiden ist Ihrer Ansicht nach möglich. Diese Verlautbarung hat meine Laune deutlich gebessert. Es grüßt Sie in alter Herzlichkeit, Ihr Marcel Reich-Ranicki».
Inzwischen will sich Günter Grass weiter in gesellschaftspolitische Diskussionen einmischen. «Es ist vielleicht mein Charakter», begründete Grass am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse sein Engagement. «Das ist bestimmt keine Frage des Alters», fügte der Autor hinzu, der am 16. Oktober seinen 75. Geburtstag feiert. «Ich erlebe viele 45-Jährige als Greise und viele Angehörige meiner Generation als sehr aktiv.»

Walser nimmt Kritikerpreis an, rechnet mit Kritik ab
orf - Zu einer Generalabrechnung mit der Literaturkritik hat der Autor Martin Walser die Entgegennahme des "Preises der Kritik" genutzt. Heutzutage sei der geeignetste Kritiker der, der nichts anzufangen wisse mit dem Buch, das er bespreche, sagte Walser am Donnerstag in Frankfurt.
Der Verlag Hoffmann und Campe hatte den 75-Jährigen - dessen jüngstes Werk "Tod eines Kritikers" heißt - wegen seiner Essays über bekannte und unbekannte Autoren als "Literaturvermittler par excellence" gewürdigt.
Walser sagte, er fühle sich nicht als Kritiker; wenn er über Werke schreibe, eigne er sie sich auf seine private Weise an. Der Kritiker dagegen gebe sich der Täuschung hin, ein abschließendes Urteil über den Autor fällen zu können. Er selbst habe nie ein Buch rezensiert, das ihm nicht zugesagt habe, sagte Walser.
Dem Kritiker dagegen falle in der heutigen Mediengesellschaft die Arbeit umso leichter, je weniger ihm das Buch gefalle, denn das Publikum amüsiere sich über witzige Verrisse. Walser sprach von "geistigem Schenkelklopfen".
Der Autor ist erster Träger des "Preises der Kritik". Verlagsgeschäftsführer Rainer Moritz begründete die Stiftung mit der Notwendigkeit, dass über Bücher gesprochen und gestritten werde. Walsers Aufsätze über Bücher und Schriftsteller wie Jonathan Swift, Marcel Proust und Friedrich Hölderlin seien "Liebeserklärungen", die den Leser anregten, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Der Preis ist mit einer Gesamtausgabe des Klassikers Heinrich Heine - der bei Hoffmann und Campe veröffentlichte - und 99 Flaschen Gigondas, eines körperreichen südfranzösischen Rotweins, dotiert. Walser sagte, er besitze bereits eine 27-bändige DDR-Ausgabe der Schriften Heines, die es an nichts fehlen lasse. Auch über den Rotwein äußerte er sich reserviert; er kündigte an, ihn sechs Literaturwissenschaftlern zu schenken, die demnächst einen Band über Walsers "Tod eines Kritikers" herausbringen.