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Uraufführung von Hanns-Josef Ortheils "Der Stadtschreiber" +++ Arthur Schnitzlers «Liebelei» am Hamburger Thalia Theater
Uraufführung von Hanns-Josef Ortheils ?Der StadtschreiberMainz (ddp-swe). Am Samstagabend findet im Mainzer Staatstheater die Uraufführung des Theaterstückes «Der Stadtschreiber» von Hanns-Josef-Ortheil statt. Das Stück ist in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit: Es ist das erste Theaterstück des durch seine historischen Romane bekannten Autors, und es ist das erste Mal überhaupt, dass ein Stadtschreiber so öffentlich seine Zeit als Ehren-Literat einer Kommune verarbeitet. Über seine Zeit in Mainz, die Typen des Stückes und die Allgemeingültigkeit der Mainzer Erinnerungen sprach ddp-Korrespondentin Gisela Kirschstein mit dem 50-Jährigen.
ddp: Herr Ortheil, Sie waren in den Jahren 2000 bis 2001 Stadtschreiber in Mainz. Was macht man denn da so?
Ortheil: Man ist ja eigentlich eingeladen, an den eigenen Projekten weiter zu arbeiten. Ich habe also für einen Roman recherchiert, der in Mainz spielt, nämlich in den Jahren zwischen 1966 und 1971, als ich als Schüler in Mainz gelebt und später Abitur gemacht habe. Das war sozusagen das Innere der Arbeit.
Darum herum waren dann aber die ganzen Pflichten, die sich aus dem Amt ergaben. Das waren zunächst einmal über 50 Lesungen in Schulen und woanders, 400 Briefe von Bürgern, die ich beantwortet habe, drei Zeitungen, mit denen ich die ganze Arbeit dokumentiert habe. Und dann gab es eben sehr viele Kontakte mit Mainzern. Während der zwei Jahre war das ein dauernder Auflauf von Medien, Bürgern und Repräsentanten der Stadt.
ddp: Das hatten Sie sich so nicht vorgestellt?
Ortheil: Ich war vorher noch nie Stadtschreiber. Ich hatte eigentlich gedacht, man liest ab und zu mal und hat ansonsten Zeit, sich auf die Stadt zu konzentrieren. Das war überhaupt nicht so. Ich habe das ganze Jahr über so eine Art «Stadtbad» genommen, habe in Gesellschaft und Geselligkeit und in Biographien gebadet.
ddp: In der Presse stand viel über Ihre Erlebnisse. Da war von Verehrerinnen, alten Damen und Kulturdezernenten, von Flaschen Wein, die vor die Tür der Stadtschreiber-Wohnung gestellt wurden, und von zudringlichen Schulklassen die Rede. War das wirklich so, oder wurde da übertrieben?
Ortheil: Ich glaube, das ist untertrieben, was da stand. Es gab täglich Kontakte zu Leuten, die einen in der Wohnung besuchen wollten, oder irgendeine Art von Kontakt mit einem aufnehmen wollten. Ein großer Teil hatte eine Nachfrage wegen eigener Texte. Leute haben einem die eigenen Texte gezeigt und wollten dann eine Reaktion: Taugt das was, was mache ich damit, können Sie mir da helfen?
ddp: Wie erklären Sie sich diesen Ansturm? Hatten Sie vielleicht eine sehr Mainzer Art, mit den Mainzern umzugehen?
Ortheil: Nein. Ich habe zwar lange hier gelebt, aber ich komme aus Köln und sehe das durchaus wie ein Ethnograf. Ich wollte ja auch nicht alleine da oben in diesem Stübchen verhungern. Ich wollte den Kontakt durchaus, aber es ist ein wenig wie im Märchen: Wenn man die Hand ausstreckt, öffnen sich Riesentore und plötzlich marschieren Scharen ein.
ddp: Was war die Motivation, diese Erlebnisse in einem Stück zu verarbeiten?
Ortheil: Ich glaube, dass das Theater wirklich in dem klassischen Schillerschen Sinne eine öffentliche Anstalt ist, in der man Themen, die die Öffentlichkeit beschäftigen sollten, zur Diskussion stellt. Im Theater kann man solche Themen in einem quasi ur-gesellschaftlichen Prozess auf die Bühne bringen. Theater ist für mich ein ganz politisch-gesellschaftliches Medium.
Wenn ich jetzt also diese ganze Zeit erlebt habe in der Weise, wie ich es gerade dargestellt habe, dann habe ich mit der Bühne die Möglichkeit, der Stadt zu zeigen, wie ich die Geschichte erlebt habe. Ich kann also einen Spiegel vorhalten und damit fragen: Was ist denn dieses Amt eigentlich im Blick auf das Verhältnis von Schriftsteller und Öffentlichkeit? Ich kann das Amt thematisieren und ihm eine breitere Diskussionsbasis eröffnen.
ddp: Warum sollten Mainz und die Öffentlichkeit darüber diskutieren?
Ortheil: Es geht darum, nachzudenken, was Kunst und Literatur heutzutage sind. Wir haben einerseits ganz altmodische Vorstellungen von Literatur aus dem 19. Jahrhundert: vom Dichter, der Dinge weiß, die andere nicht wissen, der ein Seher ist. Das ist die sehr deutsche Tradition des Geniekults. Diese Tradition erlebt man als Autor dauernd. Jüngere Leute erwarten dagegen von einem den Medienagenten. Die fragen nicht, was schreiben Sie als nächstes für einen Roman sondern die fragen mich: Haben Sie schon mal ein Drehbuch für einen «Tatort» geschrieben oder interessiert sie das nicht? Die haben also wieder eine andere Perspektive.
Die Rolle des Autors ist gegenwärtig durch unendlich viele Projektionen auf diese Figur besetzt. Wir müssen uns mal klarer darüber werden, was für uns der Schriftsteller ist, was für eine Figur der sein soll. Diese verschiedenen Nuancen eines Autors spielt das Stück durch in den Projektionen der Figuren, die an ihn heran treten. Da gibt es eben solche, die immer noch den Klassiker sehen wollen, da gibt es solche, die den Medienmenschen sehen wollen, da gibt es solche, die den genialen Lyriker sehen wollen. Und es gibt den Literaturagenten, der den Autor unter kommerziellen Aspekten sieht. Dahinter stecken nicht individuelle Figuren aus Mainz, sondern sie sind Funktionsträger in einem Stück.
So ist das Stück durch die verschiedenen Figuren, die auftreten, eine Chance, die Brechung der Figur in die vielen Funktionen von Öffentlichkeit zu beschreiben, die es gegenwärtig gibt. Ich kann damit die Öffentlichkeit fragen: Welche wollt Ihr denn? In welcher kann dieser Mensch, von dem so viel verlangt wird, eigentlich noch leben? Kann er das noch zusammen kriegen? Wie ist heute das Bild vom Autor und der Öffentlichkeit? Das kann das Stück thematisieren.
ddp: Und das macht es auch allgemein-gültig und nicht nur Mainz-gültig?
Ortheil: Nur ein Mainz-Stück zu schreiben, hatte ich nie im Kopf. Es geht um die Verallgemeinerung und nicht um die Beschreibung von Mainz-Situationen. Dann wäre das Stück auch nicht mehr in Trier oder woanders spielbar. «Der Stadtschreiber» ist aber überall spielbar, Stuttgart und Köln haben bereits Interesse angemeldet.
Arthur Schnitzlers «Liebelei» am Hamburger Thalia Theater
Hamburg (ddp-nrd). «Ein Spiel dauert 90 Minuten», sagt der junge Berliner Regisseur Michael Thalheimer und wendet diese alte Fußballweißheit kompromisslos auch auf seine Theaterinszenierungen an. Klassiker des Bühnenrepertoires wie «Kabale und Liebe» oder «Liliom» werden von ihm radikal gekürzt und auf das Pure reduziert. Dafür gab es bislang viele Auszeichnungen, aber auch Kritik vom Publikum. Am Samstagabend nun kehrte er mit der Neuinszenierung von Arthur Schnitzlers «Liebelei» an das Hamburger Thalia Theater zurück. Kühl, kurz, unsentimental und explosiv setzte er das Drama des Seelenzergliederers Schnitzler für die Bühne um. Das Publikum feierte diesmal seine Inszenierung als ein äußerst gelungenes Stück aktuellen Gegenwartstheaters.
Die vier Hauptpersonen in «Liebelei», Fritz und Theodor, Christine und Mizi, stellen sich per Videoclip vor, bevor sie selbst aus dem Schatten der Bühne ins Licht treten: vier nette junge Leute von Nebenan, alle im modischen H&M-Outfit, schön und selbstbewusst. Melancholische Musik («Trouble every Day» von den Tindersticks) stellt das makellose Bild aber schnell in Frage. Mizi (Fritzi Haberlandt) und Theodor (Felix Knopp) verbindet eine oberflächliche Beziehung, die Unterhaltungen sind belanglos und leer. «Ich werde um die Männer keine dunkle Stunde verbringen», sagt Mizi schwatzhaft und kokett. Ihre Freunde Fritz (Hans Löw) und Christine (herausragend: Maren Eggert) stecken ebenfalls in einer Liebelei, doch zumindest Christine begibt sich auf die verzweifelte Suche nach Tiefe und Nähe in der Beziehung zu Fritz.
Sein Verhältnis mit einer verheirateten Frau hält den jungen Studenten Fritz ganz und gar gefangen. Für Christine, die er «gern mag», bleiben da nicht viele Gefühle übrig. Jede Annäherung misslingt, jeder verzweifelte Wutausbruch der Verletzten bleibt ohne Folgen. Die schwatzhafte Freundin Mizi rät ihr zu Gelassenheit. Aber wie? Ihr Beispiel der Liebelei-Beziehung zu Theodor kann für Christine nicht wirklich ein Beispiel sein. Die wiederkehrende melancholische Musik nimmt vorweg, dass es keinen glücklich machenden, «schönen» Ausweg geben kann.
Auch Christines Vater Hans (Helmut Mooshammer), der seiner Tochter mit seiner eigenen Lebenserfahrung aus der Krise helfen will, kann ihr keinen Trost spenden. Sätze wie «Schau, wie viel Glück noch vor dir liegt» bringt er nur stammelnd, manchmal sprachlos und pantomimisch angedeutet hervor. Ebenso sprachlos und hilflos zappelnd schauen die Freunde Christine bei ihrer Suche nach Wahrheit und Tiefe zu.
Thalheimer hat das Schnitzler-Drama von 1895 sprachlich nicht neu gefasst, die Protagonisten reden nicht Umgangssprache, und auch der altmodische Schluss - ein Duell zwischen Fritz und dem Ehemann seiner Geliebten - blieb erhalten. Fritz wird erschossen. Und Christine? Ganz unsentimental und doch anrührend lächelt sie zum ersten Mal, ist sie ge(er?)löst, reckt die Arme ins Licht. Es könnte für sie eine Befreiung sein.
Angelika Rausch
( http://www.thalia-theater.de )