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Buchmesse Frankfurt ab Montag auf Standortsuche +++ Thalheimer inszeniert Tschechows «Drei Schwestern» in Berlin
Buchmesse Frankfurt ab Montag auf Standortsuche
Frankfurt/Main/München (ddp-bay). Ein Wegzug der Buchmesse aus Frankfurt am Main wird immer wahrscheinlicher. Nach dem Sachstand von Freitagvormittag werde sich die Buchmesse ab Montag nach anderen Standorten umschauen, sagte Sprecher Holger Ehling auf Anfrage. Von Seiten der anderen Beteiligten - den Hoteliers und der Messegesellschaft Frankfurt - habe es keine Bewegung gegeben, begründete Ehling diesen Schritt. Damit könnte die weltgrößte Literaturschau, die vor allem zu hohe Hotelpreise und steigende Standkosten in Frankfurt beklagt, schon ab 2004 zum Beispiel in München stattfinden.
Ehling erläutete, es gebe nicht allzu viele Messen in Deutschland, die die Literaturschau von der Größe her aufnehmen könnten. München sei als Verlagsstadt sehr attraktiv. Es müssten aber auch andere Standorte wie Köln, Berlin oder Hannover geprüft werden.
Nach Ansicht des Leiters der Stiftung Buch-, Medien- und Literaturhaus München, Reinhard G. Wittmann, hätte ein Wechsel des Standortes von Frankfurt nach München große Vorteile. Die wirtschaftlichen Gesichtspunkte sprächen eindeutig für die bayerische Landeshauptstadt, sagte Wittmann der Nachrichtenagentur ddp am Freitag. Es gebe hier bessere Hallen, eine günstigere Hotellerie und mehr Locations für Verlags-Empfänge. Außerdem sei München sowieso die Stadt mit den meisten Verlagen in Deutschland, betonte er. Gegen einen neuen Standort spreche eigentlich nur das Traditionsargument. Dem Leseland Deutschland und der Branche täte es allerdings sehr gut, wenn dieses endlich aufgebrochen werde, sagte Wittmann. Dies würde zeigen, dass die Branche noch fähig ist, «etwas neues auf die Beine zu stellen».
Seit Mitte Januar hat es laut Ehling zwischen der Buchmesse und den anderen Frankfurter Beteiligten eine Reihe von Gesprächen gegeben. Die Buchmesse habe Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) ihr Wort gegeben, bis zum 1. März keine Verhandlungen mit München zu führen. «Wir halten uns an diese Absprache», betonte Ehling. Zum jetzigen Zeitpunkt konstatiere man aber, dass sich die andere Seite nicht bewegt habe.
Ehling betonte: «Unsere Priorität ist weiterhin der Verbleib am Standort Frankfurt.» Hierfür erwarte die Buchmesse aber ein «Entgegenkommen, das uns das ermöglicht». Dies sei aber bislang nicht der Fall gewesen. «Wir gehen deshalb davon aus, dass man nicht allzu ernsthaft daran interessiert ist, die Buchmesse zu halten», sagte Ehling. «Wir nehmen dieses Verhalten unseres Gegenübers mit Interesse und Erstaunen zur Kenntnis», fügte er hinzu.
Thalheimer inszeniert Tschechows «Drei Schwestern» in Berlin
Berlin (ddp). Vor anderthalb Jahren hat der Regisseur Michael Thalheimer dem Deutschen Theater Berlin (DT) «Emilia Galotti» geschenkt - eine fulminante und höchst erfolgreiche Inszenierung. Mit großer Spannung erwarteten die Theaterfans jetzt seine neue Arbeit in Berlin: Tschechows «Drei Schwestern», die am Freitag Premiere hatte. Die Machart des Erfolges zu kopieren - das wäre ein möglicher Weg. Thalheimer ging diesen Weg nicht.
Bühnenbildner Olaf Altmann hat für «Drei Schwestern» die Drehbühne des DT mit Holzwänden bestückt. Wenn sich die Bühne dreht - und sie dreht sich ausgiebig während des zweieinhalbstündigen Abends - dann tun sich schmale Gänge auf, bilden sich Plätze und Winkel. Man würde das Leben gern festhalten, sagt Thalheimer, aber die Drehscheibe dreht sich weiter, weil das Leben nicht so einfach anzuhalten ist, weil es uns «passiert». Und weil der Regisseur weniger auf Tschechow und mehr auf eigene Lebensbeobachtungen abzielt, findet das Schicksal eben auch nicht am Teetisch in der russischen Provinz statt, sondern im abstrakten, ansprechend ausgeleuchteten Raum.
Es gibt allerdings eine Kehrseite: Für Thalheimer handelt «Drei Schwestern» von der «unerträglichen Leichtigkeit» des Seins, nicht von dessen Schwere. Für den Regisseur ist der Wartezustand ein Zufall, nicht selbst bestimmt. Dass der Sinn des Lebens verpasst werden kann, das wird nicht in der Inszenierung erspielt, sondern es wird achselzuckend akzeptiert und gleichsam vorausgesetzt. Thalheimer möchte die gegenwärtige «Light»-Kultur angreifen, herausgekommen ist aber ein «Tschechow-Light», in dem die Figuren von Anfang an verloren haben.
Während eine melancholische Klaviermelodie den larmoyanten Charakter der Stückinterpretation unterstreicht, bemühen sich die Darsteller, ihre Figuren gelegentlich dem Wartezustand zu entreißen. Anika Mauer (Olga), Isabel Schosnig (Mascha) und Regine Zimmermann (Irina) können ihre Figuren gegen das gleich machende Gesamtkonzept nur selten als Individuen bewahren, auch wenn sie gelegentlich an der Rampe tiefe, wissende Blicke ins Publikum werfen dürfen. Bruder Andrej (Ingo Hülsmann) ist vor allem dann präsent, wenn er mal laut werden kann. Robert Gallinowski ironisiert seine Figur (Maschas Ehemann) und nimmt ihr dadurch Tiefe. Sven Lehmann darf als Gast aus Moskau seine Utopien oft nur als Klanggeräusch aus dem Hintergrund präsentieren.
Die Inszenierung stürzt sich geradezu auf das Alles-egal-Prinzip, das die Figuren Tschechows am Aufbruch - zum Beispiel nach Moskau - hindert. Dieses Prinzip führt zu Langeweile - der Widerstand wird übersehen, der im Stück stets mitgedacht ist, wenn er auch nie stattfindet. Eine bloße, sehr ästhetische Visualisierung der «Leichtigkeit des Seins» ist ein wenig dürftig. So fiel denn auch der Applaus des Premierenpublikums aus: ein bisschen dürftig.
Jens Bienioschek