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Philosophie elektronisch - Tangerine Dream feiern 40-jähriges Bestehen mit Album und zweijähriger Welttournee
Berlin (ddp). Edgar Froese ist ein wissenschaftlicher Philosoph. Wie kann es sein, dass über den Wolken minus 54 Grad herrschen, und die Sonne trotzdem auf der Haut brennt? Mit solchen Sachen beschäftigt sich der 62-jährige Kopf der Elektro-Band Tangerine Dream. «Das sind Dinge, die einfach an uns vorüber gehen und davon gibt es hunderte», sagt er. Und die vertont Froese: «Das ist interessanter in Klang umzusetzen als Frust an der Biertheke." Ihre eigenwillige Musik, die Fans rund um den Globus hat, machen Tangerine seit 40 Jahren. Zum Jubiläum geht die Band 2007 und 2008 auf Welttournee. Auftakt ist bereits am Donnerstag bei der Musikmesse
Popkomm in Berlin.
Im August war bereits das neue Album »2101« erschienen. »Das ist eine rein instrumental erzählte Science-Fiction-Geschichte«, sagt Froese im ddp-Interview. Es geht um einen Zeitreisenden, der nicht mehr zur Erde zurückkehrt. »Wir stellen uns Themen, die uns selbst interessant erscheinen«, sagt Froese. Dazu gehörten »alle Dinge, die neue Realitäten schaffen«. Tangerine Dream beschrieben in Musik, was in vielen Menschen vorgehe.
Die geplante Welttournee, die mit Unterbrechungen zwei Jahre dauern wird, führt die Band um Froese unter anderem nach Österreich, Finnland, Irland, Spanien, Australien, Japan und die USA. »In den USA und Großbritannien haben wir die meisten Fans«, sagt Froese.
An der elektronischen Musik fesselt ihn übrigens »nichts«. Er sieht sie als Mittel zum Zweck: »Die Technik ermöglicht uns, Klänge zu produzieren, die ich nicht mit Klavier oder Trompete so umsetzen könnte«, sagt Froese, der Kunst und Malerei studierte. Mit einem Synthesizer könne er »mit zwei Händen zehn Töne drücken. Das fasziniert mich«. Er träume davon, eine Komposition aus seinem Kopf »hundertprozentig identisch gespielt« zu hören.
Die sieben Mal für den Grammy nominierten Tangerine Dream sind ein Phänomen. Ihre Musik, zu der nicht jeder sofort Zugang findet, lässt sich in keine Schublade stecken. Zu Anfangszeiten bestanden ihre Konzerte zum größten Teil aus Improvisationen, weil sie kein Stück zwei Mal spielen wollten. In den vergangenen 40 Jahren veröffentlichten die Erfinder neuer Klänge mehr als 120 Platten. Auf den Mainstreamgeschmack müssen sie dabei keine Rücksicht mehr nehmen. Sie haben seit 1996 ihre eigene Plattenfirma.
So konnten Tangerine Dream ungebremst abseits der Charts experimentieren: Sie vertonten Texte des britischen Dichters William Blake und schufen eine musikalische Bearbeitung von Dante Alighieris «Divina Commedia».
Einen Namen machte sich die Band, deren Besetzung mehrfach wechselte und in der seit 1990 auch Froeses Sohn Jerome spielt, auch mit ihren Soundtracks für Filmproduktionen wie «Lockere Geschäfte», «Der Feuerteufel» und «Catch Me If You Can». Das Titellied zu dem Schimanski-Tatort «Das Mädchen auf der Treppe» (1982) brachte der Band sogar eine Chartplatzierung unter den Top 20 ein - wofür Froese sich angeblich entschuldigte.
Musiker wie David Bowie, Depeche Mode und Björk bezeichneten Tangerine Dream als Inspirationsquelle. Zu Lebzeiten bestellte auch der spanische Maler Salvador Dalí eine Komposition der Gruppe, die dann in seinem Garten aufgeführt wurde.Ans Aufhören denkt der 62-jährige Froese übrigens noch lange nicht: »Ich wüsste nicht warum. Für Künstler gibt es keine Grenze.»
Nadine Emmerich