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Mehrere Preisanwärter bei Filmfestival Venedig +++ Schlöndorff kritisiert Filmindustrie +++ Regisseur J. Lee Thompson gestorben
Mehrere Preisanwärter bei Filmfestival Venedig
Nach zwei Dritteln des Filmfestivals in Venedig gibt es bereits mehrere Preisanwärter. Die Preisvergabe findet zum Festivalschluss am Sonntag Abend statt. Im Hauptwettbewerb "Venezia 59" werden der "Goldene Löwe" sowie Preise für die beste Regie und die besten Hauptdarsteller vergeben. Im Wettbewerb "Controcorrente" winkt der "Premio San Marco" im Wert von 50.000 Euro. Schließlich vergibt eine dritte Festivaljury den mit 100.000 Euro dotierten Preis für den besten Erstlingsfilm.
Der Aufmarsch von Filmstars stellt dieses Jahr selbst das Filmfestival Cannes in den Schatten. Aus den USA gaben sich etwa Julianne Moore, Tom Hanks, Harrison Ford, Liam Neeson oder John Malkovich die Ehre. Und das europäische Kino war beispielsweise mit Sophia Loren, Catherine Deneuve, Johnny Hallyday oder Philippe Noiret vertreten.
Aus den 21 Filmen im Hauptwettbewerb ragen bisher drei als mögliche Gewinner des Goldenen Löwen heraus. Der russische Film "Dom Durakov" ("Das Irrenhaus") von Andrej Kontschalovski, Todd Haynes US-Produktion "Far From Heaven", und der britische Film "The Magdalene Sisters" von Peter Mullan.
Kontschalovskis "Irrenhaus" spielt in einer psychiatrischen Klinik an der tschetschenischen Grenze, in der die Insassen jeden Abend dem vorbeifahrenden Zug zuschauen. Eines Tages kommt kein Zug mehr: Es herrscht Krieg. Zuerst sind die Tschetschenen da, dann die Russen. Der Film wertet nicht, er zeigt nur auf, eindringlich, aber auch witzig: Etwa wenn sich die Russen gegenseitig beschießen, oder wenn die verfeindeten Männer mit Marihuana handeln, oder wenn sie sich an gemeinsame Zeiten in Afghanistan erinnern. Dem Regisseur gelingt ein zutiefst humaner Film. Er klagt nicht an, und entlarvt damit die Unmenschlichkeit des Krieges umso deutlicher. Den Irren bleiben angesichts des Irrsinns nur ihre Traumwelten, erfüllt mit Musik und Gesang. "Im Krieg haben nur noch die Verrückten ein Herz", sagte Kontschalovski in Venedig.
In einer permanenten Traumwelt spielt Todd Haynes\' "Far From Heaven". Alles scheint perfekt, wie in einem Film der 50-er Jahre. Julianne Moore und Dennis Quaid sind die mustergültigen Eltern von zwei wohlerzogenen Kindern in einem makellosen Haushalt. Haynes ist ein Meister der Subtilität. Er lässt den Zuschauer lange im Unklaren, worauf er hinaus will: Zeigt er ein Melodrama, einen Thriller, oder eine Fernseh-Soap - oder ist die heile Welt nur Staffage für etwas ganz Anderes?
Der Film bewegt sich an der Grenze zum Kitsch, und geht doch unter die Haut. Und er gönnt dem Zuschauer kein Happy End. Beide Protagonisten tun nämlich etwas Mutiges: Er gesteht sich seine homoerotischen Neigungen ein, und sie ihre Zuneigung zum schwarzen Gärtner. Beides sind unverzeihliche Tabu-Brüche in der konservativen US- Gesellschaft, damals wie heute.
Auch der Brite Peter Mullan prangert die bigotte Gesellschaft an. In "The Magdalene Sisters" beleuchtet er ein tristes Kapitel britischer Geschichte, das auch im Königreich selber kaum bekannt ist. In seinem fast dokumentarischen Spielfilm schildert Mullan die Erniedrigungen, die sich junge Frauen gefallen lassen mussten, die noch bis 1996 in Klöstern quasi gefangen gehalten wurden, weil sie ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hatten oder sonst auffällig waren. Er beleuchtet drei unterschiedliche Schicksale junger Frauen, die zwischen Resignation und Auflehnung gegen die ihnen angetanen Ungerechtigkeiten schwanken. Preiswürdig sind auch die Leistungen der drei - unbekannten - Darstellerinnen.
Schlöndorff kritisiert Filmindustrie
orf - Der Regisseur Volker Schlöndorff hat in Venedig scharfe Kritik an der deutschen Filmindustrie geübt. Statt auch auf große Kinoproduktionen zu setzen, investierten die Deutschen fast ausschließlich in Fernsehfilme.
"Das ist ein echter Skandal in Deutschland", sagte der 63-jährige Schlöndorff in einem dpa-Gespräch am Rande der Filmbiennale in Venedig. "Die deutsche Filmproduktion wird zu 90 Prozent von zwei Unternehmen beherrscht, von der früheren Kirch-Gruppe und von Bertelsmann. Beide investieren nur im Fernsehen", betonte der Regisseur.
"Dies ist das Problem in Deutschland. Jeder, der Filme machen will, hängt von Kirch oder von Bertelsmann ab", meint Schlöndorff, "als Folge haben junge Talente und Absolventen der Filmschulen keine Chance, sich über das Fernsehen hinaus zu entwickeln."
Es gebe keine Produzenten "mit Ehrgeiz für großes Kino". Das sei aber eine sehr "kurzfristige Sichtweise". Weiter meinte Schlöndorff: "An Geld mangelt es dagegen nicht: Es werden Millionen Euro aus Deutschland in amerikanische Filme investiert."
Zugleich teilte der Regisseur Details über sein nächstes Filmprojekt mit. Es ist ein Streifen über die angebliche Päpstin Johanna von Ingelheim aus dem Mittelalter. "Nach der Legende handelt es sich um ein kluges junges Mädchen, das mit 12 Jahren lesen und schreiben und Latein konnte.
Dann rasierte es sich die Haare ab und trat unter dem Namen seines Bruders in ein Mönchkloster ein." Später sei Johanna nach Rom geschickt worden, "machte Karriere und wurde zum Papst gewählt. Bei einer Prozession gebar sie dann ein Kind."
Die historisch umstrittene Geschichte basiert auf einem Roman. Offiziell bestreitet der Vatikan, dass es je einen weiblichen Papst gegeben hat. "Niemand weiß, ob die Geschichte wirklich so passiert ist", räumt auch Schlöndorff ein.
Wer die Hauptrollen spielt, sei noch unklar. "Es wird eine teure Produktion werden. Daher braucht es eine Starbesetzung", sagte der Regisseur. Mit dem Drehen werde im nächsten März begonnen.
In Venedig ist Schlöndorff mit dem Kollektivfilm "Ten Minutes older - The Cello" präsent. Acht Filmemacher, darunter Jean-Luc Godard, Mike Figgis und Michael Radford, schufen dafür jeweils einen zehn Minuten dauernden Kurzstreifen zum Thema "Zeit", der innerhalb nur weniger Tage gedreht werden musste.
Schlöndorff lieferte Alltagsszenen aus der Ex-DDR. "Es ist wunderbar, etwas in so kurzer Zeit fertig zu stellen. Dies ist die ideale Form, um in den langen Jahren der Pause zwischen großen Produktionen in Übung zu bleiben." Früher habe er zeitweise jedes Jahre einen Spielfilm gedreht, jetzt dauere es immer länger. "Es geht mir wie den Athleten. Man muss immer am Laufen bleiben", sagte der Regisseur.
Regisseur J. Lee Thompson gestorben
orf - Der Hollywood-Regisseur J. Lee Thompson, der unter anderem Actionfilme mit bekannten Schauspielern drehte, ist tot. Er starb nach kanadischen Medienberichten vom Dienstag bereits am Freitag im Alter von 88 Jahren in der Ortschaft Sooke in der westkanadischen Provinz British Columbia.
Zu den großen Erfolgen des britischen Regisseurs gehörte 1961 der Streifen "Die Kanonen von Navarone" mit David Niven, Gregory Peck und Anthony Quinn. In dem Kriegsfilm zerstört ein britisches Kommando zwei Geschütze der Deutschen an einem strategisch wichtigen Kanal in der Ägäis.
Später drehte der in Bristol geborene Thompson, der im Zweiten Weltkrieg als Bordschütze bei der Royal Airforce diente, große Actionstreifen wie "Die Schlacht um den Planet der Affen" (1973) und "Eroberung des Planeten der Affen". Mehrmals arbeitete Thompson auch mit Charles Bronson zusammen, etwa in "Murphys Gesetz" oder "Das Weiße im Auge". Seine letzte Arbeit in Hollywood war "Kinjite - Tödliches Tabu" mit Bronson in der Rolle eines beinhartem Polizeidetektivs. Der Filmproduzent Pancho Kohner nannte Thompson einen "echten britischen Gentleman". Es sei eine Freude gewesen, mit ihm zu arbeiten.
Zu Thompsons anspruchsvolleren Filmen gehörte 1984 "Der Ambassador" mit Robert Mitchum, Ellen Burstyn und Rock Hudson. Darin geht es um den Versuch eines Botschafters der USA, trotz privater und politischer Intrigen im Nahen Osten zwischen Palästinensern und Israelis zu vermitteln und einen friedlichen Dialog in Gang zu bringen.