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Bayreuth (ddp). Roter Teppich, große Roben schon am Nachmittag, Prominenz aus der ersten Liga: In Bayreuth ist Festspielzeit. Am Freitag eröffnen die 97. Richard-Wagner-Festspiele mit einer Neuinszenierung von Richard Wagners (1813-1883) Spätwerk «Parsifal».
Wie üblich überstieg die Kartennachfrage wieder enorm das Angebot. Wagner-Fans mussten bis zu acht Jahre auf Karten warten, um schließlich dankbar auf einem der 1974 unbequemen Holzstühle im Festspielhaus Platz nehmen zu dürfen. Und trotzdem wird in diesem Jahr alles anders sein, denn nach 57 Jahren als Chef verlässt Festspielleiter Wolfgang Wagner die Bühne.
Noch leitet der 88-jährige Enkel von Richard Wagner und Urenkel von Franz Liszt die Festspiele «mit viel Einsatz», wie Tochter Katharina der «Bunten» sagte. «Er ist geistig fit und weiß, was er will.» Dennoch: Es wird unwiderruflich seine letzte Saison sein. Ungewiss ist, wie es danach weitergeht beim berühmtesten Opernfestival der Welt. Gut möglich, dass es in Wagner-Hand bleibt, denn mit den Töchtern Eva aus erster und Katharina aus zweiter Ehe Wolfgang Wagners bewerben sich zwei gleichermaßen fachlich wie familiendynastisch qualifizierte Frauen um die gemeinsame Nachfolge.
Nach dem plötzlichen Tod von Gudrun Wagner im November 2007, Wolfgangs zweiter Frau und Katharinas Mutter, fanden beide Töchter nach jahrzehntelangem Schweigen fast seifenopertauglich plötzlich zueinander und wollen nun ihren Vater an der Spitze der Festspiele beerben.
Noch spielen sich die Nachfolgediskussion und die Frage, wer die Ehrengäste wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangen wird, in den Vordergrund der Festspiele 2008. Wird der weißhaarige Prinzipal am Roten Teppich stehen, ebenso wie die 30 Jahre lang verstoßene Tochter Eva? Wird die Kanzlerin wieder mit einem spektakulären Outfit glänzen wie bei der Eröffnung der Oper in Oslo? Stefan Herheim, der 38-jährige Regisseur aus Norwegen, wird mit seiner Neuinszenierung des «Parsifal» einen großen Wurf landen müssen, um die künstlerische Diskussion in Schwung zu bringen.
Als Festspielleiter Wagner ihn anrief, habe er gedacht: «Jetzt hat er sich verwählt!», sagte Herheim der Nachrichtenagentur ddp. Er habe viel mehr Schmetterlinge im Bauch als Gedanken im Kopf gehabt. Kaum ein anderes Werk Wagners ist so unterschiedlich gedeutet worden wie das mystische Bühnenweihfestspiel «Parsifal». Herheim kündigte an, er werde die Oper als Zeitreise inszenieren, als Identitätsfindung der deutschen Nation und Auseinandersetzung mit dem Werk Wagners und seiner Verknüpfung mit der deutschen Geschichte. Ob ihm das glamouröse Drumherum der Wagner-Festspiele gefallen wird, weiß Herheim noch nicht: «Für mich ist der solide Kern von Bayreuth die künstlerische Arbeit. Ob mir das Fruchtfleisch drumherum wirklich süß oder etwas faulig schmecken wird, bleibt abzuwarten», sagte er.
Nach der Herheim-Premiere steht ab Samstag Katharina Wagners Bayreuther Erstlingsinszenierung des vergangenen Jahres, «Die Meistersinger von Nürnberg», wieder auf dem Programm. Die Aufführung war bei Publikum und Presse überwiegend positiv aufgenommen worden und galt als gelungene Bewerbung der damals 29-jährigen Wagner-Urenkelin für die Bayreuther Festspielleitung. Für einen Paukenschlag sorgte die junge Frau mit den Model-Qualitäten auch in diesem Jahr: Erstmals ist eine Aufführung aus dem Festspielhaus auf einer Großbildleinwand in Bayreuth zu sehen und wird zudem live im Internet übertragen.
Weitere Aufführungen im 97. Festspieljahr sind die düstere «Tristan und Isolde»-Inszenierung von Christoph Marthaler und der nach wie vor als zu bieder geltende «Ring des Nibelungen» in der Interpretation von Tankred Dorst. Bis zur Nachfolge-Entscheidung des Stiftungsrats der Festspiele voraussichtlich am 1. September bleiben Wolfgang der offizielle und Katharina der heimliche Chef im Festspielhaus. Ob sich Wolfgang nach 57 Jahren an der Spitze persönlich auf der Bühne von seinem Publikum verabschieden wird, ist noch nicht bekannt.