Meppen - Die Gedanken sind frei, die Bühne ist frei, nur die Darsteller sind es nicht. 20 Häftlinge aus vier Gefängnissen verwandeln die Justizvollzugsanstalt im emsländischen Meppen für einen Tag in eine Theaterbühne. Niedersachsens erstes Knasttheaterfestival namens «Geschlossene Gesellschaft» hat alles, was Theateraufführungen sonst auch haben: Akteure, Besucher und Applaus. Nur nach Hause fahren dürfen die Schauspieler anschließend nicht.
Michael M. ist sichtlich gerührt. Mit stehendem und minutenlangem Applaus wird sein Ein-Mann-Stück «Bank - Einbrüche» gewürdigt. Zustimmung und Lob bekommt der Mann eher selten. 2007 war M. Wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Zuvor hatte er erfolgreich als Regieassistent für diverse Fernseh-Magazine in Bremen gearbeitet.
Der 41-Jährige hat nie ein Geständnis abgelegt und sagt nach wie vor, er sei unschuldig. «Es war wie bei Kachelmann. Nur hatte ich nicht so viel Geld, um mir teure Anwälte und Gutachter leisten zu können», erzählt er. Um nicht verrückt zu werden, habe er die alte Leidenschaft des Theaterspiels wiederentdeckt.
Darsteller bringen eigenes Leben auf die Bühne
Regisseurin Swantje Ahrens vom Theaterpädagogischen Zentrum in Lingen hat das Stück ursprünglich für zwei Darsteller konzipiert. Der Kompagnon von M. ist jedoch kurz vor der Aufführung im Gefängnis erneut straffällig geworden und darf nicht mehr mitmachen. M. Macht aus der Not eine Tugend und spielt alleine.
In einer Doppelrolle mimt er den Metzger Heinz und den Penner Tim. Heinz mag gar kein Fleisch, ist eigentlich Vegetarier mit Hang zur Philosophie und mutiert mitunter zu einem rechten Demagogen. Tim ist Rechtsanwalt, bis er von der Familie verstoßen wird und auf der Straße landet. M. springt von einer Rolle zur anderen und manövriert sich auf diesem Wege bis zum Happy End. Heinz schult um auf vegetarische Döner, Tim entdeckt seine alte Leidenschaft für die Gitarre wieder.
Das Gitarrenspiel hat M. im Gefängnis gelernt. Generell scheint viel von seinem eigenen Leben in dem Stück zu stecken. «Das bist ja du», sagt ihm ein Mithäftling, als er das Stück zum ersten Mal sieht. «Es ist schon ein Stück weit Verarbeitung» pflichtet M. Bei. Wenn er im August 2012 wieder in Freiheit ist, will er seine ganze Lebensgeschichte in Buch- und Filmform veröffentlichen.
«Kunst wird im Knast oft belächelt»
Mitten aus ihrem Leben ist auch das Stück «entlassen» von vier Intensivstraftätern aus der JVA Celle. Es handelt von einem Gefangenen, der nach 20 Jahren freigelassen wird, draußen aber nicht mit offenen Armen empfangen wird. Ob er am Ende rückfällig wird oder doch den Sprung ins geregelte Leben schafft, wird bewusst offen gelassen.
Einer der Darsteller ist Sven S., der seit 16 Jahren in Celle einsitzt. «Kunst wird im Knast oft belächelt», sagt S. Er dagegen sei durch das Theaterspiel erstmals mit Leuten in Kontakt gekommen, die nichts mit Kriminalität zu tun haben. «Für mich ist das Theaterspiel auch ein Teil des Übergangsmanagements in die Freiheit», fügt er an.