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Holzmichl trifft Hochkultur - Peymann inszeniert Elfriede Jelinek in Berlin - «Fortsetzung« zu »Wolken.Heim»
Berlin (ddp). Kaum hat der lästige Ohrwurm «Lebt denn der alte Holzmichl noch?» die deutschen Hitparaden verlassen, findet er sich unversehens in der Hochkultur wieder. Claus Peymann, Berliner Theatermogul, dichtete das Werk um in die Zeile «Steht denn das alte Opel-Werk noch?» und kam zu dem sängerischen Schluss: «Ja, es steht noch.» So erlebten es die Zuschauer am Mittwochabend am Berliner Ensemble, wo Peymann die Uraufführung von Elfriede Jelineks «Wolken.Heim. Und dann nach Hause» vorstellte. Das Publikum belohnte die Aufführung mit sehr bravem Applaus für Schauspieler und auch Regisseur.Das Stück «Wolken.Heim» stammt von 1988 und thematisiert den Zustand der deutschen Seele, seinen Idealismus und seine Irrtümer. In dem Text stellt die österreichische Nobelpreisträgerin des vergangenen Jahres Texte von Hegel, Kleist und Hölderlin Briefen der Rote Armee Fraktion gegenüber. Inspiriert durch die Streiks bei Opel und in der Zulieferindustrie machte sich Jelinek 17 später daran, eine Fortsetzung ihrer Deutsch-Suche unter dem Titel «Und dann nach Hause» zu schreiben.
Ein Chor von 14 Untoten, kalkweiß im Gesicht und gewandet in hoffnungsvoll grüne Kostüme, hat fast zwei Stunden Zeit, eine gewisse Struktur in Jelineks komplexen Text zu bringen und dabei die «politische Kurve» in die Jetztzeit zu bekommen. Diese Untoten, unter denen man Figuren der längst vergangenen wie jüngeren deutschen Geschichte wiederzuerkennen glaubt, pfeifen und singen, hoffen auf den Frühling und auf ihre Wiedergeburt in die deutsche Gesellschaft. «Wir brauchen Raum, wir brauchen Ruhm», brüllen sie und recken dabei den Arm zum Hitlergruß. «Das Ende der Geschichte ist uns misslungen», stellen fest, aber sie fühlen sich auch wie Gott, sehen sich als die «Engel der Geschichte».
Es geht um viele Probleme in dieser «schweren Kost», wie Regisseur Peymann es selbst vor der Premiere nannte. Da werden Themen wie die mangelhafte Bildung an deutschen Schulen ebenso gestreift wie Ausländerfeindlichkeit, Arbeitslosigkeit, der deutsche Ost-West-Konflikt und das Erstarken der rechten Parteien. Und dann ist Jelinek endlich beim zweiten Teil ihres Textes, bei der «Fortsetzung» zu «Wolken.Heim».
Jetzt spricht der Chor der Untoten auf einer sich klaustrophobisch verengenden Bühne vom Streik bei Opel, von den Vorstandsvorsitzenden der Opel-Mutter General Motors, von der Trauer der Beschäftigten über das mögliche Aus für ihre Opel-Autos. Das ist politisches Theater, wie Elfriede Jelinek es versteht. Aber verstehen auch Publikum und Schauspieler etwas von den Problemen, die dort benannt werden, und interessieren sie sich dafür?
Jelinek stellt keine Fragen mit ihrem Stück, wie es beispielsweise der als Erneuerer des politischen Theaters gefeierte Autor und Regisseur Rene Pollesch tut. Jelinek jammert über die Zustände und der Zuschauer muss sich fragen, woher die menschenscheue Autorin, die sich nach eigenen Angaben nicht in der Welt bewegt, ihre Inspiration nimmt.
Deutschland ist für die 58-jährige Jelinek, so das Resümee nach fast zwei Stunden, eine düstere und auf den Aufschwung wartende Landschaft, die sich mit dümmlichen Liedern und Melodien betäubt und eigentlich auf etwas Großes, Bedeutendes wartet. Ein Daheim gibt es nicht, das Leitbild biete heute Britney (Spears), das sei «Hauptkultur, Hauptstadtkultur». Und Resignation macht sich bei den Untoten breit: «Schon die Eltern haben Barrikaden errichtet - es hat nichts genutzt.»
Angelika Rausch
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