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Langsame Revolution auf der Leinwand - Einführung des digitalen Kinos bereitet der Branche noch Kopfzerbrechen
Berlin (ddp). Es ist in aller Munde, rückt immer näher, doch selbst in der Filmbranche herrscht noch Unsicherheit bei diesem Thema: Es geht um das digitale Kino. «In drei bis fünf Jahren werden voraussichtlich alle Leinwände umstrukturiert sein», sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater (HDF), Andreas Kramer, im ddp-Interview. Doch kaum jemand könne «exakt vorhersagen, was passiert». Kinobetreiber und Verleiher diskutieren derzeit intensiv über das Thema. Bisher sind erst rund 40 der insgesamt 4800 Leinwände in Deutschland nach dem Standard großer US-Studios digital.
Fest steht: Das digitale Kino lässt sich nicht mehr stoppen, und es hat Vorteile. So gibt es Einsparmöglichkeiten für Produktion und Verleih, die Kopien nutzen sich nicht ab, Bild und Ton sind noch besser. Bei Filmen wie «Star Wars» oder «Herr der Ringe» kann mit dreidimensionaler Techik gearbeitet werden, alternative Inhalte wie Konzerte und Fußballspiele lassen sich live in die Säle übertragen.
Zügig voran kommt die Entwicklung trotzdem nicht. Die Gründe: Die bisherige 35-Millimeter-Technik funktioniert gut, die Einführung der Digitalisierung kostet Geld, die Finanzierung ist noch unklar.
Beim digitalen Kino wird das Speichern und Verbreiten von Filmen auf Filmrollen durch digitale Verfahren ersetzt. Die Studios können so Filme beliebig oft günstig kopieren. Bisher gab es eine 35-Millimeter-Kopie für rund 1200 Euro. Die Kinobetreiber müssen indes digitale Projektoren anschaffen, die rund 80 000 Euro pro Stück kosten.
In die Kinos werden die Filme vermutlich per Festplatte kommen, die per Post oder Bote verschickt wird. Theoretisch sind auch Überspielungen per Satellit oder Datenleitungen möglich, doch die Übertragung muss stabil sein und mit Blick auf Raubkopien sicher.
Für die Filmvorführer wird eine zusätzliche Ausbildung nötig. Die Gerätehersteller müssen zudem ein nahes Servicenetzwerk aufbauen, damit technische Probleme schnell gelöst werden können.
Bis es so weit ist, sind indes noch viele Fragen offen. Kernpunkt ist die noch anstehende Zertifizierung der digitalen Technik. Noch gibt es keine einheitliche verbindliche Norm, die neben den technischen Standards auch Sicherheitsaspekte gegen Raubkopien, Handhabung und Kompatibilität der Geräte festschreibt.
Ebenfalls noch ungeklärt sind die Bedingungen, die vom Verleih an das Freischalten des Films geknüpft werden - zum Beispiel ob ein dazu vergebener Code film- oder kinobezogen sein wird. Damit stellt sich die Frage, wie viel Kontrolle den Verleihern zukommt. Vor allem kleine Kinos fürchten, den teuren Weg der Digitalisierung mitzugehen, dann aber nicht alle Filme zu bekommen, obwohl jedes Haus mit einer Kopie beliefert werden könnte.
Eine Zertifizierung der digitalen Technik könnte bis Ende 2006 vorliegen. Dann könnte auch die Finanzierung konkret in Angriff genommen werden. Kernpunkt ist laut Kramer, die Einsparungen aller Beteiligten in Finanzierungsmodelle einzubinden.
Nach seinen Vorstellungen werden Verleiher, Werbung und Kinobetreiber die Finanzierung gemeinsam schultern. Er rechnet damit, dass sich ein bereits erdachtes Leasingmodell durchsetzt. Die Kosten betragen je nach Leasingvariante 1000 bis 1600 Euro monatlich.
Als größten Vorteil verspricht sich Kramer: Das Kino könnte nach dem Boom des Home Cinemas endlich wieder die «technische Führerschaft» übernehmen und massenweise Besucher anziehen.
Nadine Emmerich