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documenta-Vorbereitung geht in heiße Phase

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Kassel (ddp-hes). Vom 16. Juni bis 23. September öffnet die documenta in Kassel wieder ihre Tore - zum zwölften Mal, seit Arnold Bode die Weltkunstausstellung im Jahre 1955 begründete. Gut 150 Tage vor dem Start zeichnet sich bereits ab, dass das Kunstereignis auch diesmal eine Schau der Superlative wird.

Zwar hat documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld dem weiteren Wachstum der Besucherzahl - sie kletterte von 130 000 bei der ersten Ausstellung auf 651 000 bei der documenta 11 im Jahre 2002 - eine Absage erteilt: Mehr Gäste als vor fünf Jahren könne die Weltkunstschau nicht mehr verkraften, das Ziel laute deshalb schlicht: 651 000 plus eins. Und auch der künstlerische Leiter Roger M. Buergel gibt sich gerne bescheiden und versucht, sich der Inszenierung eines Massenspektakels zu entziehen. Doch gleichzeitig stößt er mit seinen Planungen in neue Dimensionen vor.

Buergel will nicht nur erstmals Bergpark und Schloss Wilhelmshöhe zu documenta-Standorten machen, er plant auch die Errichtung einer riesigen temporären Ausstellungshalle: Vor der Orangerie in der Karlsaue soll ein transparenter Bau mit einer Grundfläche von 12 000 Quadratmetern geschaffen werden. Zum Vergleich: Die ehemalige Binding-Brauerei am Rande Kassels, die Buergels Vorgänger Okwui Enwezor für seine documenta 11 genutzt hatte, war gerade einmal halb so groß. Das Fridericianum, das auch 2007 das Herzstück der Ausstellung bleiben soll, kommt sogar nur auf 3500 Quadratmeter.

Das unter dem Arbeitstitel «Kristallpalast» laufende Projekt ist so ambitioniert, dass es den 19 Millionen Euro umfassenden Etat der documenta sprengt. Die Kosten für die Extra-Halle werden mit drei Millionen Euro beziffert. Buergel hat deshalb einen «Initiativkreis» mit prominenten Wirtschaftsvertretern gegründet, der Spenden für das ehrgeizige Vorhaben sammeln soll.

Was Buergel in diesem temporären Riesenpavillon und an den übrigen Ausstellungsorten - auch die Neue Galerie und die documenta-Halle will er bespielen - zeigen wird, ist dagegen noch völlig unbekannt. Und wenn es nach dem künstlerischen Leiter und seinem Team geht, soll das auch bis zur Eröffnung so bleiben. «Zum Teil sind die Erwartungen der Medien ein bisschen neurotisch - um es vorsichtig auszudrücken -, was die Künstlerlisten und solches Zeug betrifft», sagt Buergel. Er sehe keinen Grund, diese Formate zu bedienen und vorzeitig irgendwelche Namen zu präsentieren.

Und so ritt Buergel wohl der Schalk, als er schon Anfang 2006 vor der Presse die ersten beiden documenta-Teilnehmer nannte und damit für viel Verwirrung sorgte: Denn eingeladen hat er den polnischen Tonkünstler Artur Zmijewski, der 2002 in Leipzig eine Bachkantate mit einem Chor aus Gehörlosen und Schwerhörigen aufführen ließ, und den spanischen Starkoch Ferran Adriá.

Aussagekräftiger für die Herangehensweise des documenta-Chefs dürfte allerdings eher die Mitwirkung des brasilianischen Künstlers Ricardo Basbaum sein, der im September das erste Kunstprojekt der documenta startete. Basbaum ließ 20 blau-weiße Blechwannen schweißen, 18 Kilogramm schwer mit einem Loch in der Mitte. Unter dem Motto «Would you like to participate in an artistic experience?» sollen die zweckfreien Objekte in Kassel sowie in 13 weiteren Städten dreier Kontinente von Haushalt zu Haushalt weitergereicht werden.

Was die zeitweiligen Besitzer damit anfangen und welche Erfahrungen sie machen, wird auf einer Internetseite gesammelt. So etwas gefällt Buergel: Er will nicht einfach Kunst ausstellen und Bilder an weiße Wände hängen, sondern die Menschen beteiligen und Prozesse sichtbar machen.

Unter drei Leitfragen hat er die documenta gestellt. Unter dem Motto «Ist die Moderne unsere Antike?» strebt er so etwas wie eine Archäologie der Gegenwart an. «Was ist das bloße Leben?» fragt nach Extremsituationen ohne Netz und doppelten Boden, ob lustvoll erlebt oder verzweifelt. Entscheidend aber ist für Buergel die Vermittlung der Kunst: «Was tun?» heißt darum die dritte, vor allem auf das Problem der Bildung zielende Frage. «Ich glaube, dass eine Ausstellung wie die documenta, die in hohem Maße mit öffentlichen Geldern operiert und sehr repräsentativ ist, eine Verantwortung hat, die Lektion, die zeitgenössische Kunst bietet, auch unters Volk zu bringen», sagt Buergel.

Um einen engen Bezug zwischen der documenta und den Kasselern herzustellen, hat Buergel - auch das ein Novum in der Geschichte der Weltkunstschau - einen Beirat aus engagierten Bürgern ins Leben gerufen. Die Leitfragen aber sollen nicht nur in Nordhessen, sondern weltweit beantwortet werden. Voraussichtlich Ende Januar erscheint das erste von drei geplanten documenta-Magazinen, zu denen Zeitschriftenredaktionen aus aller Welt Essays, Reportagen und Interviews beisteuern werden.