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Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist nach der Bekanntgabe des Nobelpreis-Gewinns zunächst «auf Tauchstation» gegangen.
Stockholm/Berlin (ddp). Der Nobelpreis für Literatur geht in diesem Jahr an die österreichische Autorin Elfriede Jelinek. Die Schwedische Akademie in Stockholm würdigte am Donnerstag in Stockholm Jelineks Romane und Dramen, «die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen». Die 57-Jährige erhält damit als zehnte Frau überhaupt die seit 1901 vergebene bedeutendste Literaturauszeichnung der Welt. Zuletzt wurde 1996 die polnische Poetin und Kritikerin Wislawa Szymborska geehrt.Die Autorin selbst ging nach der Nachricht zunächst «auf Tauchstation», wie der kaufmännische Geschäftsführer der Rowohlt Verlag GmbH, Helmut Dähne, auf der Frankfurter Buchmesse sagte. Er hält die Entscheidung für Jelinek für nicht völlig unerwartet. Die Autorin sei «seit längerer Zeit auf den Vorschlagslisten». Rowohlt hat zahlreiche Werke von Jelinek veröffentlicht.
Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) reagierte mit Begeisterung auf die «unerwartete Entscheidung» für die österreichische Autorin. Jelineks Texte seien «ein Sprachereignis, eine andauernde Herausforderung und eine gnadenlose Zumutung - im wahrhaftigsten Sinne». In ihrer Konsequenz und Radikalität gingen sie weit über das Politische und Gesellschaftskritische hinaus.
Der Intendant der Münchner Kammerspiele, Frank Baumbauer, sagte, noch stecke in ihm «der schöne Schock der Überraschung». Er habe in seinen Jahren als Intendant Jelinek mit all ihren Stücken begleitet.
Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnete es als «höchst erfreulich», dass eine Vertreterin der deutschsprachigen Literatur den Preis bekommt. Jelinek sei nach Nelly Sachs (1966) erst die zweite deutschsprachige Frau, die diese Ehrung erhält. Er bewundere an Jelinek ihren «außerordentlichen Mut, ihre große Unabhängigkeit und ihre Radikalität». Über ihre «künstlerische Leistung» könne man freilich diskutieren.
Tatsächlich gilt die 57-Jährige als eine der unbequemsten Schriftstellerinnen und Theaterautorinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre Arbeit umfasst Lyrik, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Dafür erhielt die produktive und umstrittene Autorin schon zahlreiche Preise, darunter 1998 den Georg-Büchner-Preis, zwei Mal den Mülheimer Dramatikerpreis (2002 und 2004). Zu ihren bekanntesten Werken zählen der Roman «Die Klavierspielerin» (1983) und das Theaterstück «Burgtheater» (1985).
Mitte der 90er Jahre wurde Jelinek zur Zielscheibe rechter Politiker in Österreich. Ihr Engagement gegen die Mitte-Rechts-Koalition in Österreich sorgte für Aufsehen. Unter anderem verhängte die Autorin damals ein Aufführungsverbot für ihre Stücke in der Alpenrepublik, das sie aber 2002 wieder aufhob.
Der Nobelpreis ist mit umgerechnet rund 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Schwedische Kronen) dotiert. Die Auszeichnungen werden traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896), durch Schwedens König in Stockholm überreicht. Der Friedensnobelpreis wird in Oslo verliehen. Letzter deutscher Literatur-Preisträger war 1999 Günter Grass.