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Keine «Notausgänge» aus der Geschichte - Flick Collection in Berlin eröffnet - Schröder: Kunst unabhängig von Familienvergangenheit sehen - Jüdische Gemeinden kritisieren Schröder wegen Flick-Eröffnung
Berlin (ddp-bln). Nach monatelangen heftigen Kontroversen ist die Friedrich Christian Flick Collection nun erstmals öffentlich zu sehen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagte am Dienstagabend bei der Eröffnung der Ausstellung «Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof» in Berlin, man würde die Menschen bestrafen, wenn man diese «herrliche Sammlung» nicht zeigen wollte. Eine Kunstausstellung sei nicht geeignet, die deutsche Geschichte "zu verhandeln». Auch Flick appellierte, die Schau losgelöst von seinem Namen zu sehen: «Ich bin nur der Sammler. Die Kunst und die Künstler stehen für sich.»
Die Collection zählt zu den weltweit hochkarätigsten Sammlungen zur zeitgenössischen Kunst und umfasst über 2000 Werke von rund 150 Künstlern, darunter Bruce Nauman, Martin Kippenberger, Candida Höfer, Nam June Paik, Cindy Sherman und Pipilotti Rist. In der Auftaktschau der zunächst siebenjährigen Zusammenarbeit mit Flick im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart und in den angeschlossenen Rieckhallen werden nun rund 400 Kunstwerke von 40 Künstlern präsentiert. Der vier Monate dauernden Schau folgen «jährliche Szenenwechsel» in den ehemaligen Speditionshallen.
Die Ausstellung hatte heftige Kontroversen ausgelöst, weil der Großvater des Sammlers, Friedrich Flick, zu den größten Rüstungslieferanten des NS-Regimes gehört hatte. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, zum Beispiel hatte kritisiert, Industriellen-Erbe Flick wolle mit der Ausstellung die Geschichte seiner Familie «reinwaschen».
Schröder betonte, jedes einzelne Werk habe seine eigene Würde und Aura, die unabhängig von der Familiengeschichte des Sammlers zu sehen sei. «Die Besucher, die in diese Ausstellung kommen werden, sollen die Chance erhalten, sich mit der Kunst von Bruce Nauman oder Martin Kippenberger auseinander zu setzen - auch ohne vorher die Geschichte der Familie Flick studieren zu müssen.» Flick habe mit seinem Namen die «Pflicht zur Verantwortung vor der Geschichte» geerbt, mahnte der Kanzler zugleich. Es sei nicht zu bestreiten, dass der Sammler versuche, diese Verantwortung auch zu übernehmen.
Flick, der seit über 30 Jahren in der Schweiz lebt, betonte, es gehe ihm nicht darum, sich von seiner Familiengeschichte zu lösen oder sie beschönigen zu wollen. «Notausgänge» aus seiner eigenen Geschichte zu finden, sei nicht möglich. Auch tauge Kunst «überhaupt nicht zur Verdrängung», sondern zwinge im Gegenteil zur Auseinandersetzung. Er habe natürlich als Träger des Namens Flick eine besondere Verantwortung, sagte der 60-Jährige. Aber genauso wenig wie er seine Verantwortung delegieren könne, könne die Gesellschaft die ihrige an ihn delegieren.
Schröder forderte Flick auf, die Sammlung über die zunächst vereinbarten sieben Jahre hinaus - am besten dauerhaft - in Berlin zu belassen. Flick entgegnete, er sehe die sieben Jahre als Verlobungszeit, die man erst einmal genießen sollte. «Wenn am Ende eine Hochzeit steht, dann umso besser.»
Nathalie Waehlisch
Jüdische Gemeinden kritisieren Schröder wegen Flick-Eröffnung
Berlin (ddp-nrd). Die jüdischen Gemeinden Niedersachsens haben Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wegen der Eröffnung der Flick-Collection am Dienstag in Berlin scharf angegriffen. Flick leiste Neonazis Vorschub und Schröder unterstütze ihn dabei, sagte der Vorsitzende Michael Fürst der «Netzeitung» (Mittwochausgabe). Der Sammler wolle, unterstützt von der politischen Elite Berlins, den Namen seines Großvaters Friedrich Flick «mit Kunst reinwaschen» und dabei einer «Schlusstrich-Mentalität das Wort» reden.
Unter diesen Umständen dürfe man sich dann auch «nicht wundern, dass sich in vielen Gesellschaftsgruppen in Deutschland - speziell in der rechtsradikalen Szene - kein Geschichtsbewusstsein entwickelt", betonte Fürst, der auch Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland ist.