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Saarbrücken (ddp). Nimmt man die Auseinandersetzungen des deutschsprachigen Filmnachwuchses mit den gesellschaftlichen Zuständen als Gradmesser für die Stimmungslage, dann ist es um Deutschland, Österreich und die Schweiz nicht gut bestellt.
Mit wenigen Ausnahmen herrschen Tristesse und Verzagtheit, subjektive und objektive Perspektivlosigkeit vor. Diesen Eindruck zumindest vermittelte der Wettbewerb des 28. Filmfestivals Max Ophüls Preis, das am Sonntag nach sieben Tagen in Saarbrücken zu Ende ging.Besonders deutlich wird dieser Befund bei dem Dokumentarfilm «Preußisch Gangstar» von Irma-Kinga Stelmach und Bartosz Werner. Sie protokollieren in ruppigen Videobildern den deprimierenden Alltag von drei jungen Männern in Brandenburg, die ihre Zeit mit HipHop, Kickboxen und Drogenhandel totschlagen, vom Aufbruch träumen, aber letztlich nicht von der Stelle kommen. In Saarbrücken erhielt der düstere Film immerhin den Filmmusikpreis.
Gleich doppelt trifft es Karger, den Protagonisten in Elke Haucks gleichnamigem Sozialdrama «Karger». Der Stahlarbeiter verliert in der sächsischen Kleinstadt Riesa nicht nur seinen Job, sondern auch seine Frau, die ihn mit der kargen Begründung verlässt, man habe sich «auseinander gelebt». Mühevoll versucht Karger, die Kurve zu kriegen, doch dann bricht er die Zelte ab und verlässt Riesa, um anderswo einen Neuanfang zu wagen. Auch wenn die Laiendarsteller nur ein begrenztes Ausdrucksvermögen zeigen und die zweite Filmhälfte etwas ausfranst, gelingen Hauck dichte Stimmungsbeschreibungen. Dafür gab es den Filmpreis des Saarländischen Ministerpräsidenten.
Gar keine Perspektive in Deutschland sehen die 20 Berliner Bauarbeiter in der Arbeitslosenkomödie «Der Letzte macht das Licht aus!». Clemens Schönborn beschreibt mit skurriler Situationskomik die Bemühungen der arbeitslosen Männer, Norwegisch zu lernen. Weil in Norwegen die Baubranche boomt und Fachkräfte gesucht werden, wollen sie sich als Gastarbeiter verdingen.
Schönborns charmanten Film, dem am Schluss leider etwas die Puste ausgeht, ignorierte die Jury ebenso wie den Wettbewerbs-Spielfilm «True North» des britischen Autors und Regisseurs Steve Hudson. In der deutsch-britisch-irischen Koproduktion geht es um schottische Fischer, die kurz vor dem Bankrott stehen und mit ihrem Schiff 20 chinesische Flüchtlinge illegal nach Schottland bringen wollen. Allein schon wegen seiner imposanten Kinobilder und seines deutlich höheren Budgets spielt dieses erschütternde Drama in einer anderen Liga als fast alle anderen Wettbewerbsfilme, die weitgehend einer konventionellen TV-Ästhetik verhaftet sind.
Die große Entdeckung des diesjährigen Festivals war «Full Metal Village» von Sung-Hyung Cho. Die Südkoreanerin, die seit etwa 20 Jahren in Deutschland lebt, hat sich mit dem Scharfsinn einer ethnographischen Forscherin in die schleswig-holsteinische Provinz begeben. In dem 1800 Seelen Dorf Wacken beobachtet sie, wie die bäuerliche Bevölkerung sich auf das Heavy-Metal-Open-Air-Festival vorbereitet. Alljährlich versetzen nämlich 40 000 Rockmusik-Fans das Kaff in einen Ausnahmezustand.
Sung-Hyung Cho gelingen wunderbare Beobachtungen und intensive Gespräche mit den offenherzigen Dorfbewohnern, die mit staubtrockenem Humor das Beste aus der Lage machen. Selten hat man in einem Dokumentarfilm so viel gelacht wie in «Full Metal Village», der prompt den Hauptpreis des Festivals, den Max Ophüls Preis, gewann. Die Verleihförderung von 18 000 Euro zum gleich hohen Preisgeld kann die 40-jährige Regisseurin gut gebrauchen, weil ihre Produktionsfirma noch keinen Verleih gefunden hat und den Film am 19. April selbst in die Kinos bringen will.
Die subtile Studie, deren lakonischer Humor an die frühen norddeutschen Komödien von Detlev Buck erinnert, belegt zudem den bemerkenswerten Befund, dass die Dokumentarfilme im Saarbrücker Wettbewerb im Schnitt einen stärkeren Eindruck hinterließen als die Spielfilme.