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Wenn am Samstagabend im estnischen Tallinn das letzte Lied gesungen ist, fängt für viele Fans des "Grand Prix d Eurovision de la Chanson" der eigentliche Spaß erst an. "Germany ... twelve points" hoffen die Zuschauer in Deutschland dann wenigstens einmal zu hören +++ Die Kandidaten beim Grand-Prix-Finale in Tallinn
Tallinn/Gießen (ddp). Dass sich bei dem europäischen Wettstreit einige Länder die Punkte quasi nach Gewohnheitsrecht zuschieben, erscheint vielen dabei als ausgemacht. Forscher der Justus-Liebig-Universität Gießen verweisen diese Behauptung nun ins Reich der Legende - von wenigen Ausnahmen abgesehen.Günter Molz sitzt in seinem kleinen Büro am Fachbereich für Psychologie und Sportwissenschaft der Universität und führt komplizierte Diagramme auf seinem Computerbildschirm vor. Er sei immer auf der Suche nach Gelegenheiten, die "hochgestochene" Methodik seines Faches mit einem populären Thema verständlich zu machen, erzählt der 36-Jährige. Bei seiner Grand-Prix-Forschung ist Molz vor allem zu einem Schluss gekommen: Dass kein Schluss zu ziehen ist.
Gemeinsam mit seinem Studenten Bastian Stippekohl hat der Wissenschaftler die Grand-Prix-Ergebnisse ab 1993 in akribischer Feinarbeit untersucht. Das haben vor ihm auch schon Andere getan: Ein israelischer Forscher glaubte 1995 die Teilnehmer-Länder in "Cluster" - also in Gruppen mit besonders großer gegenseitiger Zuneigung bei der Punktevergabe - ordnen zu können. Demnach bevorzugen sich Israel und Spanien stets, weil im Nahen Osten viele Nachkommen der im 15. Jahrhundert aus Spanien vertriebenen Juden leben.
"Wir interpretieren sehr viel vorsichtiger", sagt Molz und lächelt dabei. Warum viele Fans an die Legende von den ewigen Grand-Prix-Freundschaften glauben, erklärt sich Stippekohl so: "Es geht im Prinzip um stereotype Vorstellungen. Wenn Deutschland der Türkei in einem Jahr zwölf Punkte gibt, bleibt das in der Erinnerung haften - und wird beim nächsten Mal als Regel interpretiert."
Um ihre Ergebnisse plastischer zu machen, haben die Giessener ihr Zahlenwerk in eine Karte übertragen. Je öfter sich bestimmte Länder mit der Höchstpunktzahl bedachten, desto näher rückten sie auf dem Plan aneinander. Nur ein Teil Europas zeigte dabei Übereinstimmungen mit der geografischen Wirklichkeit: Skandinavien. "Da spielt der gemeinsame Kulturkreis eine Rolle", sagt Molz, "und ein hohes Maß an Vertrautheit". Ob das auch am Samstagabend so ist, wird der Psychologe wahrscheinlich erst aus der Presse erfahren. Ein Grand-Prix-Fan sei er nämlich eigentlich nicht, gibt er zu.
Tim Lochmüller
(Informationen zum Grand Prix: www.ndrtv.de/grandprix)
Die Kandidaten beim Grand-Prix-Finale in Tallinn
1. One (Zypern): "Gimme"
2. Jessica Garlick (Großbritannien): "Come Back"
3. Manuel Ortega (Österreich): "Say a Word"
4. Michalis Rakintzis (Griechenland): "S.A.G.A.P.O."
5. Rosa (Spanien): "Europe`s Living A Celebration"
6. Vesna Pisarovic (Kroatien): "Everything I Want"
7. Prime Minister (Russland): "Northern Girl"
8. Sahléne (Estland): "Runaway"
9. Karolina (Mazedonien): "Od Nas Zavisi"
10. Sarit Hadad (Israel): "Light A Candle"
11. Francine Jordi (Schweiz): "Dans Le Jardin"
12. Afro-dite (Schweden): "Never Let It Go"
13. Laura (Finnland): "Addicted To You"
14. Malene W. Mortensen (Dänemark): "Tell Me Who You Are"
15. Maja (Bosnien-Herzegowina): "Na Jastuku Za Dvoje"
16. Sergio and The Ladies (Belgien): "Sister"
17. Sandrine Francois (Frankreich): "Il Faut Du Temps"
18. Corinna May (Deutschland): "I Can`t Live Without Music"
19. Saphire (Türkei): "Leylaklar Soldu Kalbinde"
20. Ira Losco (Malta): "7th Wonder"
21. Monica Anghel, Marcel Pavel (Rumänien): "Tell Me Why"
22. Sestre (Slowenien): "Samo Ljubezen"
23. Marija N (Lettland): "I Wanna"
24. Aivaras Stepukonis (Litauen): "Happy You"