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Innovation in Berlin: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat Anfang diesen Jahres verkündet, dass künftig Schüler bis 16 Jahre keinen Eintritt in die Museen der SPK zahlen. Begründet hat der SPK - Präsident Prof. Dr. Lehmann dies mit der Tatsache, dass nur noch 3,5 Prozent der Besucher in den Museen unter 16 Jahren sind. Dies war ihm offensichtlich zu wenig
und Recht hat er. Dieser Jugend-Isolation muss man entgegentreten. Die Vergreisung des Museumspublikums heute ist die Existenzbedrohung für Museen von morgen. Dieser Befreiungsschlag für die Jugend ist ein richtiger Schritt, doch in Deutschland fast einmalig. Die Politik der öffentlichen Museen, Eintritt, wenn auch ermäßigten, von Schülern und Studenten wie auch Arbeitslosen zu verlangen, ist im europäischen Vergleich ein Negativrekord: Im Louvre in Paris ist der Eintritt für Personen bis 18 Jahre, Behinderte und deren Begleitpersonen sowie für Arbeitslose frei. In der Reina Sofia in Madrid ist der Eintritt am Samstag ab 14.30 Uhr frei, Sonntags sogar komplett. In der Tate Gallery London wurde Eintritt sogar vollständig abgeschafft. Selbst im ach so kommerziellen Guggenheim Museum Bilbao ist der Eintritt für Schüler bis 12 Jahre (in Begleitung eines Erwachsenen) frei, so auch der Besuch der Bibliothek im Museum. Im Musuem für Moderne Kunst (MUMOK) in Wien ist immerhin der Eintritt für Kinder bis 6 Jahre noch frei. Der Jugendtarif liegt bei 2?. Das Kunstmuseum Basel lädt täglich (außer Sonntags) zur Happy Hour ein: Kostenloser Eintritt von 16 ? 17 Uhr. Ferner ist der Eintritt jeden 1. Sonntag im Monat frei. Und für Kinder bis 12 Jahre sowieso! Kann es dann noch überraschen, dass die weltbeste Kunstmesse in Basel ist?Und selbst im Mercedes aller Museen, im Museum of Modern Art in New York gibt es an einem Tag freien Eintritt (?pay what you wish?) - für jeden. Doch in Berlin wird jetzt für die laufende MoMaAusstellung für Arbeitslose, Behinderte und Schüler ermäßigter Eintritt verlangt, verständlich angesichts der enormen Kosten. Doch zahlen Schulklassen pro Schüler 1 ? Eintritt: Dies ist ein symbolischer Betrag, den jeder aufbringen kann und ein Schritt in die richtige Richtung. Doch was wäre es für ein Symbol, wenn die Deutsche Bank, die dankenswerterweise anscheinend 1 Mio. ? Sponsormittel gibt, noch einmal 10.000 ? gegeben hätte, um z.B. 10.000 Schülern den Eintritt zu schenken. Zumal die Abrechnung eines Eintritts von 1? ohnehin wirtschaftlich unsinnig erscheint.
In Deutschland wird Kunst als Ort öffentlicher Teilhabe und sozialer Integration nicht mit freiem Eintritt gefördert ? nicht im Kulturstaat Deutschland nach dem Grundsatz: Was nichts kostet, ist nichts. Diese Besserwisserei macht Kunstmuseen für Jugendliche nicht attraktiver. Die kulturelle Jugendbildung leidet. Dass die Kultur-Enquete im Deutschen Bundestag nächsten Montag das Thema ?Kulturelle Bildung? diskutiert ist richtig, doch zu wenig. Es gilt, in Deutschland zu handeln. Den Anschluss in Europa hat man ohnehin schon verpasst.
Während in Madrid die Kunstmesse ARCO von Zehntausenden Jugendlichen besucht wird ? die ARCO zählte 2004 mehr als 150.000 Besucher ? schlagen sich deutsche Kunstmessen mit Besucherzahlen von 15.000 bis 55.000 Besucher herum. Kein Wunder, wenn die Berührung mit Kunst im Museum schon in der Schule und Jugend eine elitäre Angelegenheit war. Doch in Wien lädt das MUMOK Kinder zur Geburtstagssause ein!
Von einer internationalen Entwicklung, ?Jugendliche über kostenfreien Eintritt als selbständiges Publikum ohne Familienbindung zu gewinnen?, spricht auch das Institut für Museumskunde in der statistischen Gesamterhebung an den deutschen Museen für das Jahr 2002. Als positive Ausnahmen in Deutschland sind beispielsweise das Deutsche Historische Museum in Berlin und - seit August 2003 - die Staatlichen Museen und Sammlungen in Bayern zu nennen. Die SK Stiftung Kultur in Köln hat sogar den sonst überall geschlossenen Montag geöffnet und zum eintrittsfreien Tag gemacht ? ?Unser besucherstärkster Tag?, so Hans-Georg Bögner, Geschäftsführer der Stiftung. Um die arbeitende Bevölkerung zu erreichen, bietet z.B. das Ulmer Museum ?Kunst in der Mittagspause? an: Kunstinteres-sierte können in der Mittagszeit Kurzführungen buchen ? leider immer noch gegen ?ein relativ geringes Entgelt?.
Will die Politik eine innovative Gesellschaft, muss man nicht nur Innovationen fördern. Die Gesellschaft muss auch dran teilhaben. Darin, in kulturelle Bildung muss man investieren ? auch mit freiem Eintritt. Schätzungsweise 3 Mio. ? würde der Verlust an Eintrittsgelder betragen, wenn in allen deutschen Kunstmuseen Jugendliche bis 16 Jahren einen Eintritt nicht mehr zahlen müßten. Am Geld liegt es also nicht. Die kulturpolitische Vision fehlt. So verwundert es nicht, dass die Tat von Lehmann kein Weckruf war, bisher keinen Nachhall in anderen Museen oder im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages bzw. in der Kulturminister-Konferenz fand.
Müssen erst die Leser von Ausstellungskritiken und die Feuilletons aussterben, müssen die Besucherzahlen in Opern und Konzerten noch weiter schrumpfen (2002 -2,5% geg. 2001), bevor man die Folgen fehlender Investitionen in kulturelle Bildung versteht? Es hat 5 nach 12 geschlagen, doch in Deutschland hört keiner ? fast keiner, was im Ausland schon vor Jahren gehört wurde.
Bernd Fesel, Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft, März 2004