Body
Berlin (ddp). Der Einfluss von Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder auf die junge Generation deutscher Filmemacher schwindet. In der Rezeption der jüngeren Filmschaffenden sei das Werk des Künstlers fast verschwunden, sagte der Mainzer Filmwissenschaftler Bernd Kiefer der Nachrichtenagentur ddp. «Fassbinder wird die Säle nicht mehr füllen», fügte er hinzu.
Kiefer zufolge setzten sich heute mehr ausländische als deutsche Filmemacher mit dem vor 25 Jahren verstorbenen Fassbinder auseinander. So bezögen sich Pedro Almodovar, Gus van Sant und François Ozon auf ihn. In Deutschland stehe die jüngere Generation Filmschaffender aber offenbar unter dem Druck, sich mit Fassbinder messen zu müssen. Deshalb hätten viele sich in den Jahren nach dessen Tod für andere Genres entschieden.In Deutschland sieht Kiefer insbesondere Christoph Schlingensief, Oskar Röhler und Fatih Akin von Fassbinder inspiriert. Allerdings setzten sich die Filmautoren mehr mit dem Rebellengeist des Regisseurs als mit dessen Filmsprache auseinander.
Kiefer hob hervor, die Bedeutung von Fassbinders Werk auf die Filmgeschichte sei immens. Die Produktionen gehörten zum Bedeutendsten, was das Kino hervorgebracht habe. Allerdings würden viele Filmstudenten die Arbeiten nicht mehr kennen. Selbst die Arbeiten der Regisseure danach - Wim Wenders und Werner Herzog etwa -stießen bei der jungen Generation nicht auf Interesse. «Fassbinder ist kein Regisseur der jungen Leute», betonte Kiefer. Vielmehr sei er zu einer Art Bildungsgut geworden, «was er nie sein wollte».
Der Leiter des Instituts für Filmwissenschaft an der Universität Mainz, Thomas Koebner, hält Fassbinder ohnehin in Teilen für «grandios überschätzt». Viele seiner Kinowerke zeugten von einer «sehr verkrampften und sehr demonstrativen» Filmsprache, sagte Koebner im ddp-Interview. Die Themen hätten oft «etwas Glattgebügeltes und Einfaches, fast etwas Lehrstückhaftes». Das treffe etwa für «Angst essen Seele auf» von 1974 zu. Zudem wiesen manche Werke, darunter «Die Ehe der Maria Braun», aus seiner Sicht psychologische Sprünge auf - für Koebner ein Beleg für «rohen Manierismus» mit «melodramatischen Effekten».
Faszination übt nach Einschätzung Koebners vor allem das Arbeitspensum Fassbinders, der im Jahr bis zu vier Filme schuf, auf Filmer aus. Heute allerdings sei "das nicht zu machen». Mit dem WDR als Hauptabnehmer seiner Filme hatte Fassbinder zu Lebzeiten nach den Worten von Koebner eine «günstige Konstellation» gefunden, die ihn fast nie mit einem Projekt habe scheitern lassen.
Fassbinder starb am 10. Juni 1982 mit 37 während des Schnitts an seiner letzten Arbeit «Querelle» an Herzversagen. Bis dahin hatte er über 40 Filme gedreht, darunter «Die bitteren Tränen der Petra von Kant» (1972), «Effi Briest» (1974), «In einem Jahr mit 13 Monden» (1978) und die mehrteilige TV-Adaption von Alfred Döblins Roman «Berlin Alexanderplatz». 1979 erhielt Hannah Schygulla den Silbernen Bären für ihre Rolle in «Die Ehe der Maria Braun», 1982 bekam Fassbinder für «Die Sehnsucht der Veronika Voss» den Goldenen Berlinale-Bären.
Fassbinder verfasste außerdem zahlreiche Theaterstücke, darunter «Der Müll, die Stadt und der Tod» über einen reichen jüdischen Spekulanten. Die in Frankfurt am Main angesetzte Uraufführung 1985 löste einen der heftigsten Theaterskandale im Nachkriegsdeutschland aus und wurde nach Protesten und Vorwürfen des Antisemitismus abgesetzt. Fassbinder hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen.