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Angriffe von allen Seiten - Das Medium Kino steckt in einer bedrohlichen Krise - Verhärtete Fronten zwischen Kinos und Verleihern
Berlin (ddp). Die jüngsten Boykott-Aktionen der führenden deutschen Kinoketten gegen die Hollywood-Filme «Herbie Fully Loaded» und «Sin City» zeigen deutlich: Die Nerven der Kinobetreiber liegen blank. Im laufenden Jahr sanken die Besucherzahlen und Umsätze nach Berechnungen der Fachzeitschrift «Filmecho/Filmwoche» um mehr als 17 Prozent. Im kinofreudigen München seien sogar Besucherrückgänge von bis zu 30 Prozent zu beklagen, berichtete die «Süddeutsche Zeitung» kürzlich. Dabei ächzen die Branchenführer ohnehin unter der Last unrentabler Häuser - in den Jahren des Aktienrausches hatten sie etliche Kinopaläste zu viel gebaut.Die Kinobetreiber fühlen sich seit einiger Zeit gleich mehrfach in die Zange genommen: Da sind die Verleiher, die zu hohe Filmmieten fordern, während der Siegeszug der DVD immer mehr Cineasten vom Gang ins Kino abhält. Einträglicher ist das «Pantoffelkino» für die Filmproduzenten ohnehin längst: Während die Kinos zwischen Aachen und Frankfurt (Oder) im vergangenen Jahr 893 Millionen Euro umsetzten, spielte die DVD mit 1,596 Milliarden Euro ein.
Dazu kommt das weiterhin ungelöste Problem der Raubkopierer, gegen die auch plumpe Droh-Anzeigen nicht helfen mögen. Als weitere Ursachen für den anhaltenden Besucherschwund werden die mangelnde Qualität des Filmnachschubs des Hauptlieferanten Hollywood, zu viele Filmtitel und die lahmende Konjunktur genannt. Andere sehen in der Abwanderung der jungen Kernzielgruppe zu Computerspielen oder im unberechenbaren Wetter die Hauptschuldigen.
Als im Juni der Vorstandsvorsitzende der Constantin Film AG, Fred Kogel, in einem Interview die Verkürzung des so genannten Auswertungsfensters von sechs auf drei Monate forderte, brachte das viele Kinomacher auf die Palme. Angelehnt an eine Vorschrift für öffentlich geförderte deutsche Filme, beginnt der DVD-Verkauf in der Regel erst sechs Monate nach dem Kinostart. «Das ist ein Gentleman\'s Agreement, an das sich die meisten halten», sagt Jan Österlin, der Sprecher der Cinestar-Kinokette.
Das Fass zum Überlaufen brachte jedoch Ende Juli die Ankündigung des Verleihs Buena Vista, die DVD zum vielversprechenden Käferfilm «Herbie Fully Loaded» zum lukrativen Weihnachtsgeschäft Anfang Dezember auf den Markt zu werfen. Das wären nur vier Monate nach Kinostart. Weil sich der Verleiher aber weigerte, im Gegenzug den Spitzenleihmietensatz für die Kopien zu senken, verzichteten die Multiplex-Ketten Cinestar, Cinemaxx und UCI auf den Film. Erst nach Tagen fanden beide Seiten doch noch einen Kompromiss, über den Stillschweigen vereinbart wurde.
Für die Theaterbetreiber besonders schlimm: In der Krise ist der Fluchtweg zu teureren Tickets versperrt. Meinhard Funk vom Kino «Kultiplex» in Salzgitter bringt das auf den Punkt: «Preiserhöhungen sind bei sinkendem Markt vom Kino nicht durchsetzbar, im Gegenteil! Der Gang zum Piraten oder in die Videothek würde immer lohnender.»
Bewegung in die verhärteten Fronten brachte Anfang August immerhin der Leipziger Verleih Kinowelt. Er will den Kinomachern mit einem gestaffelten Abschlag auf die Filmmiete entgegenkommen, wenn das Kinofenster zugunsten eines früheren DVD-Starts verkürzt wird. Das neue Modell, so Kinowelt-Eigner Michael Kölmel, sei ein «klares Bekenntnis zum Kino», denn «das Kino ist und bleibt der Ort, an dem Filme zuerst erlebbar sein müssen.»
Für so manches angeschlagene Kino könnte ein Einlenken der Großverleiher aber zu spät kommen. Es sei denn, es gibt doch noch den ersehnten «heißen Herbst», und der mutmaßliche Blockbuster «King Kong», der neue «Harry Potter»-Film und «Die Chroniken von Narnia» lassen endlich wieder die Kinokassen rattern.
Reinhard Kleber