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Der Heilige Stuhl hat offenbar wenig Freude mit der Verleihung des diesjährigen Literatur-Nobelpreises. Die vatikanische Tageszeitung "L\'Osservatore Romano" geißelt attributenreich die Entscheidung des Nobelkomitees für Elfriede Jelinek.
Beanstandet wird, dass Jelineks Literatur nicht auf die "Emanzipierung der Frau vom Erotismus" hindeute. Die "Fahnenträgerin des Nihilimus" setze stattdessen auf ausufernde Obszönität, Sex, Pathologie, Kälte und Düsternis, beklagt das Sprachrohr des Papstes.Laut dem Vatikan-Sprachrohr sei Jelinek eine Fahnenträgerin des "absoluten Nihilismus". Ihre Schriftstellerei sei durch die "scharfe Unannehmlichkeit des Obszönen" gekennzeichnet. Die österreichische Schriftstellerin beschreibe eine Frauenwelt "mit Szenen roher Sexualität, die nicht auf die Emanzipierung der Frau vom Erotismus hindeuten, sondern Sex und Pathologie, Macht und Gewalt verbinden", hieß es im "Osservatore Romano". "Die Vereinigung der Körper, kalt und düster und von Mangel an Kommunikation und von Übergriff gekennzeichnet, führt niemals zu Zartheit, zu einer Würde der Seele oder der Intentionen", meinte die Tageszeitung. Im Namen der politischen und sozialen Anklage setze Jelinek auf "ausufernde Obszönität, die in absoluten Nihilismus münde", hieß es.
Das Literarische Forum der Katholischen Aktion dürfte diese Ansicht nicht teilen. Die "unbequeme und irritierende Autorin" spare nicht mit Kritik an Kirche, Markt und Staat, "was in dieser Schärfe, Sprachgewalt und Qualität auch große Institutionen schmerzt", hieß es in einer von Kathpress verbreiteten Stellungnahme am Freitag. Ihre scharfen Analysen seien "bei allen ideologischen Grenzen und Bedenken unerlässlich, geben sie doch wichtige Fingerzeige auf offene und allzu gern verdeckte Wunden". Jelinek stelle das deformierte, meist weibliche Individuum und deformierende Macht in den Mittelpunkt ihres Schaffens. "Ihre Beiträge regen zum Nachdenken an und sind geeignet, festgefahrenes Denken zu revidieren", so das Literarische Forum.
Die Angriffe der Autorin würden "mitunter auch ungerecht" scheinen, dennoch sei ihr Anliegen der Aufdeckung von Missständen und Machtmissbrauch durchaus mit christlichen Ambitionen vergleichbar. Jelineks Herangehensweise an ihre Themen entspreche dem einer "Moralistin". Die Nobelpreisverleihung werde "hoffentlich dazu beitragen, die verdeckte Form ihrer Weltverbesserung durch Anprangerung gründlicher zu \'erlesen\'". Zudem sei die Verleihung ein wertvoller Impuls für die gesamte österreichische Gegenwartsliteratur.
Quelle: orf.at