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Das ZDF präsentiert ab heute eine Vorschlagsliste von 300 "großen Deutschen" aus zwölf verschiedenen Bereichen. Die Zuschauer sollen ihre "Besten Deutschen" per Web-Voting nominieren.
Die "Berliner Morgenpost" hat einige Zweifel an der merkwürdigen "Ordensverleihung" auf populistischem Niveau:...
"Welches Weltbild aber vermittelt die Vorschlagsliste, die uns das ZDF präsentiert? Welche Kriterien musste ein Prominenter erfüllen, um auf die Liste zu gelangen? Ein knappes Drittel der 300 Kandidaten steht außerhalb jeder Diskussion. Konrad Adenauer ist natürlich ein potenzieller "Bester", ebenso Beethoven, Dürer, Fontane, Goethe, Heuss und so weiter.
Eher skurril ist der wie bestellt losgebrochene Streit um Mozart und Metternich. Beide werden von Österreich für sich in Anspruch genommen - dabei waren beide Untertanen (nicht etwa Bürger!) des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, sprachen, schrieben und dachten beide auf Deutsch. Macht sie das zu "Deutschen"? Wer etwas Gespür für Geschichte hat, den macht allein diese unhistorische Frage unglücklich. Mit noch weit stärkeren Gründen muss man an Kandidaten aus der Kategorie "Legenden" wie dem "Hauptmann von Köpenick" und "Till Eulenspiegel" zweifeln. Beide sind eben keine historischen Persönlichkeiten, sondern literarisch verformte, wenig bis kaum fassbare Figuren. Über das Vorbild von Eulenspiegel weiß man so gut wie nichts, und Wilhelm Voigt, wie der Köpenicker Kleinkrimenelle tatsächlich hieß, war eine gescheiterte Existenz.
Was übrigens die höchst historische Kaiserin Elisabeth von Österreich in derselben Kategorie zu suchen hat, wird erst klar, wenn man sich den genannten Spitznamen anschaut: "Sissi". Gemeint ist also nicht die bayerische Herzogstochter, sondern die Filmfigur, die Romy Schneider verkörperte - die wiederum, welch Ärger, als geborene Wienerin, nach ZDF-Kategorien nicht wählbar ist (obwohl Österreich doch an ihrem Geburtstag, dem 23. September 1938 zum "Großdeutschen Reich" gehörte).
Zum Kern des Ganzen kommt man, wenn man die größte Gruppe von Kandidaten betrachtet: 48 Namen zählt die Kategorie "Unterhaltung und Medien", von Hans Albers bis Wim Wenders, gegenüber 43 Personen im Gebiet "Geschichte" und 42 Literaten. Ist Claudia Schiffer wichtiger als Königin Luise? Günther Jauch bedeutender als Immanuel Kant? Dieter Bohlen womöglich würdiger als Thomas Mann und Johann Sebastian Bach zusammen? Über die Paarung Harald "Dirty Harry" Schmidt und Gerhard "Hol\' mir mal "nen Bier" Schröder zögert man gar nachzusinnen.
Nicht die Vorschlagsliste des ZDF als solche ist das Problem, sondern der ihr zugrunde liegende Glaube an den Wert von Charts an und für sich. Wenn das Ganze eine schiere Gaudi wäre: bitte schön. Anzunehmen ist aber, dass das absehbar irrelevante Ergebnis der ZDF-Wahl zum Markstein für den geistigen Verfall unseres Landes wird. Wie schrieb schon Schopenhauer (der übrigens auch auf der Liste steht): "Orden sind Wechselbriefe, gezogen auf die öffentliche Meinung."
Quelle: http://morgenpost.berlin1.de/inhalt/feuilleton/story621317.html
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/31/0,1872,2051839,00.html