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Mitteldeutscher Medientreffpunkt: "Fernsehen ist kein Kindergarten"

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Medien und die Reproduktion von Gewalt - vor allem nach besonders schweren Verbrechen Jugendlicher stehen auch Fernsehen und Presse im Fokus des öffentlichen Nachdenkens: Nach dem Blutbad eines 19-Jährigen in Erfurt gleich in einer Doppelrolle - als mögliche Ursache und als brutale Nachrichten-Maschine, von der sich Helfer und Trauernde belästigt fühlen und neue Opfer geschaffen werden können.

Leipzig (ddp). Der am Mittwochabend nach drei Tagen beendete Medientreffpunkt Mitteldeutschland in Leipzig hatte wegen der Toten im Gutenberg-Gymnasium das Thema neu auf die Agenda gesetzt. Nicht Legenden im Kino, sondern über den "Albtraum Gewalt - Die Verantwortung der Mediengesellschaft" diskutierten nun die Experten in Leipzig.

Thüringens Kultusminister Michael Krapp (CDU) bedauerte dabei, dass Journalisten die Ursache für den Amoklauf des relegierten Schülers Robert Steinhäuser vorschnell im Schulsystem des Landes vermutet hätten. Weitere Gedanken dazu seien dann kaum mehr transportiert worden. Für die Nürnberger Theologin und Publizistin Johanna Haberer ist hier der Druck konkurrierender Medien verantwortlich. Den Zuschauern zu sagen: "Wir wissen es noch nicht, zeigen es noch nicht, geht nicht."

Dabei ist es für Jörg M. Scharff von der Vereinigung der deutschen Psychoanalytiker (DPV) ganz natürlich, die Ohnmacht mit vermeintlichem Wissen binden zu wollen. Auch er sprach sich jedoch für ein "langsameres Nachdenken" über das aus, "was wir noch nicht wissen" können. Und er gab gleich ein Beispiel dafür: Die Frage von Deutschlandradio-Moderator Ernst Elitz, welche psychische Disposition jugendliche Konsumenten von TV-Gewalt und Spielen zu solchen Taten führe, ließ Scharff demonstrativ unbeantwortet.

Von Verboten aber hält Norbert Sauer, bei der UFA zuständig für Film- und Fernsehproduktion, nichts. Sie schafften nur den Reiz des Tabus, und nicht zuletzt das Internet mache effektive Kontrollen unmöglich. Ohnehin sieht Sauer wenigstens im deutschen Fernsehen keine Gewaltexzesse. Die eigentliche Gefahr vermutet auch er bei den Spielen. Da werde Kindern Gewalt als Verhalten gezeigt, das zum Erfolg führe, zum Sieg. Im Fernsehen dagegen gewinne meist das Gute.

Doch auch "Fernsehen ist kein Kindergarten", sagte der Chef des MDR-Landesfunkhauses in Erfurt, Werner Dieste. Für den Psychoanalytiker Scharff können da zahllose Berichte über Gewalt selbst in der "Tagesschau" einen "tiefen, depressiven Effekt" haben. Und die Theologin Haberer warnte, vor allem wenn zu den Bildern von der Gewalt noch die Interaktion trete, entstehe ein gefährlicher "Mitmach-Effekt".

Das Verhalten der berichtenden Medien beurteilten die Experten allgemein als besonnen. Selbst die Boulevardpresse habe sich dieses Mal eher zurückgehalten, sagte Kamann. Dass dies vor Ort anders erlebt werde, hält der epd-Journalist für kaum vermeidbar. Da Trauer etwas sehr Privates sei, wirkten Störungen oft wie Angriffe. Doch auch im Konflikt zwischen der Pflicht zum Berichten und dem Respekt vor den Opfern habe es Innehalten gegeben, wenn auch "Ausrutscher" nicht gefehlt hätten, wie etwa die Bilder vom zusammenbrechenden Vater des Täters.

Haberer sah hier durchaus negativere Auswirkungen. So waren für sie die vielen Bilder von Trauernden an der Grenze des Zumutbaren. Da setze der Druck aus den Redaktionen vor Ort den Anstand außer Kraft. Von Unwillen gegenüber Journalisten, sogar von Gewalt, wusste MDR-Funkhauschef Dieste zu berichten. Fotografen seien angegriffen und eine Kollegin gar von einem Stein getroffen worden. Die Medien aber als Schuldige anzuprangern, ist für Haberer ebenfalls ein Kurzschluss.