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Reich-Ranicki: Heinrich Böll hat heute nur noch wenige Leser

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20 Jahre nach dem Tod von Nobelpreisträger Heinrich Böll («Ansichten eines Clowns», «Gruppenbild mit Dame«, »Die verlorene Ehre der Katharina Blum») ist der Autor nach Ansicht des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki vor allem in der jungen Generation nicht mehr bekannt.


Frankfurt/Main (ddp). «Es lässt sich nicht verheimlichen, dass Böll heute nur noch sehr wenige Leser hat», sagte Reich-Ranicki der Nachrichtenagentur ddp in Frankfurt am Main. Nur bei der älteren Generation sei er noch in der Erinnerung. «Das ist der Lauf der Welt, dass Schriftsteller in ihrer Epoche wirken und in Vergessenheit geraten», sagte der Kritiker.

Das am stärksten in Erinnerung gebliebene Werk Bölls seien einige satirische Erzählungen, vor allem «Doktor Murkes gesammeltes Schweigen». «Einige kurze Geschichten aus dem Band \'Wanderer, kommst du nach Spa...\' sind ferner wichtig und haben keineswegs ihre Wirkung eingebüßt», sagte Reich-Ranicki. Die Romane hingegen seien meist doch wohl überholt. «Ich halte den Erzähler Böll für stärker als den Romancier», fügte er hinzu. Trotz seines politischen Engagements sei Böll nicht als politischer Schriftsteller in Erinnerung geblieben.

Reich-Ranicki betonte, er halte es für seine Pflicht, Schriftsteller vor dem Vergessen zu bewahren. Deshalb habe er den «Kanon der deutschen Literatur» herausgeben. In der Ausgabe der 20 Romane von Goethe bis heute sei Böll zwar nicht vertreten, dafür aber mit vier Werken im zweiten Teil des Kanon, der ausschließlich Erzählungen enthält.

Mit Böll erhielt, 43 Jahre nach Thomas Mann, 1972 zum ersten Mal wieder ein Deutscher den Literaturnobelpreis. Böll war auf der Höhe seiner Popularität und Anerkennung. Am 16. Juli 1985 starb der Schriftsteller, der in seinen letzten Lebensjahren vor allem durch sein politisches Engagement, unter anderem für die Friedensbewegung, auf sich aufmerksam gemacht hatte. Den Nobelpreis für Literatur erhielt Böll für «eine Dichtung, die durch ihren zeitgeschichtlichen Weitblick in Verbindung mit ihrer von sensiblem Einfühlungsvermögen geprägten Darstellungskunst erneuernd im Bereich der deutschen Literatur gewirkt hat».