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Österreichisch und provokativ - Die Salzburger Festspiele starten mit großem Theater und einer «Gegeneröffnungsrede»
Salzburg (ddp-bay). Einmal nicht mit großer Oper, sondern mit großem Theater starteten in diesem Jahr die Salzburger Festspiele: zuerst die Wiederaufnahme von Hugo von Hofmannsthals Salzburger Heiligtum «Jedermann», wegen Regens diesmal nicht auf dem Domplatz, sondern im Großen Festspielhaus, und gleich anschließend im Landestheater am anderen Ufer der Salzach Ödön von Horváths Anti-Volksstück «Geschichten aus dem Wienerwald». Beide Produktionen wurden am Montagabend ausgiebig umjubelt.
Salzburgs neuer Theaterdirektor Martin Kusej hatte zu seinem Amtsantritt eine Offensive mit Werken österreichischer Dramatiker angekündigt. Wer da einen Rückfall in eine Art Austro-Provinzialismus befürchtete, kannte Kusej schlecht. Denn dem steierischen Dickschädel, der selbst mit düster-klaustrophobischen Inszenierungen schon manches Mal für Aufsehen gesorgt hat, liegt alle Heurigen- und Walzer-Seligkeit fern. Abgründige Stoffe etwa von Horváth und Grillparzer reizen ihn mehr als der klassische Kanon.
Horváths wohl bekanntestes Werk ist ein zwischen Satire und bitterem Ernst schwankendes Konversationsstück aus der Zeit der Wirtschaftskrise und des heraufdämmernden Nationalsozialismus Anfang der 30er Jahre. Die Protagonisten sind in Hassliebe miteinander verbunden.
Regisseurin Barbara Frey und Bühnenbildnerin Bettina Meyer sperrten die Schauspieler in einen blendend weißen Raum mit durchlöcherten Wänden und acht Schwingtüren. Virtuos spielten sie mit dem Klischee der ständig schlagenden Türen aus dem klassischen Volksschwank à la Ohnsorg-Theater. Die Darsteller, allen voran Lambert Hamel als Zauberkönig, Michael von Au als Alfred und die großartige Sunnyi Melles als Valerie, meisterten bravourös die schwierige Gratwanderung zwischen Komik und Tragik.
Zuvor hatte im Großen Festspielhaus die Wiederaufnahme der behutsam modernisierten «Jedermann»-Inszenierung von Christian Stückl Premiere. Neu im Team waren Nina Hoss als «Buhlschaft» sowie «Tatort»-Kommissarin Ulrike Folkerts als «Tod». Ganz im Gegensatz zur drallen Veronica Ferres, der «Buhlschaft» der vergangenen Jahre, verkörperte Hoss eine zierliche, fast intellektuelle wirkende «Jedermann»-Geliebte.
Folkerts, am ganzen Körper aschgrau geschminkt und nur mit einer knappen Korsage und hochhackigen Schuhen bekleidet, gab einen androgynen «Tod», der den «reichen Mann» ziemlich unvermittelt aus einer fröhlichen Festgesellschaft reißt. Gegenüber Burgtheater erprobten Erzkomödianten wie Peter Simonischek als «Jedermann» und Tobias Moretti als «Teufel» und «guter Gesell» hatte sie allerdings einen schweren Stand.
Österreichisch, düster und provokativ sollte auch das Opernprogramm der Festspiele beginnen. Am Dienstagabend stand in der Felsenreitschule unter Leitung von Kent Nagano Franz Schrekers lange vergessene Oper «Die Gezeichneten» auf dem Spielplan, Abschluss und Höhepunkt der Salzburger Reihe mit Werken von den Nazis verfemter Komponisten. Erst dann dürfen die Freunde unbeschwerter Opernopulenz wieder hoffen: bei Mozarts «Zauberflöte» unter Riccardo Muti und Verdis «La Traviata» mit Anna Netrebko als Violetta.
Die Festrede zur Eröffnung der Festspiele war in diesem Jahr ausgefallen. Ausgerechnet die neue sozialdemokratische Landeshauptfrau Gabi Burgstaller meinte, auf diesen intellektuellen Kontrapunkt verzichten zu können. Stattdessen hielt der Schriftsteller Robert Menasse im neuen Museum der Moderne auf dem Mönchsberg eine «Gegeneröffnungsrede».
Kultur sei nicht, wenn sich «einige schöngeistige Damen mit einigen wohlbestallten Herren über das Genie in der letzten Premiere unterhalten", und dabei fotografiert und gefilmt würden. Vielmehr sei Kultur eine «mühsam faszinierende Konfrontation der je eigenen beschränkten Realität mit der Realität der Welt und mit den möglichen Zugängen zur Wahrheit», schrieb Menasse der Salzburger Gesellschaft ins Stammbuch.
Georg Etscheit