Body
Frankfurt/Main (ddp). Wer hätte gedacht, dass ein Folkloreabend die Frankfurter Festhalle zum Kochen bringt? Wer hätte gedacht, dass bei dem abgenudelten Dixieschlager «When the saints go marching in» 8000 Menschen glänzende Augen bekommen? Eine Verbeugung vor Pete Seeger macht es möglich. Verbeugt hat sich am Mittwochabend die Rocklegende Bruce Springsteen.
Den Auftakt zu der Hommage an Seeger, der Anfang Mai 87 Jahre alt geworden war, hatte Springsteen am 30. April in New Orleans gegeben. Kurz zuvor hatte der «Boss» mit der Seeger Session Band 13 traditionelle Songs im Studio aufgenommen. «Es war ein ausgelassener Ritt, rückwärts und vorwärts zu meiner frühesten Musik, die zwanglos und frei war», beschrieb Springsteen die Zusammenarbeit mit der 13-köpfigen Band.
Die Auswahl der «traditional songs» orientierte sich an Seegers 1960 erschienener Sammlung «American Favorite Ballads». Doch wer die von Springsteen eingespielte CD in der heimischen Wohnstube hört, bekommt nicht mal ungefähr eine Ahnung, welch Klangspektakel der 56-Jährige und seine Session Band live auf die Bühne zaubern können.
Gospel, Irish Folk, Blues, Klezmer, Dixieland - alles pointiert und doch infernalisch vorgetragen und angeführt von einem Musiker, der sonst eher für kernige und schnörkellose Songs bekannt ist. Vielleicht wirkt der Sänger daher mitten zwischen Tuba, Violine, Banjo, Saxophon, Fidel, Trompete, Piano oder pedal steel mit seiner Konzertgitarre teilweise etwas verloren und gibt dann mehr den Kapellmeister.
Das Potpourri der Musikrichtungen ist so vielfältig, dass die Menge immer ein paar Takte braucht, bis ihr der gerade neu angestimmte Rhythmus in die Glieder fährt. Aber spätestens zum Ende eines jeden Stückes wippen auch die Fans im zweiten Rang mit. «Ihr wart heute Abend gut vorbereitet», lobt Springsteen die Fangemeinde nach seinem einzigen Deutschlandkonzert. «Wir haben etwas neues probiert, ich danke für euer Vertrauen.»
Ein allzu großes Wagnis war Springsteen mit seinem Folk-Experiment angesichts seiner riesigen Fangemeinde allerdings nicht eingegangen. Seine Homepage vermeldet, die zehn Konzerte in Europa seien in Rekordzeit ausverkauft gewesen: in London nach zehn, in Manchester nach sieben, in Amsterdam gar nach vier Minuten. Der eine oder andere eingefleischte Anhänger mag vielleicht ein bisschen traurig gewesen sein, dass Springsteen auf dieser Tournee gänzlich auf seine großen Hits verzichtet.
Auch der so furios gefeierte Seeger wird den ganzen Abend übrigens mit keiner Silbe erwähnt. Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Musikern scheinen auch überschaubar. Seeger kam aus gutem Haus, ging auf die Straße und zettelte Protestmärsche an. Springsteen kam von der Straße in dem Kaff Freehold, New Jersey, und stieg in den Olymp der Unterhaltungsmusik auf. Irgendwo unterwegs müssen sie sich begegnet sein.
Springsteen hat aus seiner ländlichen Herkunft auch nie einen Hehl gemacht und sie in zahlreichen seiner Lieder verarbeitet. Vielleicht wirkt sein Auftritt an diesem Abend mit der illustren Straßenkapelle, die mit Schiebermützen und Hosenträgern daherkommt, deswegen so authentisch.
Auch der Abgang der Straßenmusiker - von der als Western-Saloon mit Kronleuchtern dekorierten Bühne - gerät stilecht in Polonäse mit der Rückendeckung eines Tuba-Solos. Allerdings kehrt die Formation für eine Handvoll Zugaben zurück. Und als sich fast zweieinhalb Stunden stimmungsvoller Live-Musik dem Ende neigten, schleicht sich auch noch BAP-Sänger Wolfgang Niedecken zu einem kleinen Duett mit dem Boss auf die Bühne.
Oliver Teutsch