Body
Hamburg (ddp). Ein RAF-Stern ziert die Bühne, die Atmosphäre ist angespannt. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Deutschen Herbst setzt Elfriede Jelinek Protagonisten der Roten Armee Fraktion (RAF) in historische und zugleich dramatische Zusammenhänge mit Schillers «Maria Stuart».
Das Publikum im Hamburger Thalia Theater honorierte die Uraufführung von «Ulrike Maria Stuart» am Samstagabend mit minutenlangem Applaus. Und auch die schärfste Kritikerin im Vorfeld, Bettina Röhl, fand das Stück über die RAF-Mitglieder Ulrike Meinhof und Gudrun Enslin doch noch «streckenweise faszinierend, bunt, schrill», aber doch mit «Mängeln», wie sie am Sonntag mitteilte.
Die Tochter von Ulrike Meinhof hatte nach dem Besuch einer Probe im Mai heftige Kritik an dem Stück geübt, und Anwälte beider Seiten waren aktiv geworden. Regisseur Nicolas Stemann nahm daraufhin einige Änderungen vor. «Sämtliche persönliche Ansprachen der Mutter Meinhof an ihre Kinder sind zu meiner großen Erleichterung weg», betonte Röhl nun.
In Stemanns dritter Jelinek-Inszenierung holt die Geschichte die Gegenwart ein und wird zur Fiktion: Die beiden RAF-Frauen treffen auf historische Personen wie Maria Stuart und Elisabeth von England -alle vier verbindet ein Schicksal: Der «Königinnen»-Kampf um weibliche Macht, Ideale und um die eigene Identität beginnt. Hierbei setzt Stemann filmische, musikalische und satirische Mittel ein. Die Parallelen zu Friedrich Schillers «Maria Stuart» und seine Sprachleidenschaft geben dem Königinnendrama den Rhythmus. Der Balanceakt zwischen Albernheit und Tragik sowie Leben und Tod bestimmen den Takt.
Das Stück ist eine einzige Show - es ist eine Bühne in der Bühne: In einer Parodie auf Stefan Aust und Bernd Eichinger, der das RAF-Buch des «Spiegel»-Chefs verfilmen will, wird in «Der Untergang 2» eine kurze Sequenz gezeigt, die das Sendungsbewusstsein, die Verschiedenheit und den Fanatismus von Ulrike Meinhof (Susanne Wolff) und Gudrun Ensslin (Judith Rosmair) beleuchten. In einer anderen Szene sauen sich mit kindlicher Freude RAF-Darsteller mit Farbe und Wasser ein und ermutigen die Zuschauer, mit Wasserbomben Zielwerfen auf die Pappfiguren Kai Diekmann («Bild»-Chefredakteur), Josef Ackermann (Deutsche-Bank-Chef) und Altkanzler Gerhard Schröder zu veranstalten, was diese unter Applaus und Gelächter auch tun. Letztlich gibt es einen Dialog zwischen Marlene Streeruwitz und Elfriede Jelinek, die als übergroße Vaginas auf der Thalia-Bühne stehen.
Die tiefen Verschmelzungen zwischen den Geschichten von Andreas Baader und Leicester, Ulrike Meinhof und Maria Stuart sowie Gudrun Ensslin und Elisabeth fehlten. Jelinek und Stemann zeigen hingegen, dass auch in der Spaßgesellschaft revolutionäre Strömungen möglich sind. In Rückblick auf den zu RAF-Zeiten gescheiterten Umsturz in der Gesellschaft wird das Gewaltprinzip der Gruppe abgelehnt, auch wenn es im Stück immer wieder heißt: «Durch Deutschland muss ein Ruck gehen und natürlich darf geschossen werden.»