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Die Wiener Schubert-Sammlung ist um ein wertvolles Einzelstück reicher: Thomas Aigner, Leiter der Musiksammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, entdeckte in einem Wiener Antiquariat ein originales Textbuch der Oper "Sakontala", das von Franz Schubert (1797 - 1828) fragmentarisch vertont wurde.
orf - Während sich die von ihm hinterlassenen Notenautographe seit der Übernahme des Legats von Nicolaus Dumba im Jahr 1900 im Besitz der Bibliothek befinden, galt das Libretto von Johann Philipp Neumann (1774 - 1849), der auch den Text der "Deutschen Messe" verfasste, bislang als verschollen. Inzwischen ist es gleichfalls Teil der bibliothekseigenen Schubert-Sammlung, die im September 2001 ins "Memory of the World"-Register der UNESCO aufgenommen wurde.Die Oper "Sakontala" (im Autograf Schuberts "Sacontala", in anderen Quellen auch "Sakuntala" oder "Schakuntala") basiert auf einem Schauspiel des indischen Dichters und Dramatikers Kalidasa (um 400 n. Chr.). Über den Umweg einer englischen Übersetzung wurde es von Georg Forster ins Deutsche übertragen und diente so Neumann als Vorlage für sein Libretto.
"Sakontala" ist nach heutigem Stand der Forschung die erste gemeinsame Arbeit Neumanns und Schuberts. Die Komposition der überlieferten Fragmente fällt in die Zeit von Oktober 1820 bis Frühjahr 1821; möglicherweise existierten noch weitere, heute verschollene Skizzen. Das Werk war vermutlich als große romantische Oper gedacht, wenngleich nicht durchkomponiert, sondern mit gesprochenen Dialogen. Schubert notierte größtenteils nur die Singstimmen. Was ihn schließlich zum Abbruch der Arbeit bewog, galt bislang im Wesentlichen als ungeklärt; man berief sich bloß auf die dürre Aussage seines Freundes Josef Hüttenbrenner, er hätte sich "durch die Einflüsterungen einiger Freunde, welchen die Dichtung als Operntext nicht zusagte, von dem vollständigen Componiren desselben abhalten lassen."
Das neuaufgefundene Libretto ist für die Wissenschaft von einigem Interesse. Es handelt sich um eine eigenhändige Reinschrift des Autors, jedoch nicht um die letztgültige Fassung, "bey welcher sehr viele Veränderungen sind gemacht worden, theils zur Abkürzung, theils für die leichtere Aufführung der Oper." Immerhin konnte aufgrund dieses Manuskripts bereits die bisher umstrittene Reihenfolge der einzelnen Musiknummern geklärt werden. Eine detaillierte wissenschaftliche Untersuchung des Librettos durch Thomas Aigner ist derzeit im Gang; als deren Ergebnis wird eine kommentierte Ausgabe des Textes im Rahmen der Schriftenreihe zur Musik der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Verlag Hans Schneider, Tutzing) erscheinen.