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«Eine eigenständige Beat-Generation hat es in der DDR wohl nicht gegeben.» Mit aller Vorsicht zieht die Hamburger Historikerin Dorothee Wierling dieses Fazit aus ihren Interviews, die sie mit zwischen 1945 und 1955 geborenen DDR-Bürgern geführt hat.
Wierlings Forschungen zeigen, dass die aus dem Westen kommende Rockmusik im Osten allgegenwärtig war - und die Herrschenden in Unruhe versetzte. Die DDR-Oberen seien sich klar darüber gewesen, dass die Rockmusik ein gefährliches, das herrschende System in Frage stellendes Potenzial birgt. Deshalb hätten sie versucht, dem eine eigene Musik entgegenzusetzen.
Für den Berliner Musikwissenschaftler Michael Rauhut war das ein aussichtsloses Unterfangen. Das von den Herrschenden propagierte kulturpolitische Konzept einer eigenständigen Rockmusik, die Jugend und Staat zusammenbringen sollte, ist gescheitert, zieht er Bilanz aus seinen Untersuchungen. Doch 13 Jahre nach dem Ende der DDR werfen die Wissenschaftler einen differenzierten Blick auf die Rockmusik im realen Sozialismus.
Für Rauhut war die DDR-Rockmusik «ein hochkomplexes, vielfach gebrochenes Spannungsfeld». In den 60er Jahren habe noch das Nachspielen westlicher Musik im Vordergrund gestanden. Mit der von Erich Honecker eingeleiteten Wende zur Konsumpolitik sei auch die Rockmusik zu einem anerkannten Faktor der Jugendpolitik geworden. Allerdings sei Rockmusik vor allem mit ideologischen Maßstäben gemessen und von einem «pathologischen Sicherheitsdenken» der Herrschenden begleitet worden.
Doch die sich mit der Öffnung in der ersten Hälfte der 70er Jahre ergebenden Möglichkeiten zur medialen Präsenz hätten viele Musiker und Bands sofort vor die Frage gestellt, zu welchen Kompromissen sie bereit sein würden. Als Paradebeispiel dafür bezeichnet Rauhut die 1975 verbotene Leipziger Gruppe Renft, die von diesem Konflikt praktisch zerrissen worden sei.
Nach Einschätzung von Rauhut seien in dem Bestreben, die Musikszene zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, Intentionen und Realität immer mehr auseinandergedriftet. So hätten die Behörden den Schmuggel von Instrumenten vielfach geduldet, über den sie bestens informiert gewesen seien. Zum Ende der DDR hin habe es etwa zwei Dutzend Privatstudios gegeben. Dort sei ein beträchtlicher Teil der Musik produziert worden, auch wenn sie nie unter eigenen Labels erschienen. Viele der bekannteren Gruppen seien zudem in dieser Zeit «kleinkapitalistische Unternehmen» gewesen.
Besonders in den 80er Jahren habe sich die Szene immer mehr aufgespalten, sagt Rauhut. Zugleich habe das letzte Jahrzehnt der DDR das Scheitern der Eigenständigkeit der Rockmusik offenbart. Die in den Medien präsente Musik und ihre Interpreten seien beim größten Teil der Jugend als Repräsentanten des Systems betrachtet worden. Überlagert worden sei diese Entwicklung durch den ausgebliebenen Generationswechsel: Die meisten in den Medien gespielten Gruppen waren in den 70er Jahren entstanden.
Dorothee Wierling verweist auf ein gänzlich anderes Spezifikum des Umgangs mit Rockmusik in der DDR. Die Jugend habe schon immer «mehr getan, als nur westliche Musik zu hören». Diese Musik sei angeeignet und umgedeutet worden und habe einen «eigenen Zeichencharakter» erhalten - ganz im Unterschied zum Westen. «Wo alles Westen war, war der Westen kein Zeichen», sagt Wierling: «Vielleicht haben wir am Ende nicht dieselbe Musik gehört.»
Uwe Frost