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Preisgekrönt – und was kommt dann?

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Renate Ronnefeld vom ARD-Musikwettbewerb zum Thema Wettbewerbe
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Die Jury weiß nicht, ob der Preisträger großes körperliches und seelisches Durchhaltevermögen besitzt, wie er auf Kritik, vor allem die der Presse reagiert, ob er durch Lampenfieber oder einfach nur schlechte Nerven in seinen Interpretationen beeinträchtigt wird, wie schnell er neue Werke lernen und behalten kann, während er gleichzeitig auf Konzertreisen gehen muss, ob er gerne reist oder rasch seine gewohnte Umgebung oder seine Familie vermisst.

Die Frage „Gewinnt wirklich immer der beste Künstler?“ kann nicht ohne weiteres mit Ja beantwortet werden. Eine Jury kann immer nur das Auftreten eines jungen Künstlers zum gegebenen Zeitpunkt beurteilen, den augenblicklichen Stand seines Könnens und seiner künstlerischen Persönlichkeit. Was die Zukunft den einzelnen Preisträgern bringt und wie sie mit persönlichen Glücks- oder Unglücksfällen umgehen, ist im Augenblick des Sieges nicht abzusehen. Die Jury weiß nicht, ob der Preisträger großes körperliches und seelisches Durchhaltevermögen besitzt, wie er auf Kritik, vor allem die der Presse reagiert, ob er durch Lampenfieber oder einfach nur schlechte Nerven in seinen Interpretationen beeinträchtigt wird, wie schnell er neue Werke lernen und behalten kann, während er gleichzeitig auf Konzertreisen gehen muss, ob er gerne reist oder rasch seine gewohnte Umgebung oder seine Familie vermisst. Einige Wege können den jungen Menschen von Juroren oder auch Organisatoren geebnet, einige Türen geöffnet werden. Danach aber müssen auch Preisträger einsehen, dass sie ab jetzt den größeren Wettbewerb des täglichen, normalen Berufslebens bestehen müssen.

Jeder sollte wissen, dass ein Erfolg bei einem Wettbewerb eine Garantie für eine großartige Karriere sein kann aber nicht automatisch sein muss Es ist nicht nur das Talent des Musikers, das dies entscheidet, nicht stupende Technik und Virtuosität genügen hierfür. Um den Vergleich mit bestehenden Musikgrößen aushalten zu können, bedarf es außergewöhnlicher musikalischer Intensität gepaart mit einer starken individuellen künstlerischen Persönlichkeit. Es gibt „Wettbewerbs-Schönheiten“, die sich im normalen Konzertleben nicht durchsetzen können und an widrigen Umständen, am Publikum, aber oft auch an sich selbst scheitern.

Ein nicht gewonnener Wettbewerb hat noch kaum eine Karriere verhindert, ein gewonnener nur dann eine solche begründet oder gefördert, wenn Beharrlichkeit, Stehvermögen und Opferbereitschaft des jungen Musikers, gepaart mit ein wenig Glück, zusammenwirken. Vor allem darf man nicht vergessen, dass ein Gewinner eines ersten Preises von diesem Moment an nicht nur mit allen anderen Preisträgern verglichen wird, sondern auch mit allen bekannten Künstlern seiner Zeit

Ein Preis bei einem bekannten Wettbewerb kann eine Fahrkarte zur erträumten Karriere werden und den Namen des jungen Solisten rasch weltweit bekannt machen. Ein Preisträger könnte dann mit vielen, manchmal zu vielen, Konzertangeboten überfordert werden. Und falls er nicht einen verantwortungsvollen und klugen Agenten oder Ratgeber an seiner Seite hat, der ihm dabei hilft, gute Entscheidungen zu treffen, die für ihn zur gegebenen Zeit richtigen Konzertmöglichkeiten auszuwählen und sich außerdem genügend Zeit für weiteres Repertoire-Studium zu nehmen, so kann seine Karriere beendet sein, noch bevor sie richtig begonnen hat.

Für ein Jahr oder zwei kann ein Preis jedoch einen gewissen Vorteil bringen, da der neue Name zunächst etwas weniger Schwierigkeiten haben wird, an Konzerte oder Aufnahmen zu kommen. Nach dieser ersten Chance wird der weitere Ausbau der Karriere dann schon schwieriger. Auch ist es höchst selten, dass man von Schallplattenfirmen einen Vertrag für mehr als nur eine CD bekommt. Das ist dann der Moment, in dem der Preisträger erkennt, dass er sich von nun an selbst um seine Karriere kümmern muss. Und das ist immer eine schwierige und oft enttäuschende Aufgabe.

Die Promotion ihrer Preisträger ist eines der Hauptanliegen von Wettbewerben. Die meisten von ihnen sind bemüht, neben den ausgeschriebenen Geldpreisen für die Gewinner attraktive Konzertmöglichkeiten zu finden. Ein Wettbewerb, der nur alle paar Jahre abgehalten wird, hat die Möglichkeit, sich in der dazwischen liegenden Zeit intensiver um den Karriereaufbau seiner Preisträger zu kümmern, indem er zunächst selbst als Konzertveranstalter tätig wird. Alljährlich stattfindende Wettbewerbe haben es hier sehr viel schwerer. Sie müssen daher in stärkerem Maße Unterstützung von außen suchen bei Festspielen, Konzertveranstaltern und Agenten.

In früheren Jahren gab es noch hier und da Impresarios, die sich neben ihren bereits arrivierten Künstlern immer auch für einige außergewöhnlich begabte junge Musiker einsetzten. Heutzutage spielen Konzertmanager selten eine wirklich bedeutende Rolle beim überlegten Aufbau einer künstlerischen Karriere, mit Ausnahme einiger weniger, die immer eine kleine Anzahl neuer Namen in ihren Künstlerlisten führen und sie dann auch in ihren Programmen einsetzen.

Nationale oder internationale Festspiele, die schon aus Gründen der Anziehung zahlungskräftiger Musikliebhaber hauptsächlich auf renommierte Namen setzen, hätten vielleicht daneben die Möglichkeit, Konzerte oder sogar kleinere Konzertreihen mit noch nicht so bekannten Künstlern in ihre Programme aufzunehmen. Dabei könnten sie hochbegabte junge Musiker einem sicher interessierten Publikum vorstellen und gleichzeitig Aufbauarbeit für spätere Jahre auch im eigenen Interesse leisten. Einige Festwochen haben diese Idee bereits übernommen, andere hängen noch zu sehr an den althergebrachten Programmen und scheuen ein eventuelles Risiko.

Die meisten Preisträger von Streich- und Blasinstrumenten denken neben der erstrebten Solisten-Karriere auch an eine sichere Stelle in einem Orchester. Wenn man aber liest, dass sich in Deutschland jedes Jahr zirka 2.000 Musiker für nur 80 ausgeschriebene Stellen bewerben, begreift man um so eher, wie unsicher die Aussichten auch für die Allerbesten sind. 

Der Deutsche Musikrat bietet durch die Gründung von Ensembles wie dem Bundesjugendorchester und anderer Ausbildungsstätten jungen deutschen Musikern hervorragende Erfahrungsmöglichkeiten für ihr späteres Berufsleben. Dasselbe geschieht in anderen Ländern und auch überregional wie beispielsweise beim Europäischen Jugendorchester, bei der Philharmonie der Nationen, dem Jeunesses Musicales Weltorchester, dem Gustav Mahler-Jugendorchester oder der Jungen Deutschen Philharmonie.

In den letzten 40 Jahren hat sich die Anzahl der internationalen Musikwettbewerbe vervielfacht. Waren es 1957 noch 13 internationale Wettbewerbe, die in Genf die Fédération des Concours gegründet haben, so ist das Angebot an junge interessierte Musiker heute weltweit auf ungefähr 500 angestiegen. Das bedeutet einerseits, dass sich die Veranstalter manchmal gegenseitig Konkurrenz machen, wobei nicht immer der mit höheren finanziellen Mitteln ausgestattete auch der attraktivere sein muss. Andererseits werden aber auch immer mehr junge Musiker davon angezogen, darunter oft auch solche, die für eine solistische Laufbahn noch nicht oder überhaupt nicht geeignet sind. Und jeder renommierte Musikwettbewerb sucht natürlich nach Solisten, für die später bessere Konzertmöglichkeiten gefunden werden können. Um vielen Bewerbern spätere Enttäuschungen zu ersparen, müssten die Anforderungen sehr hoch gesteckt werden, und das wiederum müsste bereits an den verschiedenen Musikinstituten beginnen.

In den letzten Jahren sind in fast allen Ländern Organisationen und Institute entstanden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, junge Musiker aus der ganzen Welt zu fördern. Eine der ältesten dieser Institutionen ist die in New York gegründete Gesellschaft „Young Concert Artists“, die jedes Jahr Wettbewerbe veranstaltet, deren Sieger eine große Anzahl von Konzerten gewinnt. Eine ähnliche Organisation gibt es auch in London, den „Young Concert Artists Trust“.

In Russland besteht seit 1989 die Gesellschaft „New names“, die junge Talente fördert, nicht nur aus dem musikalischen sondern ganz allgemein aus dem künstlerischen Bereich. Eine ihrer hauptsächlichen Aktivitäten ist die Veranstaltung von rund 2.000 Konzerten, bei denen junge Solisten und Ensembles dem Publikum, aber auch in Radio und TV vorgestellt werden

Ähnliches geschieht bei Organisationen wie den „Holland Music Sessions“ in Alkmaar und Amsterdam oder der „Musica viva Society“, die jedes Jahr unzählige Konzertreihen mit Kammermusik auf dem australischen Kontinent veranstaltet. Das gleiche tun in den jeweiligen Ländern das „Norwegische Konzert Institut“ und die „Jeunesses Musicales de France“. Und auch in Deutschland gibt es Konzertreihen, die sich auf den musikalischen Nachwuchs spezialisiert haben.

So gibt es viele kleinere und größere Institutionen, teilweise nur basierend auf privater finanzieller Unterstützung, die sich um Preisträger kümmern und ihnen dadurch helfen, in den ersten Monaten und Jahren nach dem Preisgewinn Auftrittsmöglichkeiten zu bekommen. Zu einer Zeit, in der leider immer mehr kommerzielle Gesichtspunkte das Konzertleben beherrschen und daher hauptsächlich die bekannten „großen Namen“ dem Publikum angeboten werden, wird es für junge Künstler immer schwerer, sich daneben durchzusetzen. Eine effektive Förderung junger Musiker ist und bleibt daher dringend erforderlich.

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