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Schwierige Beziehungskiste: der Künstler und sein Kritiker

Untertitel
Protokoll einer Podiumsdiskussion auf der diesjährigen Musikmesse Frankfurt
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50 Jahre neue musikzeitung – Perspektiven der Musikkritik: Das war der Titel eines Panels auf der diesjährigen Frankfurter Musikmesse. Auf dem Podium saß neben Siegfried Palm, und Stefan Raulf auch Gerhard Rohde. nmz-Redakteur Andreas Kolb, der die Gesprächsrunde leitete, stellt fürs aktuelle nmz-Dossier einige Original-Töne der Kombattanten zusammen.

50 Jahre neue musikzeitung – Perspektiven der Musikkritik: Das war der Titel eines Panels auf der diesjährigen Frankfurter Musikmesse. Auf dem Podium saß neben Siegfried Palm, und Stefan Raulf auch Gerhard Rohde. nmz-Redakteur Andreas Kolb, der die Gesprächsrunde leitete, stellt fürs aktuelle nmz-Dossier einige Original-Töne der Kombattanten zusammen.Andreas Kolb: Die nmz wird 2001 fünfzig Jahre alt. Blättert man in den Ausgaben der vergangenen Jahrzehnte, dann erschließt sich einem der nicht ganz unerhebliche Beitrag der neuen musikzeitung zur Geschichte des deutschen Nachkriegs-Musikjournalismus. Herr Palm, ich frage Sie als Musiker, aber auch Mitglied des nmz-Redaktionsbeirats: Welche Funktion kann eine Zeitung wie die nmz in Zukunft haben?

Siegfried Palm: Eine Musikkritik kann immer alles nach vorne bringen und dafür sorgen, dass die Dinge weitergehen – und zwar positiv weitergehen. Ich kann nur sagen, die nmz ist für mich eine der wichtigsten Musikzeitungen in Europa. Und ohne die nmz wäre das ganze Musik- und Kulturleben wesentlich ärmer.

: Es wird allgemein der Musikkritik der Vorwurf gemacht, dass sie nicht mehr so kompetent ist wie noch vor 20, 30 Jahren. Können Sie das bestätigen?
: Nein, eigentlich nicht. Die Komponisten werden jünger und die Kritiker werden auch jünger. Beides passt zusammen. Ein junger Musikkritiker wird über ein Stück von Schönberg anders denken als es vor vierzig Jahren noch der Fall war. Das ist klar.
: Gerhard Rohde, wie beurteilen Sie den Zustand der Musikkritik?
: Die Kritik im strengen Sinne ist eine Kritik des Werkes, die Analyse des Werkes, die Bewertung der Qualitäten im Hinblick auf das Ganze, im Hinblick auf die Leistung des Komponisten. Diese Kritik ist heute leider sehr in den Hintergrund getreten. Die Musikkritik ist auch ein wenig Opfer der Tatsache, dass es immer weniger neue Musik im Konzertsaal gibt. Der Hauptteil des Musikbetriebs ist heute die Reproduktion alter Stücke, die bereits x-mal kritisiert und analysiert sind. Musikritik ist in diesem Fall Interpretationskritik und wird damit sehr stark auf die Geschmacksebene abgeschoben. Das heißt, bis zu einem gewissen Grad wird die Musikkritik beliebig. Sie verliert an intellektueller Stringenz. Dies scheinen mir die Hauptgründe zu sein, dass Musikkritik heute vergleichsweise als Gegenstand unwichtig geworden ist.
: Welche Funktion soll aber Musikkritik in Zukunft einnehmen?
: Im Hinblick auf die neue Musik hat die Musikkritik eine vermittelnde Funktion. Sie will schwierige Gegenstände dem interessierten Bürger näher bringen. Sie kann das leisten, was im Grunde genommen auch eine gute Einführung bewirken würde. Da hat die Musikkritik durchaus noch ihre Funktion. Die Frage ist nur – da sind wir bei den Medien – wo kann diese Musikkritik noch erscheinen? Ich kenne Dutzende von Zeitungen, wenn da ein Musikredakteur mit seinem Festivalbericht aus Donaueschingen ankommt und sagt, es sind leider 300 Zeilen geworden, das wird gleich rausgeschmissen. Oder es wird um die Hälfte gekürzt und man hat diese additiven, kursorischen Berichte, in denen eigentlich auch nichts steht. Es ist nur eine Werbung für die Veranstaltung, mit der der Veranstalter dann zu einem Intendanten oder dieser zu einem Sponsor gehen kann und sagen kann, wir haben Presse.
: Man macht ja oft die Erfahrung, dass vor dem Konzert mehr geschrieben wird als nach dem Konzert. Damit möchte ich gerne überleiten zu Stefan Raulf, der als Vertreter des Pop-Journalismus hier bei uns ist. Welche Rolle kann man in diesem Genre als Journalist spielen?

Stefan Raulf: Wenn man „Pop“ sagt, dann wird der Journalist mit zum Entertainer. Vom Journalisten wird mehr denn je auch ein unterhaltsamer Text gefordert. Beim Pop geht es eben überhaupt nicht um neue Strukturen: ein Popsong ist ein Popsong, der ist von seiner innermusikalischen Struktur seit Jahrzehnten gleich. Beim Pop geht es um Variationen. Diese zu sortieren, zu bewerten ist vermutlich der Job des Musikjournalisten.

: Herr Palm, welche Rolle ganz konkret hat die Musikkritik in Ihrer Karriere gespielt?
: Eine ganz entscheidende Rolle. Ich bin nun jetzt knapp 50 Jahre in dem Betrieb und ich habe sehr viele junge Journalisten kommen und auch wieder gehen sehen. Aber viele sind gekommen und geblieben – und das ist erfreulich –, die ich heute noch gerne lese. Und sie sind gewachsen an ihren Aufgaben. Herr Rohde hat natürlich Recht, wenn er sagt, die Fünfte von Beethoven, was soll man da groß schreiben. Aber ich finde, jede Opern-Neuinszenierung ist es wert, dass man sie ausführlich bespricht. Und zwar nicht nur die Regie-Leistung, sondern auch die musikalische.
: Eine Beziehung zwischen Musiker und Kritiker wächst oft über Jahre. Wie kann ein Rezensent kompetenter berichten? Aus der anschaulichen, persönlichen Nähe oder aus der kritisch-objektiver Distanz heraus?
: Das macht jeder Kritiker im Grunde genommen anders. Es gibt Kritiker, die sich strikt fern halten von Künstlern. Sie hören sich das an und verschwinden wieder. Andere suchen die Nähe, die sich oft auch automatisch ergibt. Das halte ich auch nicht für fatal, im Gegenteil. Man kann in Gesprächen seinen Wissensfundus erweitern. Das ist ein ganz normaler Dialog, der natürlich schlimm wird, wenn ich daraus entweder ökonomische Vorteile ziehe oder wenn es eine Beziehungskiste wird. : Ich empfinde das Verhältnis von Kritiker und Künstler als ziemlich problematisch. Persönlich habe ich selten Lust, den so genannten Menschen hinter der Musik kennen zu lernen. Vielleicht liegt es daran, dass die Musiker im Bereich Pop sich in Interviews stärker inszenieren – sowohl als Stars als auch als ehrliche Häute.

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