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Träume nicht abtrainieren, sondern realisieren

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Ausschnitte aus der 45. taktlos-Sendung zum Thema Popmusikförderung im September 2001
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Öffentliche Gelder für Industriemusik? Subventionen für anerkannte Trommelfell-Killer? Soll der Nachwuchs im so genannten Popularmusikbereich gefördert werden? Darüber haben sich in der 45. taktlos-Sendung des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung Judith Krawczyk (Musikerinnen-Initiative „rocksie!“), Dirk Hewig (Bayerisches Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst), Jens Klopp (John Lennon Talent Award) und Bernd Schweinar (Bayerischer Rockintendant) mit dem Moderator Theo Geißler unterhalten. Theo Geißler: Es klingt ja so ein bisschen nach Nasenchirurgie... Popularmusikförderung. Von der Musikerinnen-Initiative „rocksie!“ aus Dortmund kommt Judith Krawczyk. Frauen haben es in der Rockmusik ja bekanntlich besonders leicht, Frau Krawczyk, die schlafen sich durch 42 Produzenten-Betten und dann werden sie Stars. Warum gründen Sie da noch eine Musikerinnen-Initiative? Judith Krawczyk: Einer der Gründe ist eben, dass so viele Männer noch davon träumen, dass es für immer so bleiben wird... Geißler: Bernd Schweinar ist Bayerischer Rockintendant, und ein bisschen klingt das ja so, als hätten sich die Rolling Stones einen Dirigenten zugelegt. Bernd Schweinar, was bringt so ein Etikett? Bernd Schweinar: Es bringt vor allem dann etwas, wenn man das ohnehin sehr wenige Geld vernünftig einsetzt, und das bedeutet, in Infrastrukturen zu investieren. Geißler: Dirk Hewig ist Ministerialrat im Bayerischen Kunstministerium. Was bewegt Ihr Ministerium, sich um die Popularmusik zu kümmern? Dirk Hewig: Peter Maffay, Herbert Grönemeyer und so fort sind bei uns schon auch präsent. Wir wollen aber nicht diese erfolgreichen Popmusiker fördern, sondern wir wollen die Musik an der Basis stärken, das heißt Amateurmusikern unter die Arme greifen, damit sie überhaupt erst einmal von der Industrie entdeckt werden und in den Profibereich vorstoßen können. Geißler: Wir haben lange nach einem echten Pop-Sponsor gesucht, der in Bayern keinen Neid erweckt. Hoch im Norden, irgendwo hinter den Dünen liegt Itzehoe, dort gibt es eine gleichnamige Versicherung – die versichert, glaube ich, Strandkörbe gegen Gletscherbruch... – und sie leistet sich den John Lennon Talent Award, einen Band-Wettbewerb. Warum, Jens Klopp? Jens Klopp: Nicht weil es zu wenig Wettbewerbe gibt, sondern weil zu wenig in diesen Wettbewerben, die es gibt, auf die Bedürfnisse der Musiker eingegangen wird – kreative Spielräume zu schaffen und die Lücke zu füllen zwischen Übungsräumen und dem großen, erhofften Major-Deal. Bei uns wird nämlich sehr viel gemacht, was das so genannte „Coaching“ betrifft. Geißler: „Ton Steine Scherben“, die haben es damals geschafft; vielleicht macht das ja auch die Stärke einer Gruppe aus, wenn sie es aus sich selber schafft. Weshalb braucht die Szene eine Förderung, Bernd Schweinar? Hat sich da grundsätzlich etwas geändert? Schweinar: Auch Rio Reiser hat Jahre später ja nicht mehr mit dem Klingelbeutel hinterm Dom gestanden, sondern er hat genauso gut dieses Musik-Business verinnerlicht, ist zum „König von Deutschland“ avanciert und hat sicherlich auch eine ganze Menge an Geld verdient, was er mit den „Ton, Steine, Scherben“ damals – ohne jetzt musikhistorisch abzutauchen – in die Häuser-Szene gesteckt hatte. Geißler: Aber die Szene hat sich verändert, sie ist härter geworden. Ist es deshalb vielleicht notwendig, dass man sich um den Nachwuchs, um die jungen Künstler kümmert? Schweinar: Nehmen wir einmal Phänomene wie Zlatko, da wird einfach die schnelle Mark gemacht. Das wird meines Erachtens aber auch – und diese Meinung teile ich mit vielen Leuten in der Branche – irgendwann als Bumerang wieder auf die Industrie zurückkommen. Geißler: Aber es gelingt ja der Industrie inzwischen sogar, einen Hit aus der Retorte zu zaubern. Das hätte man sich noch vor 20 Jahren überhaupt nicht vorstellen können, dass man einfach eine Gruppe von jungen Menschen – gerade eben junge Mädels – zusammenholt, die auf eine Bühne stellt, sie „coacht“, trainiert, und schon wird ein Hit draus. Frau Krawczyk? Krawczyk: Ich denke, wir müssten erst einmal definieren, wo Förderung beginnt. Für mich beginnt sie sicherlich nicht bei den „No Angels“, sondern ganz unten, da wo ein 12-/13-jähriges Mädel sagt, sie möchte jetzt gerne mal HipHop machen oder sie möchte die Chance haben, Schlagzeug zu spielen. Da fange ich an mit meiner Förderung; das heißt ich versuche, einen Raum bereitzustellen, ein Instrument und eben nach Möglichkeit auch noch eine gute Dozentin. Hewig: Hier setzt auch das Ministerium an: Wir wollen junge Leute fördern, damit sie Musik machen können. Die Musik ist für die jungen Leute wichtig, für ihre Persönlichkeitsentfaltung, für die Sozialisation, aber sie ist nicht nur Instrument für etwas – wir wollen die Rock- und Popmusikförderung nicht instrumentalisieren – sie ist ein wichtiger Musikstil unseres Jahrhunderts, den wir wie andere Musikstile auch fördern wollen. Es braucht nicht jeder Jugendliche berühmt zu werden, ins Geschäft zu kommen und später ein Album herauszugeben, das große Auflagen hat... Die Musik als solche hat für die Jugendlichen schon einen Wert. Geißler: Es lässt sich aber wohl nicht wegdiskutieren, dass die Industrie Standards setzt, dass sie Vorbilder schafft, dass sie Idole herstellt... Klopp: Wenn man Musik macht, eifert man immer Idolen nach. Aber die „No Angels“ sind ein Marketing-Konzept, das auch mit Popkultur zu tun hat. Ansonsten ist – wenn man über Förderung reden will – in zwei Bereichen noch ganz Wichtiges zu beackern. Das eine ist: welche kreativen Potenziale stecken in der Musik? Was bedeutet Popkultur für unsere Gesellschaft – als Spiegelbild der Politik, der Demokratie überhaupt oder als Spielwiese, würde ich mal sagen – das ist ein Bereich, der ganz, ganz wichtig ist. Da hat die Popkultur bisher mit diesen ganzen schrägen Dingen Großartiges geleistet, die sicherlich auch mit Marketing-Konzepten unters Volk gebracht werden. Und das andere ist eben: Jeder, der den Beruf Musiker ergreifen möchte, muss auch eine Möglichkeit bekommen, sich zu qualifizieren. Viele Wege führen zum Ruhm, aber ganz wenige Wege sind so bestückt, dass man Hilfestellung, Beratung, „Consulting“ oder „Coaching“ bekommt. Die Pfade zum professionellen Musiker sind immer noch steinig; und da würde ich aber immer streng trennen, zwischen dem, was Popkultur und Kreativität ausmacht zum einen und zum anderen, was berufliche Dinge angeht. Geißler: Aber ich denke mal, der Spagat ist riesig: auf der einen Seite hat man die Schulband, deren Mitglieder mit zehn, zwölf Jahren anfangen, richtig loszulegen. Die brauchen doch wahrscheinlich eine ganz andere Form von „Coaching“ als eine Band, die auf dem Weg in die Professionalität ist. Was macht da zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Mu-sikinitiativen (ABMI), Bernd Schweinar? Schweinar: Einfach Know-how transferieren. Man muss den Leuten Informationen anbieten. Man kann keinem weiterhelfen hinsichtlich seiner Stilistik – da wollen wir uns auch gar nicht einmischen. Wir wollen nicht sagen, das ist jetzt was, wo wir fördern müssen, das dürfen wir nicht fördern. Das wäre eine Geschichte, die schlecht ausgehen würde. Das ist auch nicht zu leisten, weil sich diese ganzen Zyklen jetzt immer schneller wiederholen – 14-tägig, dreiwöchig – und da setzen wir einfach an, dass wir sagen... Geißler: Du meinst jetzt stilistische Zyklen? Geißler: Warum tut da eigentlich die Schule nichts? Warum übernehmen die Lehrer nicht diese Rolle, weder als Vorbilder noch als Ratgeber? Hewig: Also, die Lehrer tun schon etwas. Wir bemühen uns an Universitäten und an Hochschulen, dass die Schulmusikerausbildung auch die Popmusik miteinbezieht. Wir haben in Würzburg einen qualifizierten Schulmusiker berufen, der ein hochkarätiger Kenner im Bereich der Pop- und Rockmusik ist. Wir versuchen, dass die Musiklehrer mit Pop in Berührung kommen, dass sie Kenntnisse haben, dass sie mit den Schülern umgehen, dass sie ihnen etwas beibringen können. Wir bemühen uns auch, dass die Musikschullehrer sich hier besser einbringen. Doch die staatliche Förderung bezieht beides ein, auch die Laienmusiker, die gar nicht in den professionellen Bereich wollen. Beide Bereiche müssen Gegenstand unserer Förderung sein. Geißler: Frau Krawczyk, was gibt es denn für Besonderheiten bei Rockbands, die ausschließlich oder weitgehend von Frauen besetzt sind, in diesem Nachwuchsbereich? Gibt es da wirklich etwas, was die Gründung einer ganzen Organisation rechtfertigen würde? Krawczyk: Es gibt viele Mädchen zwischen 12 und 14, die eben nicht den „No Angels“ nacheifern, sondern wirklich Schlagzeug oder Bassgitarre lernen wollen. Bestehende Strukturen – das muss ich einfach so sagen – schließen aber oft gerade Mädchen aus. Das ist der Punkt, an dem die „rocksie!“-Arbeit ansetzt. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem sie erst einmal ganz unbehindert Sachen ausprobieren können. Geißler: Wie sieht das beim Talent Award aus, Jens Klopp, wird da auch eine Frauen-Nische geschaffen, frage ich mal provozierend? Klopp: Das Entscheidende am John Lennon Talent Award ist, dass wir über den Wettbewerb Bands kennen lernen, die semiprofessionell arbeiten, die in einer bestimmten Entwicklungsphase sind, in der sie Begleitung brauchen. Wir versuchen ihnen zu helfen, sich klar zu werden, wohin sie wollen. Es haben sich auch schon Bands aufgelöst während des John Lennon Talent Awards, weil wir gemeinsam feststellen konnten: es reicht dafür, als „Local hero“ zu arbeiten aber nicht für die große Profi-Karriere. Und daran beteiligt sich niemand, auch nicht die, die damit Geld verdienen wollen, also die Tonträgerindustrie. Geißler: Setzen wir doch einmal bei den Clubs an. Sie brechen ja wahrscheinlich weg, weil zu wenig Geld reinkommt über die Musik, die da gemacht wird oder weil sie eben nicht gefördert werden. Gibt’s da Programme aus Ihrem Ministerium, Herr Hewig? Hewig: Also, es gibt Existenzförderdarlehen, aber nur für professionelle Musiker. Die Förderung vor Ort, die Förderung der Clubs, die Bereitstellung von Übungsräumen, von Equipment, das ist nicht Sache des Landes, sondern der Region, der Gemeinde. Da müssen die Gemeinden aktiviert werden, die Landkreise, die Bezirke, hier Mittel zur Verfügung zu stellen. Und wir drängen auch die Kommunen, aktiv zu werden. Der Staat, das Land kann nur tätig werden für landesweite Aktivitäten: das sind Qualifizierungsprogramme, das sind zum Beispiel Rockbüros Nord, Süd in Bayern, das ist ein zentrales Publikationsorgan... Ich könnte mir vorstellen, dass Staat und Kommunen gemeinsam ein Programm vorlegen, um Auftrittsmöglichkeiten zu schaffen für junge Bands. Geißler: Das könnte so eine Art „Raiffeisenkasse“ oder ein Maschinenkombinat oder so etwas in der Richtung sein? Hewig: Da müssten der Staat, die Kommunen und die private Wirtschaft auch mithelfen, das wäre wichtig, damit wir gemeinsam so ein Programm starten könnten. Geißler: Ist das etwas, wo die Itzehoer Versicherung mitmacht, die ja in der Landwirtschaft eine große Tradition vorzuweisen hat, Jens Klopp? Klopp: ...ja, den Traktor vielleicht... Aber das Zusammenwirken ist das Entscheidende. Ich finde, dass die Verantwortlichkeiten gesehen werden müssen, wo der Staat für Basisförderung sorgen muss und wo das, was privatwirtschaftlich mit dazugegeben wird. Letzteres wird aber immer mit Situationen zusammenhängen und kurzfristig sein; das werden nie Investitionen sein in Infrastrukturen, außer dass man vielleicht durch Veranstaltungen versucht, die Aktiven in der Infrastruktur zusammenzuhalten. Geißler: Nordrhein-Westfalen soll ja gebenedeit sein, was die Förderung neumodischer Medien betrifft. Wie sieht’s denn aus, Frau Krawczyk, ist da das Wirtschaftsministerium, gesponsert vielleicht von Dieter Gorny, besonders weit vorne? Krawczyk: Also unsere Infrastrukturen sind leider Gottes auch noch nicht so, wie es vielleicht wünschenswert wäre. Was gefördert wird, ist über Pop und Musik NRW eben landesweite Beratung, „Coaching“, „Consulting“, diese ganze Schiene... Geißler: Wir müssen vielleicht nochmal, weil bei uns nicht nur Pop-Freaks zuhören, kurz erklären, was ist eigentlich „Coaching“? Klopp: Eigentlich bedeutet das so viel wie Training. Der Ausdruck kommt aus dem Sport, da werden die Trainer ja auch nicht mehr Trainer, sondern Coaches genannt... also eben für eine längere Zeit die Möglichkeit haben, fachlich Beratung zu erhalten. Geißler: Ja, aber was wird da beraten? Ich meine, ich kann mir vorstellen, wenn ich jung bin, wild und wüst bin und im Grunde genommen machen will, was ich mag, dann juckt mich das herzlich wenig, was mir irgend so ein Trainer erzählen möchte... Klopp: Zum John Lennon Talent Award kommen die jungen Leute ja freiwillig. Und wir sagen von vornherein, dass der Preis das Coaching ist. Unsere Gewinner werden über ein Jahr lang von Profis betreut und beraten. Geißler: Aber wo wäre dann die Schmerzgrenze für diese Art von „Training“? Schweinar: Das Coaching muss da ansetzen: für 99 Prozent aller Bands bleibt es auf Dauer immer ein schönes Hobby, das muss man ganz klar sagen. Es gibt nur ganz, ganz wenige, die den Schritt in die Profiliga schaffen können, auch mit entsprechenden Veränderungen, die die Industrie dann für diesen jeweiligen Markt vermutlich über den Produzenten versucht einzubringen. Die Spreu vom Weizen zu trennen, das ist auch unsere Aufgabe. Umgekehrt muss man aber auch sagen, auch für solche, die keinen Produzenten haben, kann es tolle Nischen geben, wo sie sich aktiv und kreativ ausleben können. Geißler: Aber Träume und Visionen sind doch, denke ich mal, gerade sozusagen die Grundsubstanz einer guten, saftigen, lebendigen Popmusik. Frau Krawczyk, wie weit kann man sich so etwas an- oder abtrainieren? Krawczyk: Uns geht es bei „rocksie!“ nicht darum, Träume abzutrainieren. Wir möchten Frauen unterstützen, die einfach oft sehr spezifische Probleme haben. Zum Beispiel ist es nun einmal leider so, dass diese Frauen oft einen gebrochenen Lebenslauf haben. Und da die Kontakte zu schaffen, dass Musikerinnen weiter Musik machen können, dass sie von einer Agentur gut vertreten werden, Kontakte bekommen zum Management, vielleicht auch zu einem guten Plattenlabel, darin sehe ich eher unsere Schwerpunkte. Und nicht darin, zu einer Band zu sagen: Ihr müsst euch jetzt so und so schminken, damit ihr erfolgreich seid. Geißler: Welche politischen Rahmenbedingungen wünschen sich denn solche Rockmusikverbände wie ABMI oder „rocksie!“. Seid ihr zufrieden mit dem, was ihr von den Ministerien bekommt? Schweinar: Prinzipiell wünschen wir uns natürlich, dass es mehr Netzwerkkunden gäbe, wie jetzt hier bei uns in Bayern Dirk Metzger. Vorbilder sind in dieser Hinsicht zum Beispiel auch die Rockstiftung Baden-Württemberg, „rocksie!“ in Nordrhein-Westfalen oder das Musikzentrum Hannover in Niedersachsen. Krawczyk: Da muss ich jetzt einhaken, weil „rocksie!“ zum Beispiel das Problem hat, dass es ein Projekt ist mit allen Vor- und Nachteilen der Projektförderung. Das heißt, wir wissen am Ende des Jahres nie genau, ob es weitergeht und wie es weitergeht. Und das funktioniert im Grunde genommen nur über ganz viel ehrenamtliches Engagement. Wünschenswert wäre, zum Beispiel für „rocksie“, eine Förderung, die langfristiger angelegt wäre. Geißler: Die fürchten die Ministerien ja inzwischen wie die Pest. Ich weiß gar nicht warum, Herr Hewig...? Hewig: Wir machen in Bayern keine Projektförderung, sondern eine institutionelle Förderung. Wir geben die vorhandenen Mittel an die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Musikinitiativen (ABMI) weiter. Die Arbeitsgemeinschaft legt uns einen Antrag vor, sagt uns, wofür sie das Geld ausgeben will und wenn wir das akzeptieren können, bekommt sie dieses Geld und setzt es nach ihren Vorstellungen ein. Das scheint mir der richtige Weg zu sein. Es gibt auch den anderen Weg – Niedersachsen zum Beispiel hat den beschritten –, dort wurde ein Strukturprogramm vorgelegt und ein Rockbeauftragter beim Niedersächsischen Musikrat eingesetzt; das heißt das Land strukturiert und gestaltet die Popularszene mit. Das machen wir nicht, wir überlassen die Gestaltung der Popularszene den Leuten vor Ort. Geißler: Trotzdem, so ein bisschen Unzufriedenheit klang ja von den Vertretern der Verbände schon durch. Wie sieht’s denn im Ausland aus, herrscht da eine ähnliche Dürre, was Popförderung betrifft oder gibt’s da ganz andere Beispiele? Schweinar: Die Niederlande etwa bekommen eine Jahresförderung von 2,5 bis 3 Millionen Gulden. Wenn man das auf Bundesebene mit Deutschland vergleicht: Deutschland hat, glaube ich, für diese beiden nationalen Verbände gerade mal um die 300.000 Mark übrig – was natürlich auch in einer ganz anderen Dimension zu sehen ist, das rückt das Verhältnis ein bisschen zurecht. Und auch in Bayern wird nicht immer so kurzfristig geplant... also meine Stelle ist gesichert, ist klar... aber ansonsten ist man in Deutschland tatsächlich hauptsächlich an diese Projektförderung gebunden, und das ist leider die Crux bei dieser Geschichte. Holland, um’s mal so zu sagen, hat immer die Möglichkeit, Vier- bis Fünf-Jahrespläne vorzulegen, das heißt die haben dort eine Planungssicherheit für diese Zeit und können dann auch Projekte wie CDs mit Newcomern verwirklichen, können Aktionen ins Leben rufen und die jungen Leute an die Szene, an die Musikbranche, an die Industrie und den Werbemarkt heranführen. Aber wenn ich jeden 31. Dezember nicht weiß, ob ich zum 1. Januar nochmal Gehalt zahlen kann, dann geht’s nicht – wir haben zum Beispiel auch Mitarbeiter, die hochkompetent sind und in der Zwischenzeit auch mal wieder Taxi fahren müssen... Geißler: Aber, Herr Hewig, ist das nicht eine riesige Ressourcen-Vergeudung? Da sind Mitarbeiter, die sind kompetent, die haben sich über die Jahre etwas beigebracht und kennen die Szene... und dann müssen sie wieder raus, weil so eine Projektförderung nicht mehr greift? Hewig: Wir bemühen uns, auch Anschlussförderung bereitzustellen; das ist im Moment aber außerordentlich schwierig. Der Vergleich mit den Niederlanden hinkt etwas, weil die Niederlande ein zentraler Staat sind, der zentral seine Mittel gibt. Wir aber haben ein föderales System, die Länder steuern Unterschiedliches bei; daher gibt es riesige Unterschiede bei der Rockförderung. Aber Sie haben recht, wir stagnieren in der Förderung und Ressourcen – vor allem personelle Ressourcen – werden vergeudet, weil wir im Moment nicht weiterkommen mit einer Steigerung unserer Mittel. Aber wenn Herr Schweinar sagt, 300.000 Mark werden gerade vom Bund gegeben... das Land Bayern gibt nicht sehr viel, aber es gibt immerhin 200.000 Mark und zur Projektförderung: für ein EDV-System haben wir zusätzlich 200.000 Mark gegeben. Jetzt im November werden 90.000 Mark Zuschuss gegeben – also es kommen schon Mittel zusammen. Das reicht natürlich nicht aus und deshalb kämpfen wir gemeinsam mit den Verbänden und den Politikern darum, dass wir diese Förderung ausweiten können. Schweinar: Und wir ruhen uns ja auch nicht darauf aus... wir haben mit diesem Geld, das wir über Jahre eingesetzt hatten auch entsprechend Drittmittel akquiriert. Allein über die Industrie, was vorhin so etwas abfällig beschienen worden ist, haben wir in den Jahren 1993 bis 1996 fast eine Dreiviertelmillion Mark für Veranstaltungen mit Live-Bands in die Szenen hineinfließen lassen; da sind Hunderte von Auftritten entstanden von Bands – und das ist nur möglich aufgrund dieser Förderung. Geißler: Niemand würde eine Industriemark verachten, wenn sie vernünftig ausgegeben wird. Was könnte denn jetzt die Industrie – und dabei schau ich den Jens Klopp von der Itzehoer Versicherung, obwohl das weiß Gott keine Industrie ist, ein bisschen Rat suchend an – was kann denn die Industrie tun? Lassen sich nicht doch noch engere Netze beispielsweise zwischen Ministerien, zwischen den vorhandenen Initiativen und eben solchen Geschichten, wie ihr sie macht, knüpfen? Klopp: Auf jeden Fall. Ich sehe die Bands speziell in meinem Job zuerst einmal in dieser Situation, in der sie den Sprung ins rein professionelle „Musizieren“ machen wollen. Wenn ich zurückschaue, sehe ich, dass den Bands – also die Vergangenheit mancher Kapellen betrachtend – viele kreative Spielräume fehlen und dass ausreichende Qualifizierungen fehlen. Um kreativ zu sein, braucht man auch, je weiter man kommt, mehr Handwerk. Das ist in der Rückschau das, was wir in dieser Grauzone versuchen, ein bisschen aufzuarbeiten. Und wenn ich zur Tonträgerindustrie schaue, sehe ich, dass hier häufig nach Schema X gearbeitet wird: da werden lediglich Marketing-Konzepte ausgearbeitet, die Künstlerpersönlichkeit selbst aber wird nicht langfristig gesehen. Die Industrie, die mit der Branche sonst nichts zu tun hat, in die sie investiert, geht häufig sehr formal vor, setzt ihre Agenturkonzepte um und schaut, wie sie ihre Millionen einsetzen kann, um „product-placement“ zu machen, um ein Logo sichtbar zu machen. Und das ist manchmal sinnvoll oder gut und hilft einigen Initiativen oder Bands, aber da das alles so kurzfristig und punktuell angesetzt ist, ist das mit Sicherheit ein schwieriger Weg, der auch sehr verunsichern kann. Geißler: Kann da nicht so ein erfolgreicher Sender wie VIVA – und der sitzt bei euch in Nordrhein-Westfalen ja vor der Tür – mit einem angeblich sehr sachverständigen Intendanten oder Geschäftsführer Dieter Gorny. Kann der da nicht in die Bresche springen und sagen: Mensch, da habt ihr im Jahr eure zwei Millionen, die ihr braucht, gebt sie aus, Frau Krawczyk? Krawczyk: Schön wär’s. Jetzt ist es natürlich so, dass Dieter Gorny 1992 noch in seiner Funktion als Rockbeauftragter des Landes NRW sehr viel dafür getan hat, dass „rocksie!“ realisiert werden konnte. Und er tut jetzt im Moment auch sehr viel dafür, dass ein anderes Projekt „Pop und Musik NRW“ verwirklicht werden kann. Dieses Projekt hat wirklich – und jetzt müsste ich auch mal angeben – bundesweit als einziges konkret eine Frauenberatungsstelle, die eben wiederum von „rocksie!“ ausgefüllt wird. Von daher klappt das mit der „public privat partnership“ schon mal ganz gut. Wünschen würde ich mir natürlich jetzt persönlich, dass wir auch noch mehr Ressourcen bekommen, um wirklich diese Strukturen zu schaffen. Denn wir haben sehr viele, sehr gute Frauen, die noch professionalisiert werden können – und die vor allen Dingen noch heiß gemacht werden können auf so Talent Awards wie den John Lennon... und sich dann dort einfach mal so massiv bewerben, dass die gar nicht anders können, als Frauen zur Siegerband erklären! Geißler: Man möchte sich wünschen, dass all die Kräfte, die man hinter den einzelnen Initiativen spürt, zusammenwachsen und dass sie ein gemeinsames Netzwerk bilden. Ich vermute mal, auch dafür wird es einen kleinen Etat brauchen, um dieses Netzwerk –heutzutage vielleicht sogar auf elektronischem Weg – herzustellen. Ist so was in Planung, Bernd Schweinar? Schweinar: Konzepte, Pläne, haben wir viele, es scheitert immer an der Realisierung, an den Türen, die uns nicht aufgetan werden. nmz.de/taktlos/2001/takt45.shtml (als Real-Audio und komplett) Schweinar: Ja, stilistische Zyklen, Trends, wie es so schön heißt – da kann man nicht eingreifen. Ein Geiger, der eine klassische Ausbildung hat, hat eigentlich seinen Weg vorgezeichnet. Die Mitglieder einer einer Schülerband von heute müssen mit 15 an die Öffentlichkeit. Sie kennen keine Verträge, sie müssen sich mit Clubbesitzern und der Presse auseinander setzen... Hier muss einfach Beratung, Know-how-Transfer ansetzen, und das versuchen wir mit Workshops, mit Qualifizierungen in verschiedenen Bereichen.

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