Hauptbild
Der Prunk des vergangenen Jahrtausends gepflegt im neuen Europa: Innenansicht der Prager Oper. Foto: Oper Prag
Der Prunk des vergangenen Jahrtausends gepflegt im neuen Europa: Innenansicht der Prager Oper. Foto: Oper Prag
Banner Full-Size

Tschechien heißt Europa mit Musik willkommen

Untertitel
Im Beitrittsjahr zur EU feiert unser östlicher Nachbar das „Jahr der Tschechischen Musik 2004“
Publikationsdatum
Body

Im Mai dieses Jahres ist Europa um zehn Länder reicher geworden. Was bringen die ost- und mitteleuropäischen Länder als Mitgift ins „alte Europa“ ein? In einem Interview wurde diese Frage kürzlich dem Schriftsteller Günther Grass gestellt. Die spontane Antwort: „Zuerst einmal ihre eigene Kultur. Sie werden uns lehren – höflich wie es dort üblich ist, aber doch sehr deutlich – dass die Mitte Europas nicht in Paris, sondern in Prag liegt“.

Besonders die Musik Tschechiens steht in diesem Jahr im kulturellen Mittelpunkt Europas: 2004 ist das Jahr der Tschechischen Musik. Nicht zum ersten Mal begeht das drittgrößte Beitrittsland mit seinen zehn Millionen Einwohnern ein solches Jahr. Immer, wenn eine Jahreszahl auf vier endet, kann Tschechien der Geburts- und Todestage seiner Komponisten und Musiker gedenken. Die Musik-Jahre 1974 und 1984 waren in der damaligen Tschechoslowakei noch stark ideologisch geprägt, so wurde die Existenz der slowakischen Musik außen vor gelassen oder Musiker aus jüdischem und deutschem Umfeld tauchten in der Programmgestaltung nicht auf. Heute wird in Tschechien Musikgeschichte realistischer gesehen. Musiker mit verschiedenen kulturellen Identitäten gehören ebenso dazu wie die der „nationalen“ Musikschulen. Und so steht das Musikjahr 2004 auch unter einem besonderen Motto: „Tschechische Musik 2004 – ein untrennbarer Bestandteil der europäischen Kultur“. Im Koordinierungszentrum in Prag wurde das reichhaltige Programm geplant und zusammengeführt. Beteiligt sind daran nicht nur die führenden Kulturinstitutionen, wie die Staatsoper, das Nationaltheater oder das Nationalmuseum, sondern auch zahlreiche kleinere Projekte des gesamten Landes, die finanziell und organisatorisch unterstützt werden. So sind nicht nur die Highlights der tschechischen Musikszene eingebunden, sondern die gesamte Vielfalt der tschechischen Musik steht auf dem Programm. Die Geldsumme, die das tschechische Kulturministerium dafür zur Verfügung stellte, beträgt 105 Millionen Kronen (circa drei Millionen Euro).

Allein auf 60 Musik-Jubiläen, die in Fünfjahresschritten gezählt werden, kann Tschechien in diesem Jahr verweisen. Es wäre vermessen, hier alle aufzuzählen, gesagt sei nur, dass in der umfangreichen Liste nicht nur Dvorak (100. Todestag), Smetana (180. Geburts- und 120. Todestag) und Martinu (45. Todestag) aufgezählt sind, sondern dass auch Institutionen wie das Nationaltheater in Brno (120. Gründungstag), das Musikinformationszentrum (40. Gründungstag), das Prager Symphonieorchester FOK (70. Gründungstag) oder das Philharmonische Orchester Janácek (50. Gründungstag) zu finden sind. Über 700 Veranstaltungen sind geplant oder bereits realisiert, und sie finden nicht nur in den eigenen Landesgrenzen statt. Der Tradition seiner weltoffenen Musiker und Komponisten verpflichtet, will Tschechien seine Musik auch im Ausland präsentieren: Im Juni wurde der ausländische Teil des Programms mit dem klangvollen Namen „Tschechische Träume“ eröffnet und zunächst in 13 tschechischen Städten vorgestellt. Seit Juli sind in zahlreichen europäischen Ländern, der USA und Kanada noch bis zum Ende des Jahres tschechische Künstler in etwa 80 Opernaufführungen und 70 Konzerten zu erleben. In 15 deutschen Städten ist die Reihe „Tschechische Träume“ mit kammermusikalischen Aufführungen vertreten. Aber was sind schon Zahlen? Dahinter steht die durch Ideale und Hoffnungen geprägte Landesgeschichte, die eine reiche tschechische Musiktradition hervorbrachte. Seit 1526, seit der Vereinnahmung Böhmens und Mährens durch die Habsburger standen die ehemaligen Tschechischen Kronländer unter dem Einfluss und der Verwaltung Österreich-Ungarns, Mährisch-Schlesien wurde zeitweise durch Preußen regiert. Die Entwicklung der Kultur war gezwungenermaßen fremd beeinflusst, Amtssprache war deutsch und das Nationalbewusstsein wurde immer auf kleiner Flamme gehalten. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten die Tschechen durch die Nationalbewegung und die Revolution 1848/49 ein nationales Selbstvertrauen erlangen. Das machte sich auch in der Musik bemerkbar. Die „nationale Wiedergeburt“ äußerte sich hier am markantesten im Bereich der Oper.

Verständlicherweise konnten tschechische Komponisten die österreichisch-ungarische Vorherrschaft nicht direkt in ihren Kompositionen thematisieren. Das verbot die strenge Zensur des metternichschen Systems. Die sagenumwobene Zeit des Mittelalters hatte in der Musik Hochkonjunktur. Die Przemysliden (13. Jahrhundert) unter Ottokar I. oder die Zeit Karls IV. (14. Jahrhundert), der von Böhmen aus das Heilige Römische Reich regierte und dem Land zu einer wahren Blütezeit verhalf, sollten das Nationalbewusstsein der unterdrückten Tschechen aufleben lassen.

Die großen Nationalopern entstanden, Smetanas „Brandenburger in Böhmen“ oder seine Festoper „Libussa“. Sie sollte auch erklingen, als 1881 das Nationaltheater eingeweiht wurde. Die Hauptfigur dieser Oper ist die sagenumwobene Gründerin Prags, ein gekonnter Schachzug zur Einweihung eines solchen Hauses. Private Spendengelder ermöglichten den Theaterneubau, doch sollte er durch einen verheerenden Brand nur einen Monat nach der Eröffnung fast völlig zerstört werden.

Und wieder war es der Bürgersinn der Tschechen, der ein zweites Opernhaus entstehen ließ. Als das neu errichtete und noch prächtigere Opernhaus im Stil der Neo-Renaissance am 18. November 1883 eingeweiht wurde, stand wieder „Libussa“ auf dem Spielplan.

In den folgenden über 100 Jahren sollte das tschechische Volk immer wieder Diktatoren und Fremdherrschern ausgesetzt sein. Eine Atempause brachte das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie, in dessen Folge sich 1918 die erste Tschechoslowakische Republik gründete. Sie wurde bereits 20 Jahre später durch das unselige Münchner Abkommen zerschlagen.

Immer wieder artikulierten sich Intellektuelle und Künstler, um dem Freiheitsdrang und der Heimatverbundenheit des tschechischen Volkes eine Stimme zu geben. Sei es während des Prager Frühlings im Jahr 1968 oder der (so poetisch klingenden) „Samtenen Revolution“ 1989.

Was bringt die Tschechische Republik nun ins europäische Gefüge ein? Stellvertretend für die beiden Charaktereigenschaften der Tschechen seien zwei ihrer berühmtesten Komponisten genannt. Antonin Dvorák, der weltmännische, der buchstäblich bis in die neue Welt vorgedrungen ist. Und Leos Janácek, der bescheidene, in sich gekehrte, der seiner mährischen Heimat und der Natur eng verbunden war. Beide Eigenschaften werden in einem vereinten Europa gebraucht und wenn sich Tschechien auf seine Tradition besinnt, wird es einen aktiven und interessanten Teil des Europa-Konzerts mit aufbauen können.


1. Musikalische Bildung und Ausbildung

a) Erste Stufe (entspricht in Deutschland: Musikschulen)
470 künstlerische Grundschulen mit 525 Filialen, das heißt 895 Schulen mit Akkreditierung. An diesen Schulen studieren etwa 220.000 Schüler in vier Fächern: Musik (144.000), Tanz (25.000), Bildende Kunst (45.000) und Literatur-Drama (8.000). Besucht werden die Schulen von Schülern zwischen 6 und 15 Jahren (erster Zyklus), 16 bis 23 Jahren (zweiter Zyklus). Heute können auch Erwachsene Kurse absolvieren. Ziel der Ausbildung ist die Berufskarriere, aber auch die Ausbildung von Amateuren.

b) Zweite Stufe (entspricht in Deutschland: Gymnasien mit musischem Profil):
Staatliche Konservatorien (mit Matura)
13 Konservatorien, davon 10 musikalische (Praha, Teplice, Plzen, Ceske Budejovice, Pardubice, Kromeriz, Ostrava, Brno)
Private Konservatorien (nur Tanz)
Kirchliche Konservatorien (Opava)
Militär. Konservatorien (Roudnice nad Labem)
Insgesamt von 3.400 Schülern besucht, davon 2.000 Schülerinnen.

c) Dritte Stufe (entspricht in Deutschland: Musikhochschulen)
Drei Akademien (Prag HAMU, FAMU, Brno HAMU)
Zwölf Universitäre Lehrstühle mit Ausrichtung auf Musikpädagogik oder Musikwissenschaften
(Praha, Brno, Ostrava, Plzen, Hradec Kralove, Ceske Budejovice, Olomouc, Usti nad Labem, Karlovy Vary) (gemäß Angaben von Dr. Kloub vom Ministerium für Schulwesen, Jugend und Sport)

2. Fördermaßnahmen

a) Wettbewerbe im Fach Interpretation ernster Musik: um die 45
Davon die bedeutendsten: Internationaler Musikwettbewerb Prager Frühling (Prazske jaro), Concertino Praga, Interpretationswettbewerb B. Martinu (Bestandteil des Festivals B. Martinu), Heran-Violoncellowettbewerb in Usti nad Orlici, Kocian-Geigenwettbewerb in Usti nad Orlici, Beethovens Hradec in Hradec Kralove, Internationaler Wettbewerb Carl Czerny Prag, Internationaler A. Dvorak-Gesangswettbewerb in Karlovy Vary, Internationaler Smetana-Klavierwettbewerb in Plzen, Talentinum Zlin, Praga cantat – Chorwettbewerb, Virtuosi per musica di pianoforte Usti nad Labem, Internationaler F. Chopin Klavierwettbewerb in Marianske Lazne
Das Schulministerium unterstützt:
Wettbewerbe für künstlerische Grundschulen und Konservatorien, Internationaler Wettbewerb in Usti nad Labem, Kocian-Wettbewerb in Usti nad Orlici.

b) Wettbewerbe im Fach Folklore:
Etwa zehn

c) In anderen Fächern (Country, Folk):
Etwa 13

d) Komposition:
Der bedeutendste internationale Wettbewerb elektroakustischer „Musik Musica nova“, der republikweite Kompositionswettbewerb „Generace“.

3. Forschung und Dokumentation


Archive der Theater, der Musikabteilungen von staatlichen, regionalen, Bezirks- und Ortsmuseen, Schulen, historischen Objekten.
Die bedeutendsten:

  • Archiv des Nationaltheaters
  • Archiv des Nationalmuseums (Tschechische Musikmuseen B. Smetana-Museum und A. Dvorak-Museum, A. Dvorak-Gedenkstätte in Vysoka)
  • Mährisches Landesmuseum in Brno
  • Naprstek-Museum (Ethnographie)
  • Museum Ostrava
  • L. Janácek-Gedenkstätte
  • Gedenkstätte Theresienstadt/Terezin
  • Musikarchiv Kromeriz
  • Musikarchiv des Prager Konservatoriums
  • Musikarchiv des Tschechischen Rundfunks.

    b) Bibliotheken

  • Musikabteilungen öffentlicher Bibliotheken (Saal der Stadtbibliothek), in Regional-, Bezirks- und Ortsbibliotheken.
  • Musikabteilungen der Universitätsbibliotheken
  • Musikbibliotheken spezialisierter Institute
    Die bedeutendsten:
  • Nationalbibliothek, Musikabteilung (Prag)
  • Städtische Bibliothek Prag, Musiksektion
  • Mährische Landesbibliothek, Musikabteilung (Brno)

    c) Institute
    Anzahl: Sieben

  • Theaterinstitut
  • Ethnologisches Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik mit musikhistorischer Abteilung
  • Institut B. Martinu
  • Kabinett der Musiklexikografie am Musikwissenschaftlichen Institut der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität Brno
  • Nationales Institut für Berufsausbildung
  • Studien- und Informationszentrum L. Janácek
  • Institut für Musikwissenschaften an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität Prag.

4. Orchester und Musiktheater

Anzahl ehemals staatlicher Orchester, jetzt vom Kulturministerium oder den Städten eingerichtet: 15
insgesamt etwa 42 Sinfonieorchester mit relativ beständiger Besetzung. Davon Rundfunkorchester: Symphonieorchester des Tschechischen Rundfunks, Philharmonie Plzen (eigenständiger rechtlicher Status).
Kammerorchester mit Bläserharmonie
Anzahl: 35
Opernhäuser
Anzahl: 12 mit Opern-, Ballett- und Operettenbetrieb
Die bedeutendsten: Nationaltheater Prag, Staatsoper Prag, Nationaltheater in Brno, Mährisch-schlesisches Nationaltheater Ostrava

5. Festivals

Anzahl: 135 klassischer Musik, 179 übrige
Bedeutende:

  • Alternativa Prag
  • Tage zeitgenössischer Musik Prag
  • Early Music Festival Cesky Krumlov
  • Europäisches Wettbewerbsfestival der Akkordeonorchester
  • Festa Musicale (Fest der Lieder) Olomouc
  • Festival B. Martinu
  • Festival der tschechisch-deutsch-jüdischen Kultur Neun Tore, Prag
  • Festival EuroArt Praha
  • Festival Mozart Open, Prag
  • Festival des Chorgesangs Bohemia cantat, Liberec
  • Forfest Kromeriz
  • Jazz Goes To Town
  • Südböhmisches Festival Concertino Praga
  • Sommerfest Alter Musik Prag
  • Maraton zeitgenössischer Musik Prag
  • Internationales Festival von Advents- und Weihnachtsmusik mit dem P. Eben-Preis
  • Internationales Festival der akademischen Chöre IFAS, o.s.
  • Internationales Festival der Blasmusiken Prag
  • Internationales Festival der Chorkunst, Jihlava
  • Internationales Festival studentischer Orchester, Prag
  • Internationales Folkorefestival Straznice
  • Internationales Jazzfestival Prag
  • Internationales Gitarrenfestival Brno
  • Internationales Opernfestival Smetana-Litomysl
  • Internationales Orgelfestival Olomouc
  • Internationales Musikfestival Concentus Moraviae
  • Internationales Musikfestival Cesky Krumlov
  • Internationales Musikfestival Janaceks Hukvaldy
  • Internationales Musikfestival Janacek-Mai, Ostrava
  • Internationales Musikfestival Mährischer Herbst, Brno
  • Internationales Musikfestival Prager Frühling
  • Internationales Musikfestival Herbstsaiten, Prag
  • Junges Podium Karlovy Vary
  • Musica sacra Praha
  • Herbstfestival geistlicher Musik Olomouc
  • Trampska Porta
  • Fest des heiligen Wenzels, Prag
  • Talentinum, Zlin
  • Trideni plus, Prag
  • Weihnachtsfestival geistlicher Musik Brno
    (Mitarbeit an diesen Daten Dr. J. Bajgar, HIS [Musikinformationszentrum])

6. Musikwirtschaft

a) Musikverlage
Um die 80
Davon die bedeutendsten: Editio Baerenreiter Prag, Editio Janacek, Folk and Country, Hradecky-Musikverlag für Schulen, Musikinformationszentrum, Muzikus, Panton International Prag,Theaterinstitut.

b) Instrumentenbaubetriebe
Etwa 1.800
Der Tschechische Verband der Instrumentenbauer umfasst 14 große Firmen, das heißt etwa 1.500 Angestellte, und 200 kleinere Firmen mit je ein bis drei Angestellten.

c) Musikzeitschriften
Etwa 50
Die bedeutendsten: Czech Music, Folk and Country, Folklor, Harmonie, His Voice, Hudba a zvuk [Musik und Klang], Hudebni rozhledy [Musikalische Rundsichten], Hudebni veda [Musikwissenschaft], Hudebni vychova [Musikalische Erziehung], Opus Musicum, Rytmus.

http://www.czechmusic.org
http://www.musicabona.com
http://www.musica.cz

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!