Musikschulen sind aus vielen Gründen eingerichtet worden: Weil Blaskapellen ihren Nachwuchs nicht mehr selbst heranziehen konnten, weil im Privatunterricht nur wenige Instrumente angeboten waren, weil die Ansprüche an eine verlässliche Qualität gestiegen waren, weil das verfügbare Einkommen nun die Anschaffung von Instrumenten erlaubte, weil für immer mehr Eltern die Musik als Bildungsgut für ihre Kinder wichtig wurde, weil auch Familien mit mehreren Kindern und geringem Einkommen an musikalischer Bildung teilhaben sollten, weil Mobilität, Medien und Siedlungspolitik Stadt und Land in ihren Ansprüchen näher gebracht haben.
Auf Jahrzehnte des stürmischen Aufbaus in den 60er- bis 80er-Jahren folgte zu Anfang des vergangenen Jahrzehnts eine abrupte Verlangsamung eines noch lange nicht abgeschlossenen Prozesses. Kommunen und Staat mussten sich in einer neuen Gesamtstaatlichkeit erst darüber klar werden, was sie sich – insgesamt und daher auch in Bildung und Kultur – weiterhin leisten könnten. Viele Ausgaben wurden zurückgefahren.
Ohne die Nöte im Einzelnen zu verkennen, waren Musikschulen davon im Großen und Ganzen eher weniger betroffen. Ihr strukturiertes Bildungsangebot, ihre künstlerisch-pädagogischen Leistungen und ihre Beitrag zum öffentlichen Kulturleben waren nicht mehr so leicht verzichtbar. Sie hatten gut daran getan, sich in enger Zusammenarbeit und Ergänzung mit Schulen, Kirchen und Musikvereinen zu verbinden. Sie waren wandlungsfähig, ohne ihren Grundauftrag zu vergessen: In ihren Angeboten und Unterrichtsformen, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit und Organisation. Beispielhafte Leistungen des Musikschulverbandes, verbunden mit hohen Anforderungen an seine Mitglieder, und spezifische Entwicklungen in den Landesverbänden, in Bayern speziell eine gesetzlich begründete Schulaufsicht der Regierungen, eine anspruchsvolle Musikschulverordnung und eine inzwischen 20-jährige Fachberatung für Jedermann, haben die Musikschulen im öffentlichen Bewusstsein als kompetente und verlässliche Bildungseinrichtung verwurzelt. Inzwischen hatten die Hochschulen und Konservatorien ihre Ausbildung an den stark erhöhten Fachpersonal-Bedarf angepasst. Sie konnten den Fachkräfte-„Ausstoß“ nicht mehr bremsen, und sie können es bis heute nicht; denn wenn es in schier keinem Beruf noch eine lebenslange Perspektive gibt, kann man getrost auch wieder Musik studieren – ein Fehlschluss, der nur mit wahrhaft professionellen Studieninhalten und -anforderungen von der Aufnahmeprüfung bis zum Diplom, also mit praktizierter, oft unangenehmer Verantwortung für die anvertrauten jungen Menschen, korrigiert werden könnte.
Niemand weiß, wohin die vielen Diplom-Musiker und -Musiklehrer versickern, aber das – nicht selten verzweifelte – Angebot an Privatunterricht einzelner Musiklehrer und organisierter Gruppen ist deutlich größer geworden. Der Markt ist allerdings fließend und personell instabil – kein Wunder: Die fachlichen Arbeitsinhalte und die Verdienstmöglichkeiten passen oft nicht zum erworbenen Ausbildungsniveau, und nur in wenigen Fächern und Stilrichtungen reicht die private Nachfrage. Der seriösen Privatlehrkraft gebührt allerhöchste Hochachtung, und vielfach sichern Teilbeschäftigungen an Musikschulen eine soziale Grundversorgung und erhalten dadurch die speziellen Qualitäten eines anspruchsvollen Privatunterrichts. Animositäten zwischen Anbietern ähnlicher – nicht gleicher! – Leistungen mögen vor Langeweile bewahren. Uns allen sollte aber bewusst sein, dass Schule, Musikschule und Privatunterricht sich unverzichtbar ergänzen: In unterschiedlichen Angeboten und durchaus auch in Konkurrenzen. Wenn beispielsweise ein Gymnasium mit einem nebenberuflich angestellten Musikschullehrer und mit dem instrumentalen Können von Musikschülern eine beispielhafte Big Band aufbaut, ist dies allemal besser, als wenn die Schulmusik aus Mangel an Stellenbewerbern ihre Stunden nicht füllen kann oder in Grund- und Hauptschule Musik immer weniger stattfindet, weil die Selbstverständlichkeit der musikgebildeten Lehrkraft seit Jahrzehnten in vollem Bewusstsein nicht mehr verfolgt zu werden scheint; wo sonst als in der Schule bestünde die Aussicht auf eine grundständige Ausbildung für alle Kinder? Und wenn sich vor Ort die Angebote von Musikschule und privaten Anbietern im Wissen um die gegenseitige Befruchtung und Bereicherung meist komplikationslos regeln, ist dies eine sehr viel realistischere Wirklichkeit, als wenn auf Funktionärsebene künstliche Hahnen- (und Hennen-)kämpfe ausgetragen werden – an denen sich der Autor ebenfalls schon beteiligt hat.
Werfen wir noch einen Blick auf den Ausbau des Musikschulwesens: In Bayern haben Kommunen und Freistaat für die Musikschulen beträchtliche Leistungen erbracht. Dennoch haben zwei Drittel der bayerischen Gemeinden mit einem Drittel der Bevölkerung noch keine kommunal verantwortete Musikschulanbindung. Während beispielsweise in Oberösterreich 3,6 Prozent (Gesamt-Österreich 2,2 Prozent) der Bevölkerung eine öffentliche Musikschule besuchen, kommen wir in Bayern (wie in der Bundesrepublik) auf 1,1 Prozent; im Nachbarland Baden-Württemberg sind es 1,7 Prozent. Schüler aus Nachbargemeinden werden aus nachvollziehbaren Gründen nicht überall aufgenommen beziehungsweise entrichten Gebührenzuschläge bis zu 100 Prozent, und die Gebührenschere in den einzelnen Musikschulen ist mit Werten zwischen 25 und über 100 Prozent der Lehrpersonalausgaben und mit Schwerpunkten zwischen 40 und 60 Prozent nicht mit der Forderung nach landesweit vergleichbaren Bildungsbedingungen zu vereinbaren.
Dies können nur Schlaglichter sein. in allem Wandel bleibt festzuhalten: Nur Musikschulen, die als „öffentliche Aufgabe“ verstanden werden – kommunal, staatlich oder als Verein mit öffentlicher Gewährsträgerschaft –, können den Bildungs- und Kulturauftrag in den Vordergrund ihrer Arbeit stellen und ihren Unterricht nach einem konsequenten pädagogischen Konzept vom Kindergarten- bis zum Erwachsenenalter gestalten. Nur so können sie qualifizierten Unterricht in allen Fächern auf Dauer garantieren. Nur als öffentliche Aufgabe können sie mit soliden Rechtsverhältnissen Schülern, Eltern und Lehrkräften Sicherheit und Beständigkeit vermitteln. Nur in der öffentlichen Verantwortung können sie sich dem Markt stellen, ohne dass der reine Verkaufswert die erste Geige spielen muss. Nur mit öffentlicher Gewährsträgerschaft können die Musikschulen Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge sein. Nur als öffentliche Aufgabe können Musikschulen dafür gerade stehen, dass kein Kind aus finanziellen Gründen draußen bleiben muss. Auch im „singenden und klingenden Bayern“ gibt es noch einiges zu tun.