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In Vielfalt musizieren – mit einer Zunge sprechen

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Von Joachim Conradi, Vorsitzender des Bundes Deutscher Liebhaberorchester e.V.
Publikationsdatum
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Der Bund Deutscher Liebhaberorchester (BDLO) vertritt eine Musiziertradition, die bereits vor 300 Jahren weitgehend ausgebildet war und die sich einer ungebrochenen Allgegenwart erfreut. In ihm sind knapp 500 Streich-, Kammer- und Sinfonieorchester zusammengeschlossen. Weitere gut 200 Orchester werden von der Arbeitsgemeinschaft Jugendorchester der Jeunesses Musicales Deutschland betreut.

Der Bund Deutscher Liebhaberorchester (BDLO) vertritt eine Musiziertradition, die bereits vor 300 Jahren weitgehend ausgebildet war und die sich einer ungebrochenen Allgegenwart erfreut. In ihm sind knapp 500 Streich-, Kammer- und Sinfonieorchester zusammengeschlossen. Weitere gut 200 Orchester werden von der Arbeitsgemeinschaft Jugendorchester der Jeunesses Musicales Deutschland betreut.Ob damit – und vereinzelten Mitgliedschaften in anderen Musikverbänden – die Mehrzahl der deutschen Liebhaberorchester in Dachverbänden organisiert ist, lässt sich nur ergründen, wenn man klare Kriterien für die Definition des organisationsfähigen Orchesters vereinbart:
  • Sind Orchester an Musikschulen und allgemein bildenden Schulen mitzuzählen? Nur, wenn sie sich mit Aufführungen in der Öffentlichkeit zeigen? Nur, wenn sie eine gewisse Kontinuität (über wieviel Jahre hinweg?) aufweisen? Nur wenn ihr Träger keinem anderen Musikverband angehört?
  • Wie steht es mit den inzwischen recht zahlreichen „Projektorchestern“, die sich (nur) ein- oder zweimal jährlich zu einer Probenphase mit anschließendem Konzert oder einer Tournee treffen?
  • Ist ein Ensemble, das sich jährlich im Rahmen eines Orchesterkurses oder einer -freizeit konstituiert, ein „Orchester“, wenn – was wohl die Regel ist – mehr als 50 Prozent der Teilnehmer über Jahre hinweg kontinuierlich mitwirken?
  • Kann ein Orchester, das für seine Aufführungen stets eine komplette Profi-Bläsermannschaft heranzieht, überhaupt als Amateurorchester gezählt werden?

Orchester aller dieser Kategorien finden sich in der Mitgliedschaft des BDLO. Die traditionell als eingetragener Verein organisierten Ensembles mit wöchentlicher Probe und ein bis vier Konzertveranstaltungen pro Jahr bilden auch heute noch die Masse der Mitglieder. Der Trend zur Musiziergemeinschaft mit klarer zeitlicher Eingrenzung oder in einem weiter oder anders gesteckten Rahmen ist aber nicht zu verkennen. „Bund Deutscher Orchestervereine“ – so der Name bei der Gründung im Jahr 1924 – könnte sich der Verband heute nicht mehr nennen. Das wäre ein Ausgrenzungssignal für inzwischen recht viele seiner Mitglieder. Schon ein Oratorienverein, der einen Chor und ein Orchester unterhält und deshalb neben seinem Chorverband auch dem BDLO angehört, hätte hier Identifikationsprobleme. Die Vielfalt der Organisations- und Arbeitsformen innerhalb der Mitgliedschaft des BDLO lässt die Aufgabe der Repräsentation des „typischen“ Liebhaberorchesters in der Öffentlichkeit zugunsten der direkten Hilfestellung für die Mitglieder zurücktreten. Die Anforderungen an die Dienstleistungskompetenz des Verbandes sind enorm gestiegen. Genügte es früher, eine e.V.-Mustersatzung für orientierungsbedürftige Interessenten bereitzuhalten, sind heute Beratungsleistungen für alternative Organisationsformen gefragt, deren klassifizierende Pflege allein schon einen gestandenen Fachmann erfordert.

Aufklärungsarbeit vonnöten

Dem korrespondiert ein breit gefächertes Spektrum des Leistungsvermögens und der künstlerischen Gestaltungsfähigkeit der heutigen Amateurensembles und ihrer Leiter. Wenn auf der einen Seite – unbestritten – vielen Teilnehmern am Deutschen Orchesterwettbewerb professionelles Niveau zuerkannt wird, kann man diese Ensembles nicht auf der anderen Seite als Dilettanten und Hobby-Musiker belächeln und sie etwa aus dem Kulturteil der Tageszeitung verbannen oder sie in Rundfunk und Fernsehen in die Volksmusik- und Freizeitgestaltungs-Ecke abdrängen. Hier gilt es Aufklärungsarbeit zu leisten, nicht nur für die Laienmusikverbände selbst. Vor allem die Ausbildungsstätten und die Musikpädagogen sollten es sich im eigenen Interesse angelegen sein lassen, auf die Anerkennung dieser ihrer wohl spektakulärsten Erfolge der letzten Jahrzehnte hinzuwirken.

Die künstlerische „Wegweisung“, etwa durch beispielgebende Veranstaltungen oder Literatur-Empfehlungen (beziehungsweise Nicht-Empfehlungen) hat demzufolge anders als früher keinen hohen Stellenwert in der Verbandsarbeit mehr. Dass die Vorstellung der zwischen Bach und Mozart/Haydn pendelnden stereotypen Programmgestaltung bei Liebhaberorches-tern nicht mehr der Realität entspricht, zeigt allein die aus der umfassenden Konzertdokumentation des BDLO belegbare Tatsache, dass jedes achte von Liebhaberorchestern aufgeführte Werk innerhalb eines Jahrzehnts nur dieses eine Mal gespielt wird.

Die verbandseigenen Orchesternoten-Bibliotheken und ein DV-gestütztes Informationssystem über Dutzende weiterer Notenbestände im In- und Ausland tragen zur Stimulierung der künstlerischen Vielfalt heute offensichtlich mehr bei als früher die Hinweise auf wertvolle Literatur oder Kompositionsaufträge und -wettbewerbe. Notenverleih und -beschaffung ist ein recht prosaisches Geschäft, aber elementar wichtig angesichts eines Marktes, der leider allzu einseitig auf die Versorgung professioneller Nutzer – Kulturorchester, Ausbildungseinrichtungen, Opern- und Rundfunkhäuser – ausgerichtet ist. Der frisch gebackene Notenwart, der im Notengeschäft erfahren muss, dass es die vom Dirigenten gewünschte Rarität nicht zu kaufen, sondern nur nach feierlicher Vertragsunterzeichnung bei dem (im Glücksfall dem Musikalienhändler auch bekannten) Verlag zur leihweisen Überlassung gibt, was allerdings mindestens so viel kostet wie der Kauf eines vergleichbaren anderen Materials, wobei das Kopieren und das Verlorengehen von Stimmen mit drakonischen Strafen bedroht sind – dieser Musikliebhaber wird es zu schätzen wissen, dass es vor ihm schon andere gegeben hat, denen dies missfiel und die sich gemeinsam verbraucherfreundlichere Alternativen geschaffen haben.

Funktionen des Verbandes

Fast ebensowichtig ist die Funktion, die der Verband als Interessenvertreter gegenüber den öffentlichen Institutionen und auch bei der Bündelung gleich gerichteter Interessen mit anderen Verbänden hat oder haben könnte/sollte/müsste. Allein über die Notwendigkeit, sich in einem internationalen Laienmusizierer-Verbund gegenüber der Europäischen Gemeinschaft zu artikulieren, ließen sich Bände schreiben – wenn’s nur irgendjemanden interessierte!

In Deutschland gibt es die „Bundesvereinigung Deutscher Laienmusikverbände“. Mitglieder sind die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände (ADC), die Arbeitsgemeinschaft der Volksmusikverbände (AVV) und der BDLO. Diese drei Verbände haben die Bundesvereinigung als nicht eingetragenen Verein aus der Taufe gehoben.

Nach § 2 ihrer Satzung ist Zweck der Bundesvereinigung Deutscher Laienmusikverbände:

a) „Das vokale und instrumentale Laienmusizieren zu fördern und die dafür erforderlichen Maßnahmen zu koordinieren,

b) die gemeinschaftlichen Interessen auf dem Gebiet des Laienmusizierens insbesondere gegenüber dem Bund, den Ländern, den Gemeinden und in der Öffentlichkeit zu vertreten.“

Schon davon gehört? Man könnte in der Musikszene ein Preisausschreiben veranstalten mit der Frage: Seit wann gibt es diese Bundesvereinigung? Seit 1978, seit 1990 oder seit 2001? Richtig – und am unwirklichsten erscheinend – ist: seit 1978.

Es fehlt weder am guten und kooperativen Willen der Träger dieser Bundesvereinigung, noch an der Einsicht, dass es mehr als genug gemeinsame Anliegen gibt, die auch gemeinsam am wirkungsvollsten vertreten werden könnten. Geldmangel ist auch nicht der Hauptgrund dafür, dass die Bundesvereinigung bisher kaum oder noch weniger von sich reden gemacht hat. Nach Ansicht wohl der meisten Insider lassen die ohnehin schon sehr tief gestaffelten Verbandshierarchien keinen Platz, um der Pyramide noch eine echte Spitze aufzusetzen. Ein Verband der Verbände der Verbände ist irgendwann nicht mehr nachvollziehbar und nicht mehr glaubwürdig.

Spricht dieses Argument gegen eine Stärkung der Bundesvereinigung Deutscher Laienmusikverbände oder gegen überkommene Verbandsstrukturen?
Immerhin haben sich die Verbände Anfang dieses Jahres auf einen gemeinsamen Vorschlag betreffend die Entlastung gemeinnütziger Tätigkeiten von der Künstlersozialabgabe geeinigt, nachdem eine ähnliche in der Bundesvereinigung initiierte Aktion schon 1996 zur Herausnahme der meisten Laienmusikensembles aus der Abgabepflicht geführt hatte – freilich nicht so offenkundig und im Ergebnis auch nicht so griffig, als dass es zur Erzeugung einer Aufbruchstimmung gereicht hätte.

Die Liebhaberorchester können sich nichts besseres wünschen als eine einheitliche und mit echter Funktionalität ausgestattete Repräsentation des gesamten Laienmusizierens. Sie haben kein Problem, sich in eine umfassende Verbandsstruktur einzufügen. Der Weg dahin scheint aber noch weit zu sein. Geduld und Beharrlichkeit sind angesagt. Leidensdruck? Nein, der sollte der Laienmusikbewegung erspart bleiben.

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