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Zum Stand der VdM-Initiative „Musikalische Bildung von Anfang an“

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Frischgebackene oder werdende Eltern, die an einem kulturellen Förder- oder Lernangebot für sich und ihre Kinder interessiert sind, müssen je nach Wohnort lange suchen, falls sie überhaupt fündig werden. In den Agendas und Konzeptionen der im Bereich Kinder- und Jugendbildung tätigen Akteure und Institutionen, so werden sie feststellen müssen, wird das Vorkindergartenalter bislang allgemein wenig berücksichtigt. Auch bei einem Blick auf den Strukturplan des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) werden sie den Eindruck bekommen, dass es sich auf eine längere Wartezeit einzurichten heißt, findet man dort doch bislang als früheste Einstiegsmöglichkeit in das Musikschulangebot die „Grundfächer“ mit „Musikalischer Früherziehung“ für Kinder von vier bis sechs Jahren und „Musikalischer Grundausbildung“ für Kinder von sechs bis acht Jahren verzeichnet.

Dabei gibt es längst etliche öffentliche Musikschulen, die auch für den Eltern-Kind-Bereich und für das der Kindergartenzeit vorgelagerte „Spielgruppenalter“ Kursangebote entwickelt und in ihr Programm aufgenommen haben. Im Vorfeld des gut erschlossenen, aber nach Einschätzung des Verbandes durchaus ausbaufähigen Bereichs der „Musikalischen Früherziehung“ werden derzeit zwar erst rund 26.000 Kin­der (2,4% der Gesamtschülerzahl an VdM-Musikschulen, 11,7% des Vorschulbereichs) erreicht; die Musikschulen nehmen jedoch, wie Rückmeldungen beim VdM belegen, eine wachsende Nachfrage von Seiten interessierter Eltern wahr. Ein Problem besteht nun darin, dass Musik­schulen, die gerne Angebote bereitstellen würden, auf keine zur „Serien­reife“ gelangten und flächendeckend etablierten Konzepte zurückgreifen können. Auch fehlen ihnen zum Teil bislang Qualitätskriterien, geeignete Unterrichtswerke und das Wissen um Methoden und mögliche Kooperationen. Im Rahmen der Initiative „Musikalische Bildung von Anfang an“ hat sich der VdM das Ziel gesetzt, Angebote für die ersten Lebensjahre flächendeckend an seinen Mitgliedsschulen zu etablieren.

Eine der Ursachen für die gestiegene Nachfrage von Bildungsangeboten für das frühe Lebensalter liegt sicherlich in der Bildungsdebatte der letzten Jahre, angestoßen von den Ergebnissen internationaler vergleichender Studien (IGLU, PISA) wie auch zahlreicher neuer Erkenntnisse vor allem im Bereich der Entwicklungspsychologie und der Neurobiologie über Lernvorgänge und die Art und Weise der menschlichen Weltaneignung. Einzelne Entwicklungsphasen bieten demnach jeweils besonders günstige Voraussetzungen für den Erwerb bestimmter Kompetenzen, Defizite lassen sich außerhalb der privilegierten „Zeitfenster“ später nur mühsam kompensieren. Die Diskussion der Forschungsergebnisse in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit hat unter anderem zu einem gestiegenen gesellschaft­lichen Bewusstsein für die Bedeutung nicht nur des Primarstufen- und Kindergartenalters, sondern auch des vom öffentlichen Bildungssystem bislang nicht erfassten frühkindlichen Lebensalters für das Ler­nen sowie für die kulturelle und soziale Prägung, mithin für den gesamten weiteren Verlauf der individuellen Bildungsbiographie beigetragen.

Das zunehmende Interesse vieler Eltern an der gezielten Förderung ihrer Kinder zeigt sich im An­spruch an das Profil von Kindertagesstätten ebenso wie in der Sorgfalt bei der Ausgestaltung eines anregenden Lernumfeldes in den ersten Lebensjahren. Musi­kalische Angebote spielen hierbei nicht nur wegen der vielfach belegten und zugeschriebenen positi­ven Effekte auf die Gesamtentwicklung der Kinder eine wichtige Rolle. Ob es an der Wirkung von Musik selber liegt oder an der Situation, in der Musik gemacht und gelernt wird, mag zu erörtern sein; unstrittig ist jedenfalls, dass bei einem gut gestalteten Umgang mit Musik unmittelbar Lernanlässe für zahlreiche außermusikalische Bereiche entstehen, beispielsweise auf den Gebieten der Motorik, des Spracherwerbs und des Sozialverhaltens. Empfindungs- und Ausdrucksfähigkeit, sinnli­che Wahrnehmung und Selbstbewusstsein erhalten durch solche gemeinsam er­fahrene musikalische Anregungen eine gute Grundlage. Auch die Möglich­keit, parallel zur Entwicklung der Kinder ein natürliches Verhältnis zu Musik von Anfang an mitzulernen und zu entdecken, sowie der Wunsch, sich Liedgut (wieder-) anzueignen und an die eigenen Kinder zu vermitteln, lässt Eltern sich für Musikangebote interessieren. Eltern entdecken rasch, dass musikalische Aktivitäten im Eltern-Kind-Bereich und im Spielgruppen­alter die besondere Chance bieten, mit einer lebendigen Musikkultur das Familienleben zu bereichern, woraus sich, technisch gesprochen, wiederum positive Effekte für die Stabilität und Qualität des So­zialgefüges, für die familiären Beziehungen und Bindungen ergeben. Die Begegnung beim mu­sikalischen Tun in der Gruppe schafft aber auch soziale Verbindungen über die familiären Grenzen hinaus. Und vielleicht liegt auch der einen oder anderen Anmeldung zu einem Eltern-Kind-Kurs die Überzeugung zugrunde, dass Musik für den Menschen als Kulturwesen – also auch für Säuglinge und Kleinkinder – ein „unverzichtbares Medium ästhetischer Weltbegegnung und Selbstvergewisserung“ darstellt.

Für diese vorrangige Auffassung von Musik und musikalischem Handeln jedenfalls wirbt der VdM in seinem neuen Flyer „Musikalische Bildung von Anfang an“, der zu den Bausteinen der gleichnamigen Initiative zählt und neben Aussagen zu Grundpositionen des Verbandes etliche gute Beispiele für Angebote an VdM-Musikschulen enthält, die sich an Kinder von null bis acht Jahren richten. Gelungene Formen der Kooperation mit Kindertagesstätten und Grundschulen sind dort ebenfalls nachzulesen.

Die Verbesserung der Kommunikation an der Schnittstelle zwi­schen Musikpädagogen/-innen und Erzieher/-innen, die Einbindung der „Musikalischen Früherziehung“ in die Ar­beit der Kindergärten und Kindertagesstätten als Ganzes und die weitere Musikalisierung des Kindergartenalltags durch entsprechenden Kompetenzerwerb der Erzieher/-innen sollen im Rahmen der Initiative weiter vorangebracht werden. Deren eigentliche Neuerung besteht jedoch in der Entwicklung und flächendeckenden Bereitstellung eines mu­sikalischen Bildungs­angebots für die Altersgruppe U 3/4 (gemeint ist die das Säuglings-, Kleinkind- und „Spielgruppenalter“ umfassende Spanne von der Geburt bis zum üblichen Zeitpunkt des Eintritts in einen Kindergarten beziehungsweise in eine Kindertagesstätte) und deren Familien. Für dieses Kernziel gibt es beim VdM mit seinen bundesweit an 4.000 Standorten vertretenen rund 950 Mitgliedsschulen und den 16 Landesverbänden neben den erwähnten guten Praxisbeispielen hervorragende infrastrukturelle Voraussetzungen, aber noch keine speziellen Foren zum Austausch, zur Verbreitung und Weiter­entwicklung der vorhandenen Konzepte. Genau diese Foren sollen im Rahmen der VdM-Initiative geschaffen werden, die bereits vorhandenen Konzepte gesammelt, weiterentwickelt und zur Grundlage eines verbandsweiten „Bildungsplans U 3/4“ werden, der Handreichungen und Materialsammlungen bieten sowie Empfehlungen und Qualitätskriterien zur Unterrichtsgestaltung enthalten soll. Sinnvoll wäre auch, in einer Modellfortbildung diese Konzepte an Musikschullehrkräfte zu vermitteln, die für den Elementarbereich qualifiziert und/oder in diesem Bereich bewährt sind, denn im Studienangebot für angehende Mu­sikpädagogen/-innen ist, korrespondierend zur Situation in der praktischen Musikschularbeit, die Möglichkeit zum Kom­petenzerwerb für den Umgang mit Kindern der Altersgruppe U 3/4 und deren El­tern eine der neueren Entwicklungen.

Zur Konzeptentwicklung wird auch die Zielgruppenansprache gehören, denn der VdM hat als Problem erkannt, was sich aus dem Interesse vieler Eltern an musikalischen Bildungsangeboten ergibt: dass nämlich verschiedene sozial benachteiligte gesellschaftliche Gruppen aus unterschiedlichen Gründen („Bildungsferne“, Unsicherheit im Umgang mit dem öffentlichen Bil­dungsangebot, mangelnde Sprachkompetenz, Zeitbudget, Finanzen) in der Einfor­derung und Organisation gezielter Förderung für ihre Kinder nicht aktiv werden. Wenn man eine „Zwei-Klassen-Bildung“ vermeiden möchte, muss auch und gerade den Familien aus dem sozial be­nachteiligten Umfeld von Anfang an die Chance eröffnet werden, einen Zugang zu musikalischer Praxis und damit zu Kommunikations- und Integrationsmitteln zu finden, die ihnen und ihren Kindern ansonsten womöglich lebenslang verschlossen bleiben. Auch für Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund sind Basiskompetenzen im Umgang mit Musik und anderen kulturellen Codes notwendig zur Herstellung von Interaktionsfähigkeit in der Gesellschaft und zur möglichen Teilhabe an deren Gestaltung. Hier bietet der Elementarbereich eine besondere Chance, indem er für Eltern wie Kinder niederschwellig ist und Kontakte begünstigt.

Das Herbstsymposion des VdM im November letzten Jahres (siehe Bericht auf der VdM-Seite in dieser Ausgabe) befasste sich außer mit der „Musikalischen Bildung von Anfang an“ daher auch mit den Schwerpunktthemen „Musikerziehung und der Dialog der Kulturen“ und „Musik im 3. Lebensabschnitt“. Man sieht also, dass der VdM bestrebt ist, den musikalischen Bildungsgedanken nicht allein zum frühen Lebensalter hin auszuweiten oder nur den sozial und kulturell integrativen Gedanken der musikalischen Bildungsarbeit zu stärken. Vielmehr scheint die Vielseitigkeit der Wirkungsweisen und Möglichkeiten von Musik sich zunehmend in einem ebenso vielseitigen wie übergreifenden musikpädagogischen Konzept der Musikschulen widerzuspiegeln.

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