Bundespräsident Horst Köhler wird am 10. Juli im Schloss Bellevue den 2. Berliner Appell entgegennehmen. Präsident des Deutschen Musikrates Martin Maria Krüger und der Generalsekretär Christian Höppner werden dem Bundespräsidenten die Ziele, die sie mit dem Appell verfolgen, darlegen.
Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen im „Kampf der Kulturen“ und in Auswertung der Fachtagung des Deutschen Musikrates zum Thema „Musikland Deutschland – wie viel kulturellen Dialog wollen wir?“, hat der Deutsche Musikrat zwölf Thesen formuliert: „Kulturelle Identität stärken und interkulturellen Dialog ermöglichen“ ist der Grundtenor des 2. Berliner Appells, der als Handlungsempfehlung an die Politik und die Zivilgesellschaft gerichtet ist. Mit dem Appell liegt zum ersten Mal ein Papier vor, das die kulturelle Bildung und den interkulturellen Dialog in eine nicht auflösbare Wechselbeziehung stellt.
Kulturelle Identität und interkultureller Dialog bedingen einander
Deutschland steht, wie seine europäischen Nachbarn, vor großen Herausforderungen in der Gestaltung des Dialoges der Kulturen. Migration und demographische Entwicklung belegen seit längerem die Notwendigkeit, stärker als bisher in die Verbesserung der Rahmenbedingungen kultureller Identitätsbildung und des interkulturellen Dialoges zu investieren. Grundlage dafür sind Bildung und Kultur. Jeder Bürgerin und jedem Bürger unseres Landes muss Chancengleichheit beim Zugang zu einem qualifizierten und vielfältigen Bildungs- und Kulturangebot ermöglicht werden. Der Dialog der Kulturen ist ohne die jeweils eigene selbstbewusste Standortbestimmung nicht möglich. Die Musik ist in ihren vielfältigen Ausdrucksformen als barrierefreies Medium kultureller Identitätsfindung und des interkulturellen Dialoges in besonderer Weise dafür prädestiniert.
Der Deutsche Musikrat sieht sich in der gesellschaftlichen Mitverantwortung, das Bewusstsein für die Stärkung kultureller Identitätsfindung und Öffnung interkultureller Dialoge zu befördern. In Auswertung der Fachtagung des Deutschen Musikrates vom November 2005 zum Thema „Musikland Deutschland – wie viel kulturellen Dialog wollen wir?“, vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen im „Kampf der Kulturen“ und in Sorge um die gesamtgesellschaftliche Entwicklung appelliert der Deutsche Musikrat an die Politik und die Zivilgesellschaft, sich für Toleranz und Verständigung einzusetzen und dies durch die Unterstützung der folgenden Positionen im Bereich der Musik zu konkretisieren:
Die zwölf Thesen
1. Kulturelle Identitäten stärken – interkulturellen Dialog ermöglichen
Die Wahrnehmung unterschiedlicher Identitäten kann nur über eine Position des sich „selbst bewusst sein“ gelingen – denn wer das Eigene nicht kennt, kann das Andere nicht erkennen, geschweige denn schätzen lernen. Die Neugier und Offenheit jedes neugeborenen Kindes sind Chance und Verantwortung zugleich, dieses Selbstbewusstsein im Sinne einer breit angelegten und qualifizierten musikalischen Bildung anzulegen und damit die Voraussetzungen für den Dialog mit anderen Kulturen zu schaffen.
2. Barrierefreier Zugang zur musikalischen Bildung
Jedes Kind muss, unabhängig von seiner sozialen und ethnischen Herkunft, die Chance auf ein qualifiziertes und breit angelegtes Angebot musikalischer Bildung erhalten, das die Musik anderer Ethnien einschließt.
3. Musikalische Ausbildung und interkulturelle Kompetenz für Erzieherinnen und Erzieher
Die musikalische Früherziehung in Krippe, Kindergarten und Hort muss Bestandteil einer umfassenden Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher sein. Dies schließt auch die Qualifizierung im Umgang mit nichteuropäischer Musik ein.
4. Zukunft Schule: als Ort kultureller Identitätsbildung und interkultureller Begegnung
Musikalische Bildung muss in der Schule wieder selbstverständlicher Teil der Bildung werden. Dazu bedarf es eines qualifizierten, breit angelegten und durchgängigen Musikunterrichtes in allen Schularten und allen Jahrgangsstufen, der die Migrantenkulturen mit einbezieht.
5. Das Laienmusizieren muss als Fundament kultureller Identitätsbildung und Plattform interkultureller Dialoge gestärkt und ausgebaut werden
Das Laienmusizieren muss in viel stärkerem Maße als bisher ermöglicht und befördert werden, weil es für alle Bevölkerungsschichten ein wesentlicher Ort kultureller Identitätsbildung sein kann und ein bedeutender Faktor des kulturellen Lebens ist. Die Grundlage dafür ist das Bewusstsein für den Wert der Kreativität und die Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements. Das Laienmusizieren ist in seiner breiten Verwurzelung in allen Bevölkerungsschichten und Altersstufen der erste Ort für interkulturelle Begegnungen.
6. Die Verbände und Organisationen der Zivilgesellschaft müssen ihrer Verantwortung für den interkulturellen Dialog stärker gerecht werden
Die Keimzelle jeden interkulturellen Dialoges ist die Kommunikation zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft. Dazu bedarf es der Bereitschaft und der Möglichkeit zur Begegnung. Die Verbände und Organisationen der Zivilgesellschaft sind in viel stärkerem Maße als bisher gefordert, sich durch ihre Arbeit und ihre Maßnahmen ihrer Multiplikatorenrolle für den interkulturellen Dialog bewusst zu werden.
Der Deutsche Musikrat wird eine Task Force einsetzen, die seine musikpolitische Arbeit und seine Projekte im Hinblick auf einen interkulturellen Kompetenzzuwachs evaluieren wird.
7. Die Kulturträger sowie die Einrichtungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung sind zum Ausbau ihrer interkulturellen Handlungsfelder aufgerufen
Schulen, Musikschulen, Musikvereine, Hochschulen, Musikakademien, Volkshochschulen, Orchester, Musiktheater und viele andere Einrichtungen aus diesen Bereichen sollten ihre Angebote auf den Ausbau möglicher Handlungsfelder zur Beförderung des interkulturellen Dialoges überprüfen. Dabei geht es um langfristig wirkende Maßnahmen und nicht um die mediale Befriedigung eventartiger Kurzschlüsse, die im Sinne einer Nachhaltigkeit eher kontraproduktiv wirken, aber leider in den Förderpraxen von der öffentlichen Hand und privaten Geldgebern gerne gesehen sind.
8. Die Medien müssen ihrer Multiplikatorenrolle für Bildung, Kultur und interkulturellen Dialog viel intensiver gerecht werden
9. Sprachkompetenz: Voraussetzung für Dialog
Der Kompetenzerwerb zur Beherrschung der deutschen Sprache in allen Ausbildungsstufen ist auch und gerade in der Musik Voraussetzung für Verstehen und Verständigung.
10. Die Auswärtige Kulturpolitik ist zentraler Mittler für den interkulturellen Dialog
Die Auswärtige Kulturpolitik muss wieder im Sinne einer dritten Säule der Außenpolitik gestärkt werden und den interkulturellen Dialog vor allem über Begegnungsprogramme auf der Laienmusikebene befördern.
Die jungen Musikerinnen und Musiker sind gerade bei nachhaltig angelegten Begegnungsprogrammen ausgezeichnete Multiplikatoren für Toleranz, Weltoffenheit und Verständigung.
11. UNESCO-Konvention zur Kulturellen Vielfalt schnell ratifizieren
Kanada hat als erstes Land die UNESCO-Konvention vom 20.10.2005 ratifiziert. Es wäre ein gutes Zeichen nach außen und innen, wenn Deutschland diese Konvention rasch ratifizieren würde. Die UNESCO-Konvention setzt Standards zum Schutz kultureller Vielfalt und schafft damit auf dem Weg zu einem völkerrechtlichen Instrumentarium Verbindlichkeiten für Bildung, Kultur und die Auswärtige Kulturpolitik. Zudem kann sie Schutz vor den fortschreitenden Liberalisierungstendenzen der Märkte liefern.
12. Die Politik muss in die Entstehungsorte kultureller Identität und interkultureller Dialoge investieren
Alle politischen Entscheidungsträger müssen ihre Prioritätensetzung in der Bildungs-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zu Gunsten der Schaffung bzw. Beförderung von Orten der Identitätsbildung und der interkulturellen Begegnung neu ausrichten. Den absehbaren Folgen einer fortgesetzten Abkapselung von Teilkulturen kann nur durch das Verständnis von Investitionen in beiden Bereichen begegnet werden.
Eine Auswahl der Erstunterzeichner des 2. Berliner Appells:
Dr. Walter Scheel (Bundespräsident a.D.), Dr. Richard von Weizsäcker (Bundespräsident a.D.) Frank Bsirske (Bundesvorsitzender der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaften), Prof. Wolfgang Gönnenwein (Staatsminister a.D.), Katrin Göring-Eckardt, MdB (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages; Kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen), Monika Griefahn, MdB (Kultur- und Medienpolitische Sprecherin der SPD), Dr. Lukrezia Jochimsen, MdB (Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion), Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin (Staatsminister für Kultur und Medien a.D.), Hans-Joachim Otto, MdB (Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien), Cem Özdemir (Mitglied des europäischen Parlaments für die Partei Die Grünen), Isabel Pfeiffer-Pönsgen (Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder), Dr. Henning Scherf (Bürgermeister des Senats der Freien und Hansestadt Bremen a.D.; Präsident des Deutschen Chorverbandes), Renate Schmidt, MdB (Bundesministerin a.D.), Michael Sommer (Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes), Dr. h.c. Wolfgang Thierse, MdB (Vizepräsident des Deutschen Bundestages), Christoph Waitz, MdB (Kultur- und Medienpolitischer Sprecher der FDP), Klaus Wowereit (Der Regierende Bürgermeister von Berlin), Christian Wulff (Niedersächsischer Ministerpräsident), Prof. Dr. Richard Jakoby (Ehrenpräsident des Deutschen Musikrates), Martin Maria Krüger (Präsident des Deutschen Musikrates, für das Präsidium und Mitglieder des Deutschen Musikrates) Prof. Gerd Albrecht (Dirigent und Initiator des Klingenden Museums), Alfred Brendel (Pianist und Schriftsteller), Prof. Dr. Patrick Dinslage (Vorsitzender der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen in der BRD), Prof. Dr. h.c. Brigitte Fassbaender (Intendantin des Tiroler Landestheaters Innsbruck), Prof. Dr. Dietrich Fischer-Dieskau (Sänger), Prof. Dr. Jürgen Flimm (Intendant der Ruhr Triennale), Dr. Michel Friedman (Rechtsanwalt; Moderator), Prof. Dr. Max Fuchs (Vorsitzender des Deutschen Kulturrates und Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V.), Barbara Hendricks (Sängerin), Walter Hirche (Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission), Prof. Siegfried Jerusalem (Sänger und Rektor der Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg), Prof. Dr. Mauricio Kagel (Komponist und Dozent), Gidon Kremer (Geiger und Dirigent), Prof. Sabine Meyer (Klarinettistin und Hochschulprofessorin), Prof. Dr. Franz Müller-Heuser (Sänger), Prof. Thomas Quasthoff (Sänger und Hochschulprofessor), Prof. Dr. Peter Raue (Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie), Peter Ruzicka (Komponist, Dirigent und Intendant der Salzburger Festspiele), Prof. Dr. Joachim Sartorius (Intendant der Berliner Festspiele), Michael Schindhelm (Generaldirektor der Stiftung Oper in Berlin), Prof. Klaus Staeck (Präsident der Akademie der Künste), Rolf Zuckowski (Musiker und Komponist)
Präsidenten und Rektoren von zahlreichen Hochschulen und Universitäten in Deutschland Hans-Jürgen Brackmann (Generalsekretär der Stiftung der Deutschen Wirtschaft), Peter Dussmann (Vorsitzender des Aufsichtsrates der Dussmann AG & Co. KGaA), Dr. Wilhelm Krull (Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung), Dr. Otto Graf Lambsdorff (Bundesminister a.D.; Vorsitzender der Friedrich-Neumann-Stiftung Potsdam), Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann (Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz), Liz Mohn (Stellvertretende Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung), Eske Nannen (Geschäftsführerin Stiftung Henri und Eske Nannen), Dr. Monika Wulf-Mathies (Ehemalige EU-Kommissarin; Vorsitzende des Kuratoriums der Beethoven-Stiftung für Kunst und Kultur der Bundesstadt Bonn), Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair (Staatsminister a.D., Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung München)
Herbert Fandel (FIFA-Schiedsrichter und Leiter der Kreismusikschule Bitburg-Prüm), Peter Fischer (Präsident von Eintracht Frankfurt), Götz-Werner von Fromberg (Vorstandsvorsitzender Hannover 96 e.V.), Klaus Fuchs – Geschäftsführer des VFL Wolfsburg), Hans-Hermann Schwick (Präsident des DSC Arminia) Bielefeld)