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Alles Pest: Stürme, Vulkanausbrüche, einstürzende Türme

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Uraufführung eines neuen Musiktheaters von Gerhard Stäbler in Duisburg: „Madame La Peste“ nach Jasienski und Poe
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Gerhard Stäbler gehört zu den Komponisten, die unsere gesellschaftliche und politische Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren. Er hat zwei Opern geschrieben: Für die Münchner Biennale für Neues Musiktheater „Sünde.Fall.Beil”, nach Alexandre Dumas d.Ä., und für das Wiesbadener Staatstheater „CassandraComplex”, nach Christa Wolf. Jetzt hatte Stäblers drittes Musiktheater Premiere: die im Auftrag der Deutschen Oper am Rhein komponierte „Madame La Peste”. Nach Duisburg ist die Aufführung auch in Düsseldorf zu sehen (letzte Vorstellung am 14. Juni 2002). In der nächsten Saison siedelt sie an das Staatstheater Saarbrücken über.

Gerhard Stäbler gehört zu den Komponisten, die unsere gesellschaftliche und politische Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren. Er hat zwei Opern geschrieben: Für die Münchner Biennale für Neues Musiktheater „Sünde.Fall.Beil”, nach Alexandre Dumas d.Ä., und für das Wiesbadener Staatstheater „CassandraComplex”, nach Christa Wolf. Jetzt hatte Stäblers drittes Musiktheater Premiere: die im Auftrag der Deutschen Oper am Rhein komponierte „Madame La Peste”. Nach Duisburg ist die Aufführung auch in Düsseldorf zu sehen (letzte Vorstellung am 14. Juni 2002). In der nächsten Saison siedelt sie an das Staatstheater Saarbrücken über. Nicht nur Hamlets, auch unsere Welt scheint aus den Fugen. Das Kino à la Hollywood schwappt über in die Realität: Flugzeuge stürzen ab, Eisenbahnzüge kollidieren, Schiffsfähren sinken, Wolkenkratzer brechen unter Terroranschlägen zusammen, Epidemien brechen immer häufiger aus, Aids wütet vor allem in Afrika, sinnlose Kriege zerstören Länder und Landschaften, viele Menschen hungern, werden krank, sterben vor Entbehrung, und in Nord-Indien bricht die Pest aus.

Das Kino macht sich über alles nicht viele Gedanken: Es war alles schon auf der Leinwand zu besichtigen – als Fiktion, die sich oft nur allzu schnell als Realität einstellte. Wie aber lassen sich die Katastrophen abbilden, ohne dass die kassenträchtige Spekulation zum dominierenden Anlass gerät?

Diese Überlegungen bewegten Komponist und Künstler, als sie vor der Aufgabe standen, mit einer „Oper“ den Zustand unserer Welt zu spiegeln. Gerhard Stäblers „Madame La Peste“ basiert zwar auf Texten, die in der Vergangenheit entstanden sind, aber schon damals, als sie erschienen, wuchs das Gespür für die Gefahren und den Zerfall einer müde und kraftlos gewordenen Gesellschaft. Sowohl der futuristische Roman „Pest über Paris“, den der polnische Autor Bruno Jasienski 1928 veröffentlichte, als auch Edgar Allan Poes bekannte Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“ aus dem Jahre 1839 sind dunkle finale Beschwörungen menschlicher Existenz: Das Ende der Menschheit rückt näher, doch die Menschen, sei es die Menge, wie in der „Pest über Paris“, oder die individuelle Zerstörung von Leben in der Usher-Parabel, verhindern die Katastrophe. Vor dem Tod wird der Mensch erst noch mit Blindheit geschlagen.

Jasienskis Roman und Poes Erzählung, die Debussy für sein Opernfragment benutzte, bieten zwei Perspektiven des Verfalls. In Jasienski Buch gelangen gestohlene Pesterreger in das Trinkwasser der Stadt Paris, die daraufhin von der Außenwelt abgeriegelt wird. In die fast surreale Schreckensvision geistert aus der Wirklichkeit die Weltwirtschaftskrise hinein mit ihren katastrophalen Folgen für die gesellschaftliche und politische Entwicklung nicht nur in Frankreich, auch und vor allem in Deutschland: Die „Pest“ Wirtschaftskrise evozierte die „Pest“ des Nationalsozialismus und des Faschismus mit allen bekannten Folgen, die noch bis heute psychisch nach-und weiterwirken, wie man an der augenblicklichen Antisemitismus-Diskussion erkennen kann.

Stellt Jasienski mehr die äußere Perspektive dar, so zielt Poes Erzählung mit ihren traumatischen Erlebnissen auf die innere, auf die Verwirrungen und Bedrängungen der kranken Psyche, die schließlich zum Untergang führen. Es ist das Abbild des seelischen Zustandes einer bürgerlichen Endzeit-Gesellschaft, die spätesten im Ersten Weltkrieg ausgelöscht wird. Aber auch hier wirken die Erschütterungen nach, und in den politischen Verwerfungen der folgenden Zeit begegnen sich die Perspektiven: Sie sind untrennbar miteinander verwoben.

Stäbler und sein Librettist Matthias Kaiser erkannten diese Koinzidenzen sehr präzis, als sie vor der Aufgabe standen, für ihr Thema die textliche Grundlage zu erstellen. Jasienskis Roman findet sich in den „Pest“-Szenen verarbeitet, Motive aus dem „Untergang des Hauses Usher“ finden sich im dritten von insgesamt vier Bildern. Das „Usher“-Thema wird allerdings auch schon zu Beginn angeschlagen, wenn zischende Ratten als symbolischer Verweis unter dem Haus Usher auftauchen. Kaisers Textgestalt wirkt manchmal in der Fülle für ein Musiktheaterwerk vielleicht etwas zu wort-und bilderreich.

Doch die Unverständlichkeit, die einige Besucher, auch Kritiker, nach der Premiere konstatieren wollten, läßt sich dem Libretto nicht unterstellen. Die mit Zeichen, Motiven und symbolischen Chiffren (die Ratten, die kläffenden Hunde) durchsetzten Handlungselemente offenbaren doch sehr plastisch und einsichtig die oben skizzierten Absichten der Autoren. Daß sich Kaiser und Stäbler für die Madame La Peste, die auch als Lady Madeline im „Usher“-Bild auftritt, für die Besetzung mit einer stumm agierenden Tänzerin und Pantomimin entschieden, erweist sich als sinnstiftender dramaturgsicher Einfall: Die Sprachlosigkeit der Figur verweist auf die gestörten Kommunikationen zwischen den Personen.

Als Pest-Figur gewinnt diese zugleich durch die Lautlosigkeit eine gesteigerte Bedrohlichkeit: das Unheil kommt unhörbar näher. Der Tänzerin Hannele Järvinen (Bild Mitte) spielt, tänzelt, windet sich mit wunderbarer körperlicher Präsenz und Agilität durch die Szenen.

Stäblers Partitur, ambitioniert konzipiert und mittels Zahlenreihen „errechnet“, gewinnt mit einem 13-tönigen „Pest-Akkord“ unmittelbar einen gleichsam magischen Klangraum. Akkordische Bläsersequenzen und prägnante Schlagzeugeinsätze geben der Musik besondere Plastizität. Für die Chiffren der Ratten (die Pesterreger) und der bellenden Hunde (Herrschaftssymbol) erfindet Stäbler markante rhythmische Formeln. Für zusätzliche Klangfarben sorgen Harfe und eine Windmaschine. Weiteres Klangmaterial kommt über das Zuspielband. Die Vokalpartien und die Choreinsätze zeigen eine klare und anspruchsvolle Sanglichkeit ohne konventionelle Züge. „Zitate“ von Debussy (vor allem im „Usher“-Bild) werden beziehungsvoll als Musik über Musik in das Klangbild eingeführt. Das finale „Tribunal“ gewinnt den Gestus Großer Oper, wirkt dabei leicht übertourt (unser Bild oben). Vielleicht könnte eine Inszenierung dort korrigierend eingreifen.

Regisseur Elmar Fulda und Bühnenbildner Florian Parbs befolgen nicht die oft sehr detaillierten Szenenbeschreibungen des Librettos. Doch wirkt ihr technizistischer Einheitsraum durchaus sinnfällig für das Geschehen und auch suggestiv.

Das Duisburger Orchester unter Günther Albers spielte in der vierten Vorstellung mit fabelhafter Genauigkeit und ausgefeilter Klanglichkeit, spannungsvoll und engagiert. Das Stäblers Werk in dieser Inshzenierung auch noch in Düsseldorf und später in Saarbrücken gezeigt wird, ist künstlerisch und ökonomisch zu begrüßen.

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