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Abenteuer und Experiment

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Das Jüdische Theaterschiff MS Goldberg
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Der Autor gehört zum Gründungskreis des seit Ende Mai 2022 existierenden Kulturprojekts und ist einer der Hauptakteure. Der Theater- und Musikkahn wird hier also nicht aus der Sicht eines Unbeteiligten porträtiert. Bisherige Liegeorte waren Berlin-Spandau sowie Großer Wannsee. Demnächst soll die Goldberg auch auf Wasserstraßen in Brandenburg und darüber hinaus unterwegs sein.

Man lernt das Matrosenleben nicht durch Übungen in einer Pfütze“, schrieb Franz Kafka 1916 in sein Tagebuch. Ähnlich ist es, wenn man mit einem ehrenamtlichen, kleinen Team anfängt, einen schwimmenden Kulturort zu betreiben. Rückblick Mai: Jahre der Konzeption und Vorbereitung waren da bereits ins Land gegangen, die Pandemie hatte das Kulturleben in tiefe Depression gestürzt und an Krisen war die Welt nicht ärmer geworden – doch nun war auf einmal das „Jüdische Theaterschiff MS Goldberg“ in der Welt und für uns Beteiligte ging alles furchtbar schnell.

Inzwischen gibt es uns schon seit über drei Monaten und wir haben über 50 Veranstaltungen aller Sparten durchgeführt. Bei allem Gegenwind und allen Schwierigkeiten (auch stille Wasser sind nass, wie der Binnenschiffer sagt) war unsere kleine kulturelle Rundreise ein inspirierendes und beglückendes Erfolgserlebnis. Aber es war extrem fordernd für uns als Team. Fordernder, als wir uns das je zuvor ausgemalt hatten.

Doch von vorn: Im Anfang war eine Gruppe zusammengewürfelter jüdischer wie nichtjüdischer Künstler (sowie den Künsten Verbundener). Man schrieb das Jahr 2017 und wir fanden uns im Haus des bekannten und altgedienten Kulturmanagers Peter Sauerbaum ein. Hier entstand die Idee, einen jüdisch geprägten Kulturort zu gründen. Damit fing schon das erste Problem an, was ist unter „jüdischer Kultur“ überhaupt zu verstehen? Ganz einig wurden wir uns nicht, wir verständigten uns aber darauf, dass wir es herausfinden wollen. Es ist dann der Hartnäckigkeit einiger Team-Mitglieder, ganz besonders aber der des „primus inter pares“ Peter Sauerbaum zu verdanken, dass der Plan sich im Lauf der Monate und Jahre konkretisieren ließ. Die Idee des Schiffs war eigentlich aus der Not geboren, wir wollten aufs Wasser, weil es schlicht attraktive und bezahlbare Spielorte an Land nicht mehr gibt. Wir fanden Gefallen an der Idee und konnten andere dafür begeistern. Doch die Pandemie kam und die Ereignisse überschlugen sich. Noa Lerner-Sauerbaum, eine unserer wichtigsten Mitstreiterinnen, verstarb tragisch an kurzer, schwerer Krankheit.

Langsame Mühlen

Quälend langsam mahlten die Mühlen weiter, langwierig die Förderanträge, zäh die zahllosen zu führenden Gespräche. Zufälle haben uns zu unserem Schiff geführt, der MS Goldberg. Der charmante Koloss, ein knapp 70 Meter langer Lastenkahn, war zu diesem Zeitpunkt noch wenig theatralisch, handelte es sich doch um eine offene Stahlwanne zum Transport von bis zu 1000 Tonnen Kies, die 1964 in der DDR-Werft Boizenburg gebaut worden war. Vorn und hinten Binnenschiffer-Wohnungen, ein gut gewarteter Langsamlauf-Motor sorgt für kräftigen Antrieb. Namensgeber des Kahns ist ein kleiner Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Pläne für den Umbau zur schwimmenden Bühne erstellte für uns Klaus Wichmann, vormalig technischer Leiter der Berliner Staatsoper. Wir gründeten uns als Verein „Discover Jewish Europe e.V.“ und kauften das Schiff. Den Umbau zum schwimmenden Theater finanzierte die Berliner Lotto-Stiftung.

Anderthalb Jahre später war es so weit, das Schiff war – auch dank einer großzügigen Stahl-Spende der Firma ArcelorMittal aus Eisenhüttenstadt – mit Dach und den nötigen Einbauten versehen. Die Spandauer Havel sollte unser erster Liegeplatz und Heimathafen werden. Kurz vor dem Spielstart erwachte die Spandauer Bezirksverwaltung plötzlich aus ihrem Dornröschenschlaf und vermasselte beinahe unseren Kickoff durch verweigerte Genehmigungen. Dabei waren von uns Anträge, Informationen und alles nötige Monate vorher übermittelt worden. Rein prophylaktisch (da lagen wir noch nicht einmal in Spandau) tauchten Lärm-Beschwerden auf. „Versehentlich weitergeleitete“ interne Behörden-Mails sprachen in fragwürdiger Tonlage davon, dass man uns wegen der zu erwartenden Ruhestörungen dann saftige Strafen aufbrummen werde. Große Sorgen machte man sich auch wegen des etwa in zwölf Metern Abstand zum Ufer befindlichen Radwegs und der zu erwartenden Beschädigung der Grünanlage (bestehend aus ein paar Bäumen und etwas kümmerlicher Grasfläche). Selbst unser erfahrener und unerschütterlicher Leiter, der all diese Dinge mit bewundernswerter, stoischer Geduld meisterte, war am Rande der Verzweiflung. Schließlich kam die Anlege- und Betriebsgenehmigung doch noch, wenn auch verspätet (anfangs mussten wir mit einer nur kurz gültigen Sondergenehmigung arbeiten). Mir sagte im Gespräch einige Wochen später ein Lokalpolitiker, dass man politisch zwar mehrheitlich der Meinung gewesen war, ein Jüdisches Theaterschiff sei grundsätzlich eine Bereicherung für Spandau. Allerdings müsse „gleiches Recht für alle gelten“ und das Thema sei „sensibel“. Sensibel, what? Verstanden habe ich es so: Vor lauter Sorge, den Eindruck zu erwecken, eine Jüdische Schiffs-Theater-Initiative werde vor anderen Initiativen (nur welchen?) mit einer schnellen Genehmigung bevorzugt (und damit wiederum könnte Neid, Antisemitismus oder was auch immer geschürt werden), sollte sie sicherheitshalber erstmal keine Genehmigung kriegen. Willkommen im Hier und Heute. Doch schließlich war der Wisch ja doch da, Schwamm drüber, Massel Tov.

Idee kulturelle Begegnung

Apropos Jüdisch: Der Aspekt ist keinesfalls so zu verstehen, dass die Welt von uns nun penetrant mit moralischen Appellen, Klezmer und klagenden „Oi wa woi“-Ausrufen beglückt werden soll. Natürlich sind auch nicht alle unserer Künstler jüdisch (etliche aber schon). Wir denken – trotz unterschiedlicher Schwerpunkte im Team –, dass es substanzielle Kulturinhalte mit jüdischem Bezug gibt und dass diese Inhalte auch viel mit Deutschland und seiner Kultur zu tun haben. Selbstverständlich geht es dabei auch darum, gegen Vorurteile und Antisemitismus anzugehen. Kulturelle Begegnungen sind möglich und meist eine gute Idee. Wir veranstalten Theater, Konzerte, Performances, Lesungen, Mischformen aus all dem, Gratwanderungen, Diskussionen, Kino. Die Jüdische Ausrichtung ist auf jeden Fall nicht engstirnig oder kleinlich zu verstehen.

Natürlich wollen wir inhaltsreiche, aktuelle Kulturbeiträge bringen, schon um unserem Anspruch gerecht zu werden. Doch das Publikum funktioniert oft nach dem Motto: „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“, in Post-Corona-Zeiten verstärkt. Das hat Potential zum Dilemma: Wir wollen und müssen jüdische Kultur spartenübergreifend, zeitgemäß, multiperspektivisch zeigen, auch weil wir ja kulturelle Bildungsarbeit gegen einschlägige Klischees anstreben. Aber viele Leute wollen eben gerade das Klischee sehen! Mit „jüdisch“ wird vielfach assoziiert: Osteuropäische Folklore, also Klezmer, jauchzende Klarinetten und tanzende Bartträger mit Hüten. Allerdings findet so etwas in Deutschland bereits an jeder zweiten Ecke statt und hat mit Judentum ungefähr so viel zu tun wie die „Wildecker Herzbuben“ mit deutscher Kultur. Aber dennoch – na klar! – bringen wir auch Klezmer, aber dann eben aus einer authentischen Kulturtradition oder mit echter Virtuosität und Tempo. Und wenn man das Publikum erstmal angelockt hat, lässt es sich auch von all den anderen Inhalten gern begeistern.

Viele Kulturschaffende dürften das Problem kennen: Man will Außergewöhnliches, inhaltlich Interessantes, künstlerisch Wertvolles machen, aber die Leute wollen eigentlich lieber Bekanntes und Klischeehaftes sehen –weil sie sich damit sicherer fühlen. Wenn man als Kulturträger überleben will, ganz besonders in Zeit von Krisen, Inflation und Corona-Ängsten, kommt man also nicht daran vorbei, dass man viele „gängige“ Sachen veranstalten muss. Ganz neu ist das alles nicht und daraus folgt, wenn man nicht mit üppigen Subventionen ausgestattet ist: Die gute Mischung machts. Und das beherzigen wir ausdrücklich auch bei unserem Profil.

Trotzdem hatten wir mit Auslas­tungs-Problemen zu kämpfen, besonders in der ersten Zeit. Damit liegen wir auf der Linie vieler Kulturorte nach Pandemie und in Zeiten der Inflation und monetärer Unsicherheit. Leider mussten wir den zunächst auf tägliche Events angelegten Spielplan ausdünnen und Veranstaltungen streichen. Doch der Seemann sagt: Sturm ist erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben. Die Besucherzahlen verbesserten sich langsam – aber „voll“ bis „ausverkauft“ blieb bei unseren etwa 150 bis 170 Plätzen bislang die Ausnahme.

Aber wer so ein Projekt durchzieht, ist zum Zweckoptimismus verurteilt, drohender Corona-Herbst hin oder her. Schließlich bieten wir hochwertiges Programm: Unser Eröffnungsstück war eine Auftrags-Inszenierung von Armin Petras, wir hatten mit dem „Neuen Berliner Musikverein“ klassische Konzerte (Künstler wie Guy Braunstein, Roman Trekel und andere), ich selbst durfte den experimentellen, recht verrückten Performance-Abend «Ruach» und weitere Events konzipieren und spielen. Gesprächsrunden wurden moderiert vom arabisch-israelischen Psychologen Ahmad Mansour, wir hatten interkulturelle Bands an Bord wie etwa das Israelisch-Syrisch-Deutsche „Kayan Project“ oder das Iranisch-Indisch-Israelische „Ansan Ensemble“. Für Humor sorgte der Comedy-Rabbiner Walter Rothschild, Swing gab es mit den „Swingin’ Hermlins“. Das Jüdische Filmfest Berlin-Brandenburg war zu Gast (und wird es Anfang September wieder sein). Nach der Zeit in Spandau haben wir den August auf dem Großen Wannsee verbracht und im September ist nach einer kurzen Stippvisite in Berlin-Mitte (Schiffbauerdamm) ein Aufenthalt in Potsdam geplant (am Yachthafen). Für nächstes Jahr ist schon ein Ausflug über die Elbe nach Dessau in Aussicht, um dort ein Teil des Kurt-Weill-Fests zu werden.

Die Freiheit der Gestaltungsmöglichkeiten beflügelt und inspiriert, aber es geht bislang (wie erwähnt) nur um den Preis bedingungsloser Selbstausbeutung aller Projekt-Beteiligten. Leider haben sich alle schon am Anfang vom ersten Corona-Jahr geäußerten Befürchtungen bestätigt, dass der Kulturbereich insgesamt durch die Situation tiefgreifend geschädigt wird – überall herrscht massiver Publikumsschwund. Man kann hoffen, dass es sich ab 2023 bessert, sollte aber nicht zu sehr darauf wetten, dass das sehr schnell geht. Kein Weg aus der Misere ist es aus meiner Praktiker-Sicht, die Eintrittspreise niedriger zu machen oder nun im Übermaß Gratis-Zugang zur Kultur zu ermöglichen – das ist ein Irrweg einiger Kulturpolitiker! Zu sehr hat man das Publikum gerade auch während der Pandemie an gratis verfügbare (Online-)Kultur gewöhnt. Der psychologische Zusammenhang ist eher der „nur was etwas kostet, ist gut“ beziehungsweise „was wenig kostet, ist nichts wert“. Wenn die Leute ausgehen, sparen sie in der Regel auch nicht an Getränken, wieso also wollen immer alle an Kultur sparen?

Ich bin seit 25 Jahren freiberuflich tätig und empfinde das Engagement für Kultur und ihren Wert als wichtig für unsere Gesellschaft, auch für ihren Zusammenhalt. Daher bringe ich mich so stark in diesem Projekt ein - mehr, als ich es mir eigentlich rein monetär leisten könnte. In einer Welt, in der alles übermäßig kommerzialisiert ist, brauchen wir Möglichkeiten der Begegnung, wir brauchen Freiräume und Kunst ohne institutionelle Durchformatierung. Ich kann nur alle, die mit eigenen Projekten und neuen Kulturformaten liebäugeln, ermuntern, das auch umzusetzen. Wir brauchen auf breiter Spur einen kulturellen Neuanfang nach Corona. Kultur muss gelebt und verwirklicht werden - und das ist ein Wert an sich.  
 

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