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Alle Verbände sollten an einem Strang ziehen

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Heike Michaelis und Wendelin Bitzan zu Fragen der Existenzsicherung für Musiker*innen
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Die „Verbesserung der wirtschaftlichen Lage“ sei, so der Deutsche Kulturrat in einer jüngst veröffentlichten Stellungnahme, der „entscheidende Schlüssel zur Verbesserung der sozialen Lage der Soloselbstständigen im Kultur- und Medienbereich“. Hierfür setzt sich der Deutsche Kulturrat mit Nachdruck ein. Er fordert Bund und Kommunen auf, sich den kürzlich von der Kulturminis­terkonferenz verabschiedeten Basishonoraren anzuschließen oder einen eigenen Vorschlag vorzulegen: „Gerade die Kommunen, die einen erheblichen Teil der öffentlichen Kulturförderung tragen, können durch angemessene Honorare einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Soloselbstständigen in Kunst und Kultur leisten.“ Für Musikerinnen und Musiker geht es ganz konkret um die Sicherung ihrer Existenz – ein Thema, das an Dringlichkeit nicht verloren hat. Die nmz sprach darüber mit Heike Michaelis, Sprecherin der Landesverbände im DTKV, und Wendelin Bitzan, stellvertretender Vorsitzender des DTKV Berlin. Das Interview führte Stephanie Schiller.

Stephanie Schiller: Honorarstandards innerhalb von öffentlich geförderten Institutionen und Projekten sind das eine. Aber wie steht es eurer Einschätzung nach um die Realisierungs-Chancen bundesweit verbindlicher Honorarstandards für Musiker*innen in Konzert und Unterricht – also auf dem freien Markt? Wie schätzt ihr die Lage ein, was müsste und kann getan werden, um hier mehr Grundsicherheit für Musikerinnen und Musiker herzustellen? Was könnte und sollte der DTKV als Verband tun? Und was die Mitglieder selbst?

Wendelin Bitzan: Im Gegensatz zu Regelungen, die öffentliche Stellen treffen können, ist es sehr viel schwieriger, für den freien Markt Honorarstandards durchzusetzen. Wir haben als Verband ja keine Position, aus der heraus wir etwas verordnen könnten. Wir haben zwar viele Mitglieder, fast 10.000 in Deutschland – das sind immerhin fast so viele wie unisono hat – trotzdem handelt es sich dabei wahrscheinlich nicht um einen Organisationsgrad, der es ermöglichen würde, eine Entgelt- oder Honorarordnung zu verabschieden, wie das zum Beispiel eine Kammer könnte. Eine Kammer für die Musik und andere kulturelle Sparten – vergleichbar mit der für Rechtsanwälte oder Ärzte – gibt es aber nicht.

Schiller: Wäre es denn möglich, eine Musik-Kammer zu gründen?

Bitzan: Dafür braucht es eine politische Initiative. Die Gründung einer Kammer wäre ein jahrelanger Prozess... Kammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, also nicht mit einer Vereinsstruktur vergleichbar. Solange ein politisches Interesse für eine Kammer nicht besteht, kann man eigentlich nur Empfehlungen aussprechen und versuchen, diese so breit wie möglich zu kommunizieren – politisch wie auch in anderen öffentlichen Kanälen. Aber hier bin ich unsicher, ob eine Struktur, wie sie der DTKV zurzeit hat, so etwas leisten könnte, und ob der Verband dies mit der nötigen Konsequenz verfolgen würde. Selbst wenn das Bundespräsidium eine Honorarordnung verabschieden würde, bliebe das ja eine freiwillige Angelegenheit. Verstöße wären nicht sanktionierbar. Das ist das Problem aus meiner Sicht.

Schiller: Aber so eine Kammerstruktur hätte ja auch etwas sehr Restriktives an sich...

Bitzan: Es wäre ein ganz anderer Ansatz. Kammern haben in der Regel eine Pflichtmitgliedschaft. Im Moment können Leute, die nicht verbandlich organisiert sind, nur auf eigene Faust versuchen, ihre Honorarvorstellungen zu realisieren, und müssen das, was sie verdienen müssten, um einen bestimmten Lebensstandard zu erreichen, selbst ausrechnen.

Schiller: Hat das nicht auch etwas mit dem gesellschaftlichen Bewusstsein für Normen und Notwendigkeiten zu tun? Den Anwalt brauche ich, um Rechte durchzusetzen, einen Arzt brauche ich, um im besten Fall erst einmal noch nicht zu sterben. Und die Musik?

Bitzan: Ja, im Grunde ist das eine politische Frage, über die wir unter uns nicht streiten müssen. Die Voraussetzung für eine Initiative zur Gründung einer Kammer wäre eine Einstellung, bei der die Szene selbst Forderungen zu stellen bereit ist, auf das Risiko hin, dass Aufträge nicht zustande kommen. Ich sehe das nur bisher nicht. Andererseits hindert einen ja niemand daran, auch ohne eine Kammer etwas zu verabschieden und es Entgelt- oder Honorarordnung zu nennen. Und dann müsste man versuchen, diese so weit wie möglich durchzusetzen – und zwar verbandsübergreifend.

Heike Michaelis: Sich zusammenzutun halte ich auch für das Allerbeste. Die Abgrenzung der einzelnen Verbände voneinander finde ich sowieso problematisch. Zu Honorarstandards wurde sich ja bereits verbandsübergreifend ausgetauscht. Das wäre auch der Politik gegenüber gut – zumindest ist das unsere Erfahrung in Hessen –, wenn man sich nicht untereinander noch einmal auffächert. Dann verstehen Politiker*innen schnell nicht mehr, wer was wie wo – und warum Musiker*innen unterschiedlich sprechen.

Schiller: Du plädierst also dafür, dass die unterschiedlichen Verbände an einem Strang ziehen, wenn es um politische Forderungen geht?

Michaelis: Ja, genau. Auch, wenn es zwischen den Verbänden Differenzen in Sachen Qualifizierung gibt und damit teilweise auch Vorbehalte. Aber ich fände es gut, wenn alle zusammen trotzdem an einem Strang ziehen.

Schiller: Gibt es bereits Erfahrungen mit den Empfehlungsflyern, die der Bundesfachausschuss Existenzsicherung ausgearbeitet hat?

Michaelis: Uns wird rückgemeldet, dass er sehr gut ist, dass er den Kolleg*innen sehr hilft. Viele sagen nicht mehr von vornherein: „Was in Stuttgart verlangt wird, das können wir hier in Nordhessen sowieso nicht verlangen…“ Jetzt sagen sie: „Daran kann ich mich schon mal annähern.“ Das ist sehr wichtig, weil es den Kolleg*innen Rückendeckung gibt. Tatsächlich fühlen sich nämlich viele immer noch sehr alleingelassen mit der Frage der Honorierung.

Bitzan: Ich glaube, dass das ein gutes Signal ist. Wir planen in Berlin auch eine solche Veröffentlichung. Die Frage ist, ob die Honorare nach einzelnen Kommunen differenziert sein sollten, wie es in den Empfehlungen aus dem letzten Jahr der Fall ist. Der Ansatz, über den wir gerade gesprochen haben, also möglichst verbandsübergreifend zu einer Entgelt- oder Honorarordnung zu kommen, würde ja bedeuten, dass man möglichst Honorarsätze findet, mit denen alle mitgehen können. Wenn man jetzt versuchen würde, gemeinsam mit mehreren Verbänden etwas Deutschlandweites zu verabschieden, dann wäre die Frage zu klären, was mit den schon bestehenden Empfehlungen und Standards in einigen Ländern passiert.

Michaelis: Im öffentlichen Dienst gab es früher einen Ortszuschlag. Wenn man in einer Kommune wohnte, die teurer war, verdiente man durch den Ortszuschlag zum Ausgleich auch mehr. Deshalb halte ich regional angepasste Honorarstandards für sinnvoll. Das war auch der Ansatz, den wir im Bundesfachausschuss Existenzgrundlagen gewählt haben.

Schiller: Ganz andere Richtung: Müssten sich Musikstudierende nicht vielleicht auch viel mehr mit Berufskunde im weitesten Sinn beschäftigen? Also nicht nur mit Fragen der Existenzsicherung, sondern auch mit Fragen danach, wohin der Weg nach dem Studium führen könnte?

Michaelis: Es gibt ja bereits Musiker-*in­nen, die das Berufsfeld verlassen. Sie werden zum Beispiel gern als Unternehmensberater*innen genommen …

Bitzan: Perspektiven jenseits der durch die Ausbildung vorgezeichneten Wege müssten zuerst einmal überhaupt sichtbar werden. Sicherlich spielt eine Rolle, dass ein konservatives Karrierebild, wie es mit einem klassischen Musikstudium oft einhergeht, noch sehr dominant ist. Da spielen noch Vorstellungen von Meisterlehre und Genieästhetik aus dem 19. Jahrhundert eine Rolle, aus der Zeit, als die ersten Konservatorien entstanden und sich ein Berufsmusiker*innentum bildete. Die Hochschulen bemerken aber zunehmend, dass es nicht das allein Seligmachende ist, für die Orchesterstelle oder eine feste Position an einem Theater auszubilden, weil der Markt das eben nicht mehr hergibt. Zum Teil sperren sich die Hochschulen noch gegen ein Umdenken, indem sie sagen, sie müssten ein bestimmtes kulturelles Verständnis vermitteln oder hätten ein bestimmtes Erbe zu bewahren. Es gibt aber bereits viele, die sich öffnen, Career Center gegründet haben und gezielte Berufskunde-Angebote für Studierende machen. Das sehe ich im Moment recht optimistisch.

Schiller: Wenig Einkommen macht sich bei Freiberufler*innen auch im Alter bemerkbar. Macht das die Forderung nach einem verbindlichen Grundeinkommen nicht zu einer zentralen Aufgabe?

Michaelis: Das ist auf jeden Fall ein Problem, dass die Renten nicht reichen, vor allem im Krankheitsfall. Viele arbeiten ja bis ins Alter. Oder Musiker*innen stocken ihre Rente auf, indem sie weiter unterrichten oder auftreten. Deshalb finde ich die Honorarfrage entscheidend.

Bitzan: Ich vermute, dass für viele freischaffende Musikerinnen und Musiker die Pensionierungsgrenze gar nicht so relevant ist. Wenn Personen, die hauptsächlich freischaffend arbeiten, jetzt schon am Existenzminimum sind, ist es für sie keine Perspektive, irgendwann sagen zu können, ich höre jetzt auf zu arbeiten und verlasse mich auf die staatliche Rente oder Grundsicherung. Diese Option besteht einfach nicht. Das heißt, man ist gewissermaßen darauf eingestellt, so lange wie möglich und solange es die Gesundheit erlaubt, zu arbeiten. Wenn man über Existenzsicherung und Perspektiven für Freischaffende spricht, dann muss die Ermöglichung eines Auskommens im Alter früher schon mit bedacht werden.

Schiller: Könnt Ihr abschließend eine Forderung nennen, die ihr aktuell neben der Frage nach Honorarstandards als eine vordringliche Aufgabe für die Politik seht?

Bitzan: In Berlin haben wir letztes Jahr ein Positionspapier verabschiedet mit politischen Zielen, etwa, dass Freiberuflichkeit als Berufsbild mehr gewürdigt werden sollte. Dann natürlich das Thema faire Vergütungen und Honorarstandards. Aber auch Musikschulpolitik ist uns ein Anliegen. Die öffentlichen Musikschulen decken oft den Bedarf nicht ab, und freie Anbieter stellen das nachgefragte Lehrangebot sicher, erhalten aber im Gegensatz zu den kommunalen Schulen keine öffentliche Förderung, obwohl sie die gleiche Leistung erbringen.

Michaelis: Bei uns in Hessen ist die Lage ähnlich. Ich finde diese Abgrenzung schwierig. Ich bin auch dafür, dass Musikschulen besser gefördert werden, weil viele von unseren Mitgliedern ja auch an Musikschulen arbeiten. Aber es geht immer um Gemeinnützigkeit contra Unternehmertum. Wir sind Unternehmer*innen und deshalb können wir keinerlei Förderung bekommen. Wir haben daraus die Forderung generiert, dass der Bund, und das Land kann ja auch aufsatteln, den Teilhabegutschein für Familien mit Unterstützungsbedarf deutlich anheben soll. Der kann dann auch bei privaten Musiklehrer*innen eingelöst werden, was auch eine Förderung sein könnte für Selbstständige. Es ist hilfreich, wenn wir als Berufsverband Vorschläge machen können und nicht abwarten, bis die Politik etwas tut.

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