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Tinka Koch. Foto: WDR 3
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Arbeit am zukunftstauglichen Jazzradio

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Die nmz befragt Tinka Koch und Karl Karst zur Reform von WDR 3 Jazz & World
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Am 1. April ging WDR 3 mit dem Relaunch seiner Jazz-Sendestrecke in der Verantwortung der neuen Jazzredakteurin Tinka Koch an den Start. In den Wochen zuvor war in der Jazzszene eine gewisse Unruhe entstanden, freie Mitarbeiter hatten sich öffentlich über das Verschwinden ihrer Autorensendungen beschwert. Wie sieht die Zukunft des Jazz im WDR aus? Diese Frage stellte nmz-Chefredakteur Andreas Kolb dem Programmchef von WDR 3, Karl Karst, und der zuständigen Redakteurin Tinka Koch, der Nachfolgerin des langjährigen WDR 3 Jazzchefs Bernd Hoffmann, der Ende des Jahres 2018 in Pension ging.

neue musikzeitung: Angefangen hat alles mit der Programmreform 2016, ist das richtig?

Karl Karst: 2016 haben wir eine zweistündige Sendestrecke mit dem Titel „Jazz & World“ eingeführt. Zuvor gab es jeweils einstündige Sendungen mit Jazz und eine kleinere Anzahl mit World Music. Beide Genres sollten in der neuen Sendestrecke mit verdoppelter Sendezeit zusammengeführt werden. Das ist aus unterschiedlichen Gründen in den ersten beiden Jahren nicht gelungen. Mit der Pensionierung von Bernd Hoffmann und der Nachfolge von Tinka Koch ist das ursprüngliche Konzept nun seit dem 1. April umgesetzt.

nmz: Frau Koch, wie funktioniert „WDR 3 Jazz & World“?

Tinka Koch: Unsere gestandenen Autorinnen und Autoren liefern uns die Musikliste zu. Ich freue mich, dass wir mit unseren Autoren in dieser Form weiterhin zusammenarbeiten können. Wir profitieren also derzeit von deren Expertise und Kontakten in die Szene. Zum Teil liefern die Autoren auch O-Töne mit und manchmal gehen die Kolleginnen und Kollegen dann auch direkt mit in die Sendung zum Kollegengespräch. Nach der Zulieferung der Musikliste gibt es eine Abnahme durch die Redaktion. Wir haben uns die Freiheit genommen, musikalisch in die Breite zu gehen. Derzeit entwickelt sich auch ein gewisser Kenntnisstand, mit welcher Art Musiklisten wir es bei den jeweiligen Autoren zu tun haben und wie die Moderatoren damit umgehen. Dieses System entwickelt sich gerade sehr erfolgreich.

nmz: Nach ersten Hörerfahrungen kann ich sagen, „WDR 3 Jazz & World“ ist ein anspruchsvolles, lebendiges musikalisches Format. Aber es ist auch eine „Überraschungstüte“. Im Programm steht nichts Detailliertes und ich weiß als Hörer nicht, was mich erwartet.

Koch: Das ist ein Einwand, den wir sehr häufig bekommen. Wir laden die Hörer jeden Abend aufs Neue auf ein musikalisches Abenteuer ein. Wir hoffen natürlich, dass die Moderatoren die Hörerinnen und Hörer derart an die Hand nehmen, dass die sich nicht völlig verloren in einer diversen Musikliste fühlen. Wir bieten seit dem 1. April alles online zum Nachhören an, und da stehen dann die Musiker und deren Musiken, die man in der Sendung gehört hat, detailliert aufgelistet. Wenn ich mich informieren will und zum Nachhören, gehe ich online. Aber ich schalte das Radio ein, weil mich die Sendung an sich interessiert. Anstatt über das Thema zu gehen, versuchen wir eben, die Hörer an die Moderatoren zu binden.

Karst: Als wir vor 15 Jahren hier bei WDR 3 den MusicMaster einführten – eine Software, die ARD-weit für Musikplanung genutzt wird – stellten manche die Frage: „Macht jetzt der Computer das Programm?“. Selbstverständlich nicht. Es sind immer Autoren, die die Musikprogramme entwerfen. In diesem Falle erfreulicherweise dieselben, sehr kompetenten Kolleg/-innen, die das Programm von „Jazz & World“ schon seit vielen Jahren betreuen.

nmz: Wer sind die Moderatorinnen und Moderatoren und wie sind die Reaktionen der Hörer?

Karst: Wir haben ein Moderatoren-Cas­ting durchgeführt, an dem sich sowohl die ehemaligen Autoren als auch neue Kandidatinnen und Kandidaten beteiligen konnten. Es ging nicht darum, die erfahrenen Autoren auf ihre Radiotauglichkeit zu testen, sondern darum, dass wir eine bestimmte Publikumsansprache finden wollten. Wir wollten wissen: Wie gehen die Moderatorinnen und Moderatoren mit dieser oder jener Musik um? Was fällt ihnen dazu ein? Das Ziel ist, die Qualität der Musik beizubehalten, aber die Ansprache so zu ändern, dass sich mehr Menschen von „Jazz & World“ angesprochen fühlen. Denn es geht darum, den Jazz zukunftsfähig aufzustellen und ihn nicht immer mehr in die Nische wandern zu lassen. Das gehört für mich auch zum Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

nmz: Verbände wie NRW Jazznet oder die Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) haben moniert, dass renommierte Jazzautoren nicht mehr engagiert werden. Es wurde auch Intendant Tom Buhrow angeschrieben, der in einem Brief geantwortet hat, niemand sei gekündigt worden. Glauben Sie nicht, dass die Autoren von ihren Hörern vermisst werden?

Karst: Zum Thema Kündigung: Es ist in der Tat so, dass alle früheren Autorinnen und Autoren – inklusive Michael Rüsenberg und Karl Lippegaus – eingeladen worden sind, sich an der Neukonzeption zu beteiligen und  weiterhin mitzuarbeiten. Man kann wirklich nicht davon reden, dass irgendjemand von der Redaktion ausgeschlossen worden wäre. Durch das neue Konzept können Autoren allerdings nicht mehr monothematisch schreiben und nicht mehr im früheren Maße selbst am Mikrofon sein. In Form von Kollegengesprächen, Fachinterviews und speziellen Beiträgen ist das aber weiterhin möglich.

nmz: Was verspricht man sich davon?

Karst: Wenn ich eine Sendung monothematisch anlege und kommuniziere, weiß jeder im Vorfeld, ob sie ihn interessiert oder nicht. Der Kreis der eh schon kleinen Zielgruppe von „Jazz  & World“ wird dadurch noch einmal extrem eingeengt. Die Sendungen werden zu reinen Experten- oder Insidertreffen. Damit ist das Potential eines Kulturradios wie WDR 3, das jeden Tag rund 400.000 Menschen erreicht und auch in der Abendstrecke ein fünfstelliges Publikum haben kann, nicht angemessen ausgeschöpft. Wenn wir tatenlos zusehen würden, wie das Publikum für „Jazz & World“ immer kleiner wird, wäre das fahrlässig.

nmz: Was sagen die Hörer?

Karst: Die Hörerschaft reagiert offensichtlich mehrheitlich positiv. Die kritischen Rückmeldungen sind zahlenmäßig sehr überschaubar. Es gibt mehr Informationsanfragen als Kritik, und das bedeutet immer, dass der Großteil der Hörerschaft mit dem neuen Angebot umgehen kann. Als besonders positiv wird das Angebot wahrgenommen, die Sendungen nun auch zeitunabhängig nachzuhören. In Zukunft wird es vielleicht auch einen WDR 3 Jazz-Podcast geben. Daran arbeiten wir gerade.

nmz: Was ist denn mit den klassischen Jazz-Initiativen des WDR Kulturradios: Campus Jazz, Jazzfest, Jazzpreis, WDR Bigband? Gibt es Einschnitte beim Etat oder Personal?

Karst: Das Engagement im Land ist von dieser programmdramaturgischen Veränderung nicht betroffen. Die Sorge, dass wir die Mitschnitte reduzieren, muss man nicht haben. Was die Präsenz im Land betrifft, werden wir im Laufe der Zeit sicherlich Neuerungen erleben, hin zu digitalen Formen der Präsentation. Ich denke, man muss einer neuen, jungen Redaktion auch erlauben, innovativ zu sein und Veränderungen im Rahmen des Möglichen vorzunehmen.

nmz: WDR 3 ist und bleibt weiterhin Kulturpartner für die NRW-Jazzszene?

Karst: Absolut. Die Kulturpartnerschaft besteht unabhängig von den Redaktionen. Das sind Kommunikationsvereinbarungen zwischen den Spielstätten und WDR 3, die separat weiterlaufen. Da gibt es keine Änderungen.

nmz: Frau Koch, was bekommen Sie widergespiegelt aus der Szene, von den Hörern und vor allem auch von den Musikern?

Koch: Die Hörer sind natürlich überrascht, wir verlangen ihnen ja auch etwas ab. Interessanterweise bekommen wir über die Musik keine Beschwerden. Wir haben tatsächlich viele Rückfragen, auch Kritik, dafür bekommen, dass die Hörer nicht mehr wissen, was sie erwartet. Dieses Bedürfnis nach Information versuchen wir mit einem digitalen Angebot und einem Newsletter aufzufangen.

nmz: Und wie reagierte die Jazzszene?

Koch: Ich war Ende April auf der jazz­ahead! in Bremen und saß da unter anderem auf einem Podium zum Thema „Jazzradio der Zukunft“. Wenn wir in die digitale Zukunft starten wollen, ist es wichtig, die Rechtefragen möglichst schnell zu klären. Wie können wir Sachen aufbereiten? Wie können wir Musik online anbieten? Das ist natürlich ein Gebiet, wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk hinterherkommen muss, denn es gibt andere Anbieter, die schneller, weiter und präsenter sind. Was die Podcast-Situation angeht, hoffe ich, dass wir uns schnell so aufstellen können, dass wir auch über die öffentlich-rechtlichen Anbieter überall da präsent sind, wo es Pod­casts gibt.

nmz: Wenn ich Mitschnitte vom jährlichen Jazzfest Berlin hören will, mache ich das auch über den WDR oder muss ich auf eine andere Landesrundfunkanstalt ausweichen? Und was ist zum Beispiel mit der „Langen Jazznacht“?

Karst: Selbstverständlich sind wir auf dem Jazzfest Berlin. Das wird auch weiterhin in der WDR 3 Konzertstrecke übertragen werden. Zusätzlich werden wir bei Bedarf die Samstag­nacht ab Mitternacht wieder für Lange WDR 3 Jazznächte öffnen. Da wird es keine Reduzierung geben.

nmz: Zusammenfassend könnte man sagen: Kein Abbau, sondern eher ein Umbau. Es ist positiv, dass Tinka Koch als Jazz-Redakteurin eingestellt werden konnte, denn nicht jede Landesrundfunkanstalt kann sich nach einer Pensionierung weiterhin bestimmte Redaktionen leisten.

Karst: Das haben Sie genau auf den Punkt gebracht. Der WDR ist bis 2020 eine Stellenrückgabeverpflichtung von insgesamt 500 Planstellen eingegangen. Zu diesen 500 Planstellen hat auch WDR 3 eine gute Zahl beigetragen. Die Stelle der WDR 3 Jazzredaktion ist die einzige, die ich im vergangenen Jahr ausschreiben konnte. Es war eine sehr bewusste Entscheidung, diese Stelle mit einer Nachfolge für Bernd Hoffmann zu besetzen. Dass diese Nachfolge erstmals mit einer Frau erfolgen konnte, freut mich ganz besonders.

nmz: Ist „WDR 3 Jazz & World“ zukunftstauglich?

Koch: Wenn sich das Jazzradio aufstellen will für die Zukunft, muss es da präsent sein, wo es gerade brodelt, wo die Szenen sich entwickeln, wo Neues entsteht und wo der Jazz stilbildend aktiv ist. Der Jazz ist nicht nur in NRW unglaublich spannend zur Zeit. Jazz sollte immer so betrachtet werden, dass er zu praktisch allem, was in dieser Welt passiert, immer schnell etwas sagen kann. Denn die Improvisation wohnt dem Jazz inne und Jazzmusiker können wie kaum andere Musiker auf ihre Umgebung reagieren.

Karst: Als Programmmacher sage ich, es ist unsere Aufgabe, diese Form der anspruchsvollen improvisatorischen Musik in ein möglichst breites Publikum zu tragen und zu multiplizieren, was aktuell an Ideen und an Musikformen entwickelt wird. Das ist eine Aufgabe, die man in der Form einer moderierten Mischsendung am allerbesten umsetzen kann.

Für diejenigen, die sich für diese Musikfarben interessieren, sollte es ein Muss werden, „WDR 3 Jazz & World“ einzuschalten. Es ist die größte Sendestrecke ihrer Art in der ARD. Und mit dem Ansatz der Aktualität auch diejenige, über die ich die neuesten Trends erfahre, die beste Musik bekomme und sehr fachkundig informiert werde. So würde ich die neue Ausrichtung für die kommende Zeit definieren.

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