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Text und Foto: Ssirus W. Pakzad
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Auf alles bestens vorbereitet

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Die Saxophonistin Melissa Aldana im Porträt
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Nur körperlich ist Melissa Aldana ein Leichtgewicht. Bei einem Open-Air-Konzert müsste sie wohl jeden Windstoß fürchten. Ist das Tenorsaxophon, mit dem sie die Bühne betritt, nicht auch ein bisschen schwer, ein wenig zu mächtig für die zartgliedrige Chilenin? Wenn sie dann erst mal zu spielen beginnt, macht man sich keine Sorgen mehr um die 27-jährige. Die scheint ihr Instrument, das ein Biest sein kann, dressiert zu haben. Es gehorcht ihr, springt durch manchen Feuerreif, vollbringt Kapriolen im Altissimo-Bereich und schickt bei aller sonstigen Artistik schnörkellose, markige, im tiefen Register schön knorrige, geerdete Töne ins Auditorium.

Mit ihrer beeindruckenden Art Tenorsaxofon zu spielen, ist die in Santiago de Chile geborene und seit 2009 in New York lebende Melissa Aldana gerade Dauergast auf der Überholspur. Im letzten Herbst konnte sie bei der vom amerikanischen Magazin DownBeat zum 63. Mal durchgeführten „Critics Poll“ abräumen. Die Kategorie „Rising Star Tenor Saxophone“ entschied sie klar für sich – vor namhaften Kollegen wie Marcus Strickland, David Sánchez, Ingrid Laubrock oder Walter Smith III. Und zwei Jahre zuvor durfte sie auf das oberste Treppchen der „Thelonious Monk International Saxophone Competition“ steigen – durch das eindeutige Votum der Juroren Wayne Shorter, Branford Marsalis, Jimmy Heath, Bobby Watson und Jane Ira Bloom.

An diesem renommierten Wettbewerb hatte 1991 schon Melissa Aldanas Vater teilgenommen. Und es immerhin bis ins Halbfinale geschafft. Zuhause in Santiago de Chile war Marcos Aldana der erste Lehrer der kleinen Melissa, die mit sechs Jahren zunächst Altsaxophon spielte (und später unter dem Einfluss von Sonny Rollins ans Tenor wechselte). Das Familienoberhaupt warf den talentierten Nachwuchs gleich ins kalte Wasser – und integrierte die Tochter in eine Saxophongruppe. „Mein Vater hat ein Spiel mit mir gespielt“, erzählt die Musikerin. „Er zog mich auf und wusste genau, was er damit bewirken würde. Er sagte: „Für eine Frau spielst du nicht schlecht.“ Das hat mich so auf die Palme gebracht, dass ich viel mehr übte als alle anderen in der Gruppe.“ Heute hat Melissa nicht mehr ganz so viel Zeit zum exzessiven Üben – denn sie ist so gefragt, dass sie ständig auf Achse ist, ob nun mit eigener Gruppe oder als Gastmusikerin – etwa des Lincoln Center Jazz Orchestras unter Wynton Marsalis. Was ihr an täglichem musikalischen Zirkel-Training fehlt, wird durch die Erfahrungen ausgeglichen, die sie on the road macht, wo sie lernt, mit den eigenen Schwächen umzugehen, sich auf unbekannte Situationen einzulassen sowie auf fremde Sitten und Gebräuche. In den Jahren davor aber, als ihr Name noch nicht so die Runde machte, hat sie sich Tag für Tag „den Arsch abgespielt“. Sie schaut ihrem Gegenüber tief und sehr ernst in die Augen, spießt eine wehrlose Paprikaschnitte auf und sagt: „Ich wollte immer vorbereitet sein auf die Möglichkeiten, die sich später einmal bieten könnten. Schon aus einem gewissen Selbstschutz heraus, versuche ich keine allzu hohen Erwartungen zu haben. Ich versuche einfach, mein Bestes zu geben, hart zu arbeiten und unablässig zu lernen. Dadurch wächst man als Musiker und Mensch.“

Dieser Tage erscheint mit „Back Home“ (Word of Mouth Music) bereits Melissa Aldanas viertes Album unter eigenem Namen, aufgenommen mit ihrem Bass-spielenden Landsmann Pablo Menares und einem der besten deutschen Jazz-Exporte, dem Schlagzeuger Jochen Rückert. „Ich bin stark von Trios beeinflusst, dem von Sonny Rollins, dem von Joe Henderson oder von der Gruppe Fly. Ich habe anfangs hauptsächlich in dieser Konstellation musiziert, um den melodischen Aspekt meines Spiels stärker herauszukitzeln und auch, um mein harmonisches Denken zu schärfen“, sagt sie, während sie im veganen Mittagessen stochert. „Im Trio ist man sehr frei und gleichzeitig auch wieder nicht – weil du dir sehr sicher sein musst, was du ausdrücken und sagen, welche Geschichte du erzählen willst. Du musst dich unter Kontrolle haben, denn du bist in so einer Situation fast schutzlos und nackt.“

Durch ihren Boyfriend, den Slowenen Jure Pukl, fraglos einer der besten europäischen Saxophonisten seiner Generation, erweitert Melissa Aldana übrigens ständig ihren Horizont. Während sie sich sonst musikalisch meist auf eine Sache fokussiert, sucht ihr Liebster dauernd nach neuer Musik, nach bislang Ungehörtem. Wo will Melissa Aldana stilistisch selbst einmal hin? „Ich komme aus der Jazz-Tradition und werde mich bestimmt nicht dem Blues oder dem Standardspielen verweigern und behaupten, ich würde alles neu machen. Viele der Musiker, die ich bewundere – der Gitarrist Kurt Rosenwinkel, Saxophonisten wie Chris Potter, Chris Cheek, Steve Lehman oder Mark Turner, der so etwas wie der Coltrane unserer Tage ist – sind auch in der Tradition verwurzelt, was sie nicht davon abhält, innovativ zu sein. Was sie machen, strebe ich auch an. Ich habe den Vorteil, in diesen Zeiten zu leben, wo man auf so vieles zurückblicken und gleichzeitig bewundernd nach links und rechts schauen kann.“          

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