Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ausgepegelt

Publikationsdatum
Body

Da hat man sich ja ein schönes Eigentor geschossen! Die musica viva, jüngst höchst verdient mit einem großen Festival in Erscheinung getreten, bestellte von Dror Feiler ein Orchesterwerk. Es ist zu hoffen, dass man sich auch an allen Stellen über diesen Komponisten im Klaren war. Dror Feiler ist ein 1951 in Tel Aviv geborener jüdischer Komponist, der heute in Schweden lebt und sich mit radikaler Intensität gegen die eigene Regierung und deren Umgang mit den Palästinensern stellt. Für ihn wiederholt sich dort ein Unrecht, das immer schon die Stärkeren zur Unterdrückung einsetzten, ein Unrecht, das auch dem eigenen Volk durch die Nationalsozialisten unvergleichbar widerfahren war. In vielen seiner Werke bringt Feiler seine Solidarität mit dem palästinensischen Volk, aber auch mit anderen unterdrückten Gruppen zum Ausdruck. Und das geschieht in seiner Musik in der Regel sehr laut; weil er, so äußerte er einmal, nur so die Intensität erreichen könne, die ihm vorschwebe (Feldman hingegen könne dies ganz leise). Es lief darauf hinaus, dass das Stück nach der Generalprobe, die übrigens nach den im Auftrag bestellten 18 Minuten abrupt abgebrochen wurde (es hätte noch vielleicht drei Minuten länger gedauert), wegen Gesundheitsgefährdung der Musiker für das Konzert am gleichen Abend abgesagt wurde. Es gab am Vormittag Messungen, und die ergaben, dass das Stück nach EU-Vorgaben so nahe an der Belastungsgrenze liege, dass es pro Tag nur einmal gespielt werden könne. Und das war nun ja schon in der Probe geschehen.

Die musikalische Installation „Schneewittchen und der Wahnsinn der Wahrheit“ (zum Thema Selbstmordattentate) von Dror Feiler und seiner Frau ist manchem noch gut in Erinnerung. Zvi Mazel, israelischer Botschafter in Schweden, war vor etwa vier Jahren so empört über den Ausstellungsgegenstand, dass er ihn damals mit eigenen Händen zerstörte. Vielleicht war dies der Hintergrund, dass man jetzt für das Konzert im Vorfeld prüfen ließ, ob es sich bei Feiler nicht um eine Person handele, die als dem Terrorismus nahe stehend eingeschätzt wird (wie etwa die Mitglieder der Hamas). Schon so wollte man das Stück absagen. Nach Entwarnung aber fing man mit den Proben an.

So etwas wie die abrupte Absage darf nicht geschehen. Durchaus muss auf die Gesundheit der Musiker Rücksicht genommen werden, ja sie hat Priorität. Aber es gibt genügend Möglichkeiten, die Ohren der Ausführenden zu schützen. Und es wurden ja Ohrenstöpsel zur Verfügung gestellt, deren Verwendung aber dem Selbstverständnis der Musiker widersprach. All dies wäre schon lange absehbar gewesen, im Grunde schon bei der Zusendung der Partitur. Hier wäre es notwendig gewesen, Maßnahmen zu treffen, sei es beim Plan der Proben, sei es durch Gespräche mit den Orchestermitgliedern über die Problematik, die dann zu Lösungsvorschlägen und eventuell zur Bereitschaft zu Ohrenstöpseln geführt hätten (auch hier eine Absage zu beschließen, wäre möglich gewesen). Die Belastung der Musiker durch gro-ßen Schalldruck ist ja kein unbekanntes Phänomen – vermutlich sind von den EU-Richtlinien auch Werke von Mahler oder Strauss betroffen. Aufgabe der Musiker, die ja immer betonen, sich in den Dienst des Werks stellen zu wollen, ist es, ein Stück auf die Weise zu realisieren, die ihnen (ohne Gesundheitsschädigung) möglich ist. Geht es aufgrund von Dämm-Maßnahmen auf Kosten der Balance und der Präzision, dann ist das Schicksal der Komposition und des Komponisten. Aber zu Ende zu proben und dann festzustellen, dass eine Aufführung nicht zu verantworten ist, ist entweder ein Armutszeugnis oder es legt den Verdacht nahe, dass man ein Exempel statuieren wollte.

Lothar Zagrosek hatte sich kurz nach der Absage bereit erklärt, das Stück in Berlin aufzuführen (und auch die Klangspuren Schwaz fragten bei Feiler wegen einer Aufführung im September an). Doch inzwischen will sich auch die musica viva erneut des Stücks annehmen. Mal sehen, was im Spießrutenlauf dieses Werks weiter geschieht.

P.S.: Sollte das in München nun Tradition werden? Denn Christian Thielemann sagte kurz darauf bei einem Philharmoniker-Konzert eine Henze-Aufführung ab („Sebastian im Traum“). Begründung diesmal: zu wenig Probezeit. Wie wäre es demnächst mit „Keine Lust“ oder neudeutsch „Null Bock“?

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!