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Die Geschäftsstellenleiterin Anna Murray (1. v.l.) aus Irland und der Vorstand der IAMIC (v.l.n.r.): Frank J. Oteri (USA), Deborah Keyser (Wales), Stephan Schulmeistrat (Deutschland), Diana Marsh (Neuseeland), Jonathan Grimes (Irland) und Agnieszka Cieslak
Die Geschäftsstellenleiterin Anna Murray (1. v.l.) aus Irland und der Vorstand der IAMIC (v.l.n.r.): Frank J. Oteri (USA), Deborah Keyser (Wales), Stephan Schulmeistrat (Deutschland), Diana Marsh (Neuseeland), Jonathan Grimes (Irland) und Agnieszka Cieslak
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Begegnung mit Symbolkraft

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Zum Konferenztag der International Association of Music Information Centres am 24. Mai
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Das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) trägt mit seiner dokumentierenden und informierenden Tätigkeit zur Vernetzung unterschiedlicher Akteure des nationalen Musiklebens bei. Darüber hinaus ist das miz seinerseits Teil eines noch umfassenderen Netzwerkes: Die International Association of Music Information Centres, kurz IAMIC, ist ein Zusammenschluss von Musikinformationszentren aus aller Welt, die dem Austausch und der Förderung des internationalen Musiklebens dient.

Ursprünglich sollte die Konferenz der IAMIC bereits zum Beethoven-Geburtstag 2020 in Bonn stattfinden. Nachdem die aufwendig organisierte Tagung pandemiebedingt zweimal verschoben werden musste, haben sich vom 21. bis 26. Mai die Vertreter*innen von Musikinformationszentren aus 28 Nationen und drei Kontinenten in Hamburg, Köln und Bonn getroffen. Zum zentralen, öffentlichen Konferenztag hieß das miz die Teilnehmer*innen am 24. Mai im Beethovenhaus Bonn willkommen. Die Themenvielfalt reichte von Diversität über Digitalität und Musikvermittlung bis zu den Arbeitsbedingungen für zeitgenössische Kompo-nist*innen und der Frage nach Urheberrechten für Künstler*innen.

Im Kammermusiksaal des Beet­hovenhauses Bonn wurden die Teil­nehmer*innen der IAMIC-Konferenz am 24. Mai selbstredend mit Beet­hoven begrüßt: Das junge Eliot Quartett spielte den ersten Satz aus Beethovens Streichquartett op. 130. Als Hybrid-Veranstaltung war der gesamte Tag per Livestream einem weltweiten Publikum zugänglich, das sich über einen Livechat auch mit Fragen und Kommentaren an den vier Podiumsdiskussionen beteiligen konnte.

Holger Noltze, Professor für Musik und Medien an der Technischen Universität Dortmund, sprach in seinem kraftvollen Impulsreferat von einer Zeitenwende durch die Digitalisierung, welche die Umwälzungen der Industrialisierung überträfe. Deutliche Worte fand er für die Reaktion und den Umgang mit den Veränderungen: „Wir, die wir uns um Kultur und Musik kümmern, müssen das Internet erst noch begreifen.“ Weiter konstatierte Noltze: „Es fehlt an Mut und Fantasie, um die digitale Welt nicht als Bedrohung, sondern als Kammer der Wunder zu sehen.“ Eine besondere Bedeutung wies Noltze den Kurator*innen zu, die die Aufgabe hätten, Komplexität mit neuen Konzepten auf attraktive und niederschwellige Weise Platz zu geben und das Internet somit nicht allein „den Katzenbildern zu überlassen“.

Dieser Gedanke setzte sich in der ersten Podiumsdiskussion fort: Unter der ebenso kompetenten wie unterhaltsamen Moderation von Susanna Eastburn („Sound and music“, britische Organisation für Neue Musik) diskutierten Vertreter*innen der Konzertveranstaltungsszene und des Konzertlebens über Programmplanung, Publikumsbindung und die heutigen Ansprüche an zeitgemäße Kuratierungen. „Die Leute sollen sich in unseren Konzertsälen wiederfinden“, sagte dazu Frauke Bernds, verantwortlich für die Konzertplanung der Kölner Philharmonie. Zurzeit würden jedoch wohl nur fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung von den Programmen der Kölner Philharmonie tatsächlich erreicht – eine Feststellung die klarwerden ließ, welch hohen Stellenwert das Thema der Entwicklung neuer Strategien der Publikumsgewinnung, gerade in Pandemie-Zeiten, verdient. Bernds sprach in diesem Zusammenhang von der Einbeziehung verschiedener Genres und der Herausforderung, geeignete Formen für die digitale Vermittlung von Konzerten zu finden. Diskutiert wurde auch über mehr Agilität und Spontaneität in der Orches­terorganisation und Programmplanung etwa durch die Abkehr vom Modell der programmatischen Vorausplanung einer gesamten Saison.

Im Hinblick auf die Publikumsgewinnung und -bindung sprach der Intendant des Beethovenfestes Bonn, Steven Walter, von einem enormen Druck, auf Konzertveranstaltungen, einzigartig zu sein. Walters Devisen bei der Festival-Kuratierung: „Bedeutung über Schönheit“ und „Manifestation statt Repräsentation“. Musik sei für die Menschen von heute gemacht und solle aktuelle Themen aufgreifen.

Debattenkultur

Auch Thomas Plümacher, Bratschist im 2020 gegründeten Orchester des Wandels, sprach von der Überzeugung, sich als Musiker in gesellschaftliche Debatten involvieren zu müssen. Das als Verein gegründete Orchester des Wandels ist ein Zusammenschluss von Musiker*innen aus aktuell 30 deutschen Berufsorchestern und finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen. In Form von Kooperationen mit Akteuren aus der Wissenschaft, wie etwa dem Helmholtz Institut, und Spendensammlungen für ausgewählte Projekte macht der Klangkörper auf die Klimakrise aufmerksam und möchte Menschen dazu inspirieren, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Das zweite Podium, moderiert vom amerikanischen Komponisten Frank J. Oteri, war der Neuen Musik und der aktuellen Situation zeitgenössischer Komponist*innen in Deutschland gewidmet. Gesprochen wurde über die heikle Situation, in der sich viele Dramaturgen und Intendanten zurzeit befinden: Um nach Zeiten von Lockdowns und Pandemie Publikum zurückzugewinnen, wird gerne gefälliges und bekanntes Repertoire gespielt. Charlotte Seither, Komponistin und Mitglied des GEMA-Aufsichtsrats zeigte Verständnis, forderte aber gleichzeitig, im Dienste der Verbreitung von zeitgenössischer Musik den Mut aufzubringen, auch herausfordernde Programme zu gestalten.

Besonderes Interesse zeigte sich unter den internationalen Konferenzteilnehmer*innen für das Ausbildungsprogramm des renommierten Ensemble Modern Frankfurt. Die International Ensemble Modern Academy (IEMA) hat sich mit einem vielfältigen Angebot von Meisterkursen, Dirigier- und Kompositionsseminaren sowie Education-Projekten der Talent- und Nachwuchsförderung auf dem Gebiet der Neuen Musik verschrieben. Zentraler Bestandteil der Akademie ist ein einjähriger Masterstudiengang in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. In Bezug auf Oteris Frage, was andere Länder tun müssten, um Strukturen wie in Deutschland zu schaffen, wies Christiane Engel­brecht, Geschäftsführerin der IEMA, darauf hin, dass gleiche Modelle nicht über unterschiedliche Systeme zu stülpen sind. Fundamental sei der gegenseitige Austausch, auf dessen Grundlage man voneinander lernen könne.

Stets im Sinne des Austausches stellte Ekkehard Vogler, Musikvermittler beim Clara-Netzwerk des mdr, seine Arbeit auf nahbare Art und Weise vor: Nach kurzer Anleitung klatschte der Kammermusiksaal des Beethovenhauses gegeneinander laufende Rhythmen und sprach dazu kulinarisch konnotierte Texte.

Vertreter*innen aus unterschiedlichen Kontexten der Musikvermittlungen traten kurze Zeit später in einen lebendigen Austausch, der von Agnieska Cieslak-Krupa (polnisches Musikinformationszentrum) moderiert wurde. Festgehalten wurde unter anderem, dass Kontinuität in der Konzertpädagogik unerlässlich ist und in die wöchentlichen Lehrpläne von Schulen integriert werden muss. Tobias Bleek vom Ruhr Piano Festival warnte davor, die Fähigkeit von Kindern, komplexe Strukturen zu verarbeiten, zu unterschätzen. Man könne von bekannten musikalischen Pfaden abweichen und statt Prokofievs Peter und der Wolf problemlos auch ein Stück von Pierre Boulez vermitteln.

Urheberrechtsfragen

Die letzte Podiumsrunde wendete sich einem Thema zu, das im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses zwar weniger aktiv umsetzbar, deshalb aber nicht weniger relevant als die Musikvermittlung war: Unter der Moderation von Egils Šefers (lettisches Musikinformationszentrum) sprach man über Urheberrechte von Künstler*innen und Musikdistribution. Was ist falsch am aktuellen System? Ist die Öffentlichkeit bereit, für online abrufbare Musik zu zahlen? Ist es gefährlich, wenn Autor*innen und Künstler*innen ihre Werke gratis hergeben?

Laut René Houareau vom Bundesverband Musikindustrie gibt es bei der jungen Generation eine wachsende Zahlungsbereitschaft für Musik von Online-Plattformen. Im Rahmen einer Diskussion um die Funktion und Notwendigkeit von Musiklabels in Zeiten von Spotify hielt man fest, dass diese immer noch Vorteile haben können, die beispielsweise von der Zielgruppe abhängen.

In seinem Schlusswort sagte Chris­tian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats: „Musikalische Bildung ist Voraussetzung für Vielfalt. Kein Baby kommt mit einer Vorliebe für Bach, Beethoven, Rihm oder Elektro auf die Welt“. Kulturelle Vielfalt sei demokratierelevant und Kulturpolitik somit gleichzeitig Gesellschaftspolitik. Diana Malsh, Präsidentin der IAMIC resümierte mit ähnlichen Worten: „Kultur ist das, was wir sind und kein Luxusgut“. Malsh forderte alle Kulturschaffenden dazu auf, dies immer wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Mit der Ausrichtung der IAMIC-Konferenz hat sich das Deutsche Musikinformationszentrum unter der Leitung von Stephan Schulmeistrat als hervorragender Gastgeber gezeigt und dabei große organisatorische Umstände bewältigt. Malsh würdigte das Engagement mit den Worten: „Die Arbeit und der Einsatz des Deutschen Musikinformationszentrums, den Mitgliedern der IAMIC eine reiche und interessante Konferenz zu ermöglichen, war beeindruckend.“

Nach zweieinhalb Jahren Pandemie ist in Bonn außerdem ein weiteres Mal zu erleben gewesen, wie unschätzbar der Wert der persönlichen Begegnung trotz aller Vorzüge der digitalen Vernetzung ist. Über Vorträge und Podiumsdiskussionen hinaus war ein umfangreiches Rahmenprogramm und viel Raum eingeplant, um sich abseits der offiziellen Veranstaltungen persönlich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Die Mission der IAMIC, zur Vernetzung und Förderung des internationalen Musiklebens beizutragen, ist somit geglückt und hat darüber hinaus angesichts der in heutigen Zeiten immer wichtigeren Völkerverständigung eine noch stärkere Symbolkraft bekommen.

 

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